Autor aus Schlitz jagt verlorene Schätze - Das macht seine Bücher so besonders

Autor Florian Illies spricht über die Arbeit an seinem Buch „Liebe in Zeiten des Hasses“ und erklärt, warum er aus den Liebesdramen seiner Protagonisten nichts lernen konnte.
Fulda/Berlin - Für viele Leserinnen und Leser ist Florian Illies (50) ein Jäger der verlorenen Schätze – ein Autor, der die Geschichte und ihre Gestalter mit intimen Funden zur amüsanten Bühne seiner Bücher macht. Das ist ihm mit seinem neuesten Werk „Liebe in Zeiten des Hasses“ über die goldenen Zwanziger und ihr katastrophales Ende mitreißend gelungen.
Das Buch ist in wenigen Monaten zum Verkaufserfolg geworden. Viele Fans werden sich gefragt haben, wie der Autor, ein gebürtiger Schlitzer, arbeitet, wie er seine Schätze hebt, wie sie von ihm restauriert und in die Gegenwart geführt werden. Dazu haben wir in Fulda ein Gespräch mit Florian Illies geführt.
Autor Florian Illies zur Arbeit an seinem Buch „Liebe in Zeiten des Hasses“
Für mich sind Sie ein Jäger der verlorenen Schätze. Wie schaffen Sie es, diese Schätze zu heben?
Ja, ich bin wirklich ein „Jäger der verlorenen Schätze“… Und der Zeitaufwand ist immens – aber es macht zum Glück großen Spaß, sich auf die Suche zu begeben.
Wo finden Sie diese Schätze einer verlorenen Zeit – in Archiven und Museen?
Anders als ich hoffte, konnte ich für „Liebe in Zeiten des Hasses“ gar nicht in Archive gehen, da ich das Buch während der Corona-Zeit schrieb und ich so zum Beispiel zweimal nicht ins Deutsche Literaturarchiv in Marbach reisen konnte, um zu recherchieren. So blieben mir nur die Bücher – und da lese und lese und lese ich, und wenn meine Nase eine neue Spur zu einer neuen Liebe oder neuen Geliebten eines großen Helden wittert, dann gehe ich ihr nach, suche nach entlegenen Aufsätzen, nach Briefsammlungen, nach Tagebüchern. Ich habe tatsächlich 394 Bücher benutzt, um daraus eines zu machen.
Also haben Sie gar keine Reisen zu den Orten des Geschehens unternommen?
Nur für einen Aspekt musste ich reisen: nach Sanary-sur-Mer, ans französische Mittelmeer. Denn ich kann nur Orte beschreiben wie Berlin oder Paris, die ich kenne, wo ich weiß, wie die Häuser aussehen und wie das Licht fällt. Sanary kannte ich nicht. Sanary aber wird im Sommer 1933 der Zufluchtsort für viele deutsche Schriftsteller im Exil: Thomas Mann vor allem, Klaus Mann, Bertolt Brecht und viele andere. So fuhr ich im Juli 2020 dorthin und machte mich auf die Suche nach den alten Wohnsitzen. Das Haus von Thomas Mann, die Villa „La Tranquille“, steht leer – ich kletterte über den Gartenzaun, ging auf seine Terrasse und weiß nun: Ja, wenn er hier saß und „Joseph und seine Brüder“ schrieb, dann konnte er das Meer hören.
Die „Schätze“, die Sie finden, sind oft nur kleine, aber wichtige und interessante Informationen. Wie muss man die Aufbereitung sehen, eng an der historischen Realität oder mit einem Teil dichterischer Freiheit?
Ich arbeite sehr eng entlang der historischen Realität. Alles basiert auf den schriftlichen Quellen oder auf Fotografien oder Bildern. Aber natürlich nutze ich dann die Kraft der Sprache, um die Ereignisse wiederzubeleben. Und da gibt es ein klein wenig dichterische Freiheit, aber eigentlich ist es ein Sachbuch, ein sehr erzählendes allerdings.
In Ihren erfolgreichen Büchern wie „Generation Golf“ und „1913“ ist die Vergangenheit Ihre Bühne. Könnten Sie sich Werke vorstellen, in denen Sie die Gegenwart und die Zukunft beleuchten? Vielleicht sogar nach dem bekannten Motto „Denk ich an Deutschland…“? Analyse, Rückblick und Ausblick?
Es gibt so viele Menschen, die einem die Gegenwart erklären wollen – und viele, die genau zu wissen meinen, wie alles weitergehen wird. Ich springe lieber in die Vergangenheit, tauche ein in unsere Geschichte und finde beim Tauchen am Meeresgrund viele aufregende Dinge, die ich dann ans Licht hole. Und dann erzähle ich, ohne mich vorher abzutrocknen, von diesem Tauchgang in die Tiefe.
Ein schönes Bild. Ziehen Sie persönliche Konsequenzen aus den Schätzen, die Sie vom Meeresgrund gehoben haben? Wenn ja, welche? Haben Sie selbst auf dem Feld der Liebe etwas dazu gelernt?
Nein, in der Liebe lernen wir alle nie dazu, habe ich das Gefühl. Alle sind genauso töricht und verliebt und gedankenverloren und verzweifelt und hoffnungsfroh zwischen 1929 und 1939 wie heute. Aber genau das macht ja schließlich auch den unzerstörbaren Reiz der Liebe aus. Und natürlich kann man genau das aus meinem Buch lernen – sich trösten lassen von den großen Geistern, denen es genau ging wie einem selbst.
Am Rande
Florian Illies hat in seinem neuen Buch „Liebe in Zeiten des Hasses“ manches Geheimnis geklärt, wenn er erzählt, wie die Prominenten der 20er Jahre liebten und lebten. Und doch ist bei seinem Buch ein Geheimnis übrig geblieben, das der geniale Rechercheur nicht lösen konnte. Jetzt setzt er dabei auf die Leser. Es geht um das Foto auf dem Cover seines Buches, das ein „Paar in Osthessen um 1930“ zeigt. Offenbar wissen weder die Bildagentur Mauritius images/United Archives, von der es stammt, noch der S.Fischer-Verlag noch Florian Illies selbst, wer es fotografiert hat, wo genau es aufgenommen wurde und wer das Paar unter dem Obstbaum ist. Verständlich, dass Illies gerne mehr über das stimmungsvolle Foto wüsste, das den Einband seines Bestsellers ziert. Da das Paar auf dem Foto etwa 30 Jahre alt sein dürfte und es in den 30er Jahren entstand, wären die beiden heute 120 Jahre alt. Vielleicht taucht da in einem alten Familienalbum noch ein Foto auf, aus dem sich Schlüsse auf die Identität der beiden und den Aufnahmeort ergeben. Wer das Geheimnis lösen kann, sollte an die Redaktion der Fuldaer Zeitung unter dem Stichwort „Florian Illies“ das Ergebnis senden oder abgeben. Vielleicht wird noch eine neue Geschichte von Liebe in Zeiten des Hasses daraus.
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Wer das Buch „Liebe in Zeiten des Hasses“ liest, hat bei jedem Absatz das Gefühl, das könnte der Start für einen spannenden historischen Roman sein. Haben Sie manchmal die Neigung verspürt, die gewählte Form zu verlassen und eine wunderbare, ausführliche Geschichte, angelehnt an die von Ihnen gefundenen historischen Informationen und Gegebenheiten, zu schreiben?
Nein. Ich bin sehr glücklich mit dieser Form, die ich für mich gefunden habe. Ich bin ein Geschichtenerzähler. Aber kein Geschichtenerfinder. Es macht mir eine große Freude, die Sprache und die Atmosphäre zu finden, um Vergangenheit lebendig werden zu lassen. Aber einen Roman möchte ich nicht schreiben. Davor habe ich einen Heidenrespekt. Meine Phantasie ist auch nicht so groß wie mein Gedächtnis, das kommt erschwerend hinzu.
Ihre Bücher sind grandiose Verkaufserfolge. Worauf führen Sie das zurück? Dass Sie der Geschichte Farbe geben, einen Stil gefunden haben, der verstanden und geliebt wird – oder auf etwas ganz anderes?
Man ist immer ein schlechter Interpret seiner selbst. Aber es stimmt: Ich finde es wichtig, wenn sich der Autor die Arbeit macht und nicht der Leser. Das heißt: Es reizt mich, über die Kulturgeschichte in einer anschaulichen, fremdwortfreien und im besten Fall mitreißenden Sprache zu schreiben. Ich freue mich einfach sehr über den großen Erfolg, und wenn mir jetzt sehr viele Leserinnen und Leser schreiben, sie würden absichtlich langsam lesen, damit das Buch noch bis Weihnachten reicht, dann ist das für einen Autor das schönste Kompliment.
Könnte die Heimat Ihrer Jugend einmal ein Thema werden?
Ich habe Schlitz, diesen wunderbaren Ort mit seinen Burgen und Fachwerkhäusern und den traumhaften Buchenwäldern rundherum, schon in „Generation Golf“ zum Thema gemacht und dann, vor 20 Jahren, auch in „Ortsgespräch“, meiner Hommage an die Provinz.