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Neue Erkenntnisse zu den Tanner Synagogen dank unerwarteter Karten-Funde

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Von: Rainer Ickler

Die neue Synagoge in Tann wurde 1880 eingeweiht.
Die neue Synagoge in Tann wurde 1880 eingeweiht. © Sammlung Michael Imhof/Stadtarchiv Fulda

Zwei Synagogen gab es in Tann in der Rhön im Landkreis Fulda: Die erste ist 1879 durch einen Brand zerstört worden. Die zweite wurde im Zuge der Reichspogromnacht 1938 zunächst verwüstet und dann auf Befehl des NS-Landrats Burkardt vollständig abgerissen. 

Tann - Dr. Michael Imhof aus Fulda recherchiert seit vielen Jahren über die Geschichte und das Leben der Juden in der Region Osthessen. Jetzt hat er neue Erkenntnisse über die beiden Synagogen dank unerwarteter Funde von alten Katasterkarten der Stadt Tann und bei einem Sammler in Hilders erlangt.

Die jüdische Gemeinde in Tann, sie machte zu Hochzeiten rund zehn Prozent der Bevölkerung aus, verfügte zunächst über kein eigenes Synagogengebäude. Im 18. Jahrhundert fanden die Gottesdienste und der Religionsunterricht in einem Privathaus statt. Doch da der Landesherr Freiherr Friedrich von der Tann (1751 bis 1810) das Vorhaben unterstützte, konnte es umgesetzt werden, berichtet Imhof.

Fulda: Neue Erkenntnisse zu Synagogen in Tann dank unerwarteter Karten-Funde

Er erkannte frühzeitig die wichtige Rolle der Juden in der Gesellschaft. Um die notwendigen Mittel aufzubringen, stellte er der Gemeinde nicht nur ein Kollekten-Patent aus, das die Spendeneinnahmen erlaubte, sondern warb in einem offenen Sammlungsbrief für die Unterstützung des Projekts. 

Im „Hausnummernverzeichnis“ der Stadt Tann um 1820 ist das Haus unter Nr. 26 als Besitzer „Judenschaft“ in der „Oberen Mangstraße/Ecke Kantorgasse“ angegeben. Die Synagoge war in privaten Gebäuden untergebracht und trat äußerlich wenig in Erscheinung (lesen Sie auch hier: NS-Raubkunst im Vonderau Museum? Erstcheck-Pilotprojekt in Hessen startet auch in Fulda).

Im Tanner Haussteuerkataster von 1852 sind im Flurstück 192 mit der Hausnummer 162/163 unter „Judengemeinde“ „Schulhaus und Synagoge“ verzeichnet und die Nutzung des Gebäudes exakt beschrieben. Im unteren Stock befinden sich das Schulzimmer und die Lehrerwohnung, im oberen Stock die Synagoge und im Keller die „Badstube“, die Mikwe.

Das religiöse Zentrum der jüdischen Gemeinde Tann ist Mittelpunkt des jüdischen Wohnbereichs zwischen Kantorgasse (heute: Neue Marktstraße) und Mangstraße (heute Heiligengasse). Doch als am 12. Mai 1879 ein Brand große Teile von Tann zerstörte, war auch die Synagoge betroffen. Etwa 150 Gebäude wurden ein Raub der Flammen. 

Die neue Synagoge wurde im Stil des orientalischen Historismus gebaut

Sehr schnell fiel die Entscheidung, eine neue Synagoge zu bauen. Es sollte ein wahres Kleinod der ländlichen Synagogenarchitektur werden. Die Bauzeichnungen konnten bisher leider nicht gefunden werden. In nur einem Jahr gelang es der jüdischen Gemeinde, auch durch Spenden aus anderen Gemeinden, eine neue Synagoge zu bauen, erklärt Imhof.

Diesmal sollte es ein alleinstehendes Gebäude sein. Die neue Synagoge wurde im Stil des orientalischen Historismus mit zwei Türmen an der Frontseite gebaut.  In der Katasterkarte der Grundsteuerverwaltung Tanns des Jahres 1887/88 ist erstmals die 1880 neu errichtete Synagoge an herausgehobener Stelle in dem Gesamtstadtplan dokumentiert.

Der Autor

Dr. Michael Imhof recherchiert seit 1980 über die Geschichte der Juden in der Region Fulda. Die von ihm zusammengetragenen neuen Erkenntnisse über die bedien Synagogen in Tann hat er in der Online-Dokumentation des Hessischen Landesamtes für Denkmalpflege und der Kommission der Geschichte der Juden in Hessen zum Jubiläum 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland zusammengefasst. Auszüge daraus veröffentlicht unserer Zeitung vorab. Imhof, von 1980 bis 2012 Dezernent für regionale Fortbildung und Schulentwicklung in der Regionalstelle des Hessischen Landesinstituts für Pädagogik, beschäftigt sich schon seit 1980 mit der Geschichte der Juden in Fulda und in der Rhön und hat schon viele Bücher zu diesem Thema verfasst. Zuletzt erschien der Band „400 Jahre Juden in der Rhön“. 

Die Einweihung erfolgte schon im darauffolgenden Jahr am 17. September 1880. Vertreter aller Vereine und Körperschaften der Stadt, der Kirchen und der Verwaltung, die Lehrer und Geistlichen sowie Freiherr Arthur von der Tann nahmen an der Feierlichkeit teil, fand Imhof heraus (lesen Sie auch hier: Neue Forschungsergebnisse: Frühe Geschichte der Juden in Fulda reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück).

Doch nur 58 Jahre später folgte die Zerstörung. Im November 1938 wurde auch die Synagoge in Tann Opfer des antisemitischen Terrors. Gegen Abend des 9. Novembers zogen SA-Gruppen durch die Straßen von Tann, brachen in die Wohnungen von Juden ein, zerschlugen das Inventar, verprügelten die jüdischen Männer und trieben sie in einem Keller zusammen.

Dr. Michael Imhof recherchiert seit 1980 über die Geschichte der Juden in der Region Fulda.
Dr. Michael Imhof recherchiert seit 1980 über die Geschichte der Juden in der Region Fulda. © Kathrin Noll

Danach richtete sich die Zerstörungswut gegen die Synagoge. Die Tür wurde aufgebrochen und Stroh herbeigeschafft, um das Gotteshaus in Brand zu setzen. Die Gefahr eines Übergreifens des Feuers auf Nachbarhäuser verhinderte jedoch, dass Feuer gelegt wurde und die Synagoge in Flammen aufging (lesen Sie auch hier: Stolpersteine für Holocaust-Opfer: Nachfahren erzählen die ergreifenden Geschichten).

Der NS-Mob zertrümmerte die Inneneinrichtung und Teile des Daches. Die heilige Lade, die Thorarollen und Gebetbücher wurden auf die Straße geworfen. Eine Thora wurde im Straßendreck die kleine Gasse in Richtung Pfarrkirche hinabgerollt. Der Antrag des NS-Bürgermeisters Bott, die noch bestehenden Reste der Synagoge als Turnhalle, Versammlungslokal und Kino umzubauen, wurde von dem Fuldaer NS-Landrat Burkhardt abgelehnt.

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Stattdessen wurde der Abriss angeordnet. Am Ort der ehemaligen Synagoge wurde 1991 auf Initiative ehemaliger Tanner Juden eine Stätte des Erinnerns und Mahnens geschaffen. Der bis zu seinem 15. Lebensjahr in Tann lebende Kurt Jüngster aus Tel Aviv hatte den Mamorquader in Israel anfertigen lassen.

Der Stein trägt die Aufschrift „Zum Gedenken an unsere verfolgten, vertriebenen und ermordeten jüdischen Mitbürger“ und aus Psalm 74,2 auf Deutsch und Hebräisch „Gott gedenke an deine Gemeinde, die du vor Zeiten erworben hast.“ Im November 2018 wurde eine Tafel mit den Namen der ermordeten Juden aus Tann angebracht. 

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