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Medikamente für Kinder knapp: „Riesiger Mehraufwand“ für Apotheker aus Osthessen

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Mehrere Bundesländer greifen wegen des Medikamenten-Mangels zu drastischen Mitteln und gestatten die Einfuhr von Kinder-Arzneimitteln, die in Deutschland nicht zugelassen sind. Unsere Zeitung hat Apotheker und Ärzte nach ihrer Meinung zur aktuellen Situation befragt.

Fulda - Dass bestimmte Medikamente in Apotheken nicht mehr verfügbar sind, ist in Deutschland längst ein Dauerproblem. Nun aber sind auch Antibiotikasäfte für Kinder rar, die bei lebensbedrohlichen Krankheiten helfen.

Mehrere Bundesländer lockern deshalb die Einfuhr-Regeln bei Antibiotika-Säften für Kinder. Nach Bremen, Bayern und Nordrhein-Westfalen teilte am Dienstag auch Baden-Württemberg mit, entsprechende befristete Regeln zur Abweichung vom Arzneimittelgesetz erlassen zu haben. So kündigte Bayern an, befristet die Einfuhr von Arzneimitteln zu gestatten, die in Deutschland nicht zugelassen oder registriert sind.

Apotheker zum Antibiotika-Mangel: Ausland-Importe ändern Ursache nicht

Auch in Osthessen hat sich der Medikamentenengpass, der seit Monaten vorherrscht, noch einmal verschärft: „Der Ärztliche Bereitschaftsdienst ruft uns mittlerweile regelmäßig an, um zu fragen, welche Säfte wir vorrätig haben, damit die Ärzte etwas verschreiben können, was wir vorrätig haben“, berichtet Dr. Ansgar Wieschollek, Inhaber der Engel-Apotheken in Fulda.

Wieschollek ergänzt: „Vor allem Säfte für Kinder fehlen derzeit. Einige Hersteller haben sich vom Markt zurückgezogen, die verbliebenen Hersteller können die fehlende Menge nicht ausgleichen.“ Der Apotheker erklärt: „Wenn wir Medikamente aus dem Ausland importieren, verknappen wir den Markt in diesen Ländern.“ 

300 Medikamente, die Thomas Krick von der Bergwinkel-Apotheke in Schlüchtern normalerweise vorrätig hat, sind derzeit nicht lieferbar. Drei Hersteller für Paracetamolsäfte sind bei Krick noch gelistet, es waren einmal 15. 10 bis 15 Minuten mehr Arbeit pro Rezept haben Apotheker, wenn ein Mittel nicht lieferbar ist.

„Jahrelang hat die Politik unser Gesundheitssystem kaputt gespart. Die Festbeträge für Medikamente sind so niedrig, dass die Hersteller die Medikamente lieber in anderen Ländern verkaufen“, erklärt Thomas Krick.

„Die Festbeträge müssen langfristig erhöht werden, damit es sich für die Hersteller lohnt, ihre Medikamente in Deutschland zu verkaufen. Die Hersteller sind gezwungen, in Niedriglohnländern wie China zu produzieren, somit sind wir von diesen Ländern abhängig“, erklärt der Apotheker aus dem Kinzigtal und ergänzt: „Ich würde gerne mehr Mittel verkaufen, doch ich kann nicht.“ Medikamente aus dem Ausland zu importieren, wie es nun geplant ist, ändere nichts an der Ursache. „Außerdem kaufen wird so Patienten in anderen Ländern die Medikamente weg. Der Import ist teuer und es kostet mehr Zeit“, betont Krick.

Antibiotika-Lieferprobleme bedeuten „riesigen Mehraufwand“ für Apotheken

Durch die Lieferprobleme bei bestimmten Antibiotika ergebe sich ein „riesiger Mehraufwand“, berichtet Eugen Roth von den Hirsch und Kegelspiel Apotheken in Hünfeld. Gerade die fehlenden Säfte für Kinder seien ein Problem. „Bei Antibiotika in Tablettenform für Erwachsene hat man mehr Möglichkeiten auszuweichen. Viele Dinge sind lösbar, aber der Aufwand ist größer als früher“, erklärt Roth.

Als eine der Ursachen für die Mangellage verweist der Apotheker auf Corona und die Schutzmaßnahmen. „Möglicherweise kommen die Probleme durch die Pandemie, denn die Hygienemaßnahmen haben auch vor anderen Krankheiten geschützt, nun ist die Nachfrage wieder höher.“

Wie kommt es, dass Antibiotika und andere Medikamente knapp sind?

Die 2007 von der Bundesregierung eingeführten Rabattverträge sorgen dafür, dass der Hersteller mit dem niedrigsten Preis quasi ein Monopol für die Lieferung bekommt und andere Hersteller die Produktion einstellen. Wenn dann die Lieferkette aus den Herstellerländern in Asien gestört ist oder die Margen etwa wegen stark gestiegener Glaspreise sinken, beliefern Hersteller vor allem Länder, in denen die Preise hoch sind – und Deutschland gehört nicht dazu.

Hierzulande sind die Preise so niedrig, dass für die Pharmahersteller in Einzelfällen weniger als ein Euro übrigbleibt. Das Kinder-Antibiotikum Penhexal etwa gibt der Hersteller für 2,96 Euro an die Apotheke ab, muss von diesem Preis aber noch zum Teil zweistellige Rabatte an die Krankenkassen abführen. Lauterbach war 2007 Berater von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die die Rabattverträge einführte.

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz reicht das Medikamentenproblem weit über Kinderarzneimittel hinaus. „Überall leiden chronisch kranke Menschen an der schleppenden Versorgung mit Basis-Medikamenten. Blutfettsenker, Blutdruckmittel, selbst Krebsmedikamente sind Mangelware“, sagte Vorstand Eugen Brysch. Die bisherigen nationalen und europäischen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Patientenversorgung sicherzustellen.

Das Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda teilt mit, man sei derzeit nicht von Medikamenten-Mangel oder Lieferengpässen betroffen. „Durch vorsorgliche Planungen und Lagerung ist die Patientenversorgung im Krankenhaus dahingehend adäquat sichergestellt, gerade in Bezug auf wichtige Arzneimittel wie zum Beispiel Antibiotika, Zytostatika, Schmerzmittel, Infusionen“, heißt es auf Anfrage unserer Zeitung.

Außerdem bestehe die Möglichkeit, auf wirkungsgleiche Alternativpräparate auszuweichen oder Dosierungen entsprechend anzupassen, sollte eine bestimmte Dosierung eines Medikaments nicht lieferbar sein. Dies sei jedoch mit dem behandelnden Arzt sorgfältig abzuklären. „Entsprechend ist der Aufwand bei der Beschaffung von Alternativpräparaten seitens der Krankenhausapotheke erhöht“, erklärt Viktoria Schmitt, Pressesprecherin des Herz-Jesu-Krankenhauses.

Der Medikamenten-Mangel wird immer schlimmer. Gerade die fehlenden Säfte für Kinder sind aktuell ein Problem. (Symbolfoto)
Der Medikamenten-Mangel wird immer schlimmer. Gerade die fehlenden Säfte für Kinder sind aktuell ein Problem. (Symbolfoto) © Annette Riedl/dpa

„Durch die Hygienemaßnahmen während der Pandemie ist unser Immunsystem schlechter geworden“, meint Ralph-Michael Hönscher. Infekte dauerten länger und manchmal komme ein bakterieller Infekt oben drauf, erläutert der Hausarzt und Vorsitzende des Gesundheitsnetzes Osthessen. Einige Patienten erwarteten ein Antibiotikum, obwohl sie es nicht benötigten.

„Ein Problem ist, ein adäquates Antibiotikum in adäquater Dosis zu finden, denn teilweise sind Standard-Antibiotika nicht verfügbar. Zwar ist ein Austausch mit Apotheken vorhanden, trotzdem kann es passieren, dass etwas aufgeschrieben wird, was nicht verfügbar ist. Diese Patienten benötigen dann ein neues Rezept und müssen zurück in die Praxis kommen. Das bedeutet mehr Arbeit für die Praxen und ist nervig für die Patienten“, sagt Hönscher. Aber die Infektzeit gehe jetzt zu Ende, „und ich denke im Sommer kommen wir in normales Fahrwasser“.

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