Wegweiser im Corona-Wust: Interkulturelle Impflotsen sollen Barrieren überwinden

Als die Stadt Fulda im Sommer ein Team von interkulturellen Impflotsen bildete, betrat sie damit Neuland. Nach 2000 Erst, Zweit- und Booster-Impfungen fällt die Zwischenbilanz rundum positiv aus.
Fulda - Fake News, Verschwörungstheorien und Vorurteile haben in der Corona-Pandemie Konjunktur. Über soziale Medien oder Chatgruppen verbreitet, erfassen diese alle gesellschaftlichen Schichten und sozialen Milieus. Um gezielt bei Menschen mit Migrationshintergrund Ängste, Bedenken oder Vorbehalte gegen das Impfen abzubauen und Aufklärung zu betreiben, hat die Stadt Fulda im August die Initiative ergriffen.
Seither hat ihr siebenköpfiges Team interkultureller Impflotsen fast zahlreiche Erst-, Zweit- und Booster-Impfungen in Kooperation mit Stadt, Landkreis, mobilen Impfteams, Arbeiterwohlfahrt und dem VdK begleitet. Hezdar Abdulaziz, Abdel Bayadrah, Dr. Naim Wardak, Ajla Metin, Brunilda Sulaj, Elsa Gebru und Gertrud Löw knüpfen die Kontakte dabei über ihre privaten Netzwerke ebenso wie über Vereine oder Religionsgemeinschaften. (Lesen Sie hier: Fulda als Hotspot-Region - Maskenpflicht am Universitätsplatz)
Corona in Fulda: Interkulturelle Impflotsen überwinden Barrieren
Gleich ob auf Russisch, Syrisch, Afghanisch, Arabisch oder Türkisch – über die direkte Ansprache in der jeweiligen Muttersprache sollen Hürden abgebaut und die Vorteile der Schutzimpfung untermauert werden. Selbstverständlich unterstützen die Lotsen vor Ort auch Deutsche beim Ausfüllen von Formularen oder koordinieren Fahrdienste. „Der Andrang ist immer groß“, berichtet Ajla Metin.

Die Impfbereitschaft habe zuletzt sogar zugenommen. Sie erfahre so viel Dankbarkeit von den Menschen, denen sie den Weg zur Covid-19-Impfung ebne. Ärzte, Impflotsen sowie ihre Ansprechpartner in Stadt und Landkreis bildeten inzwischen ein „tolles Team“. Die mobilen Impfaktionen steigerten zugleich das Gemeinschaftsgefühl, ist die gebürtige Wormserin überzeugt.
Vor Begeisterung sprüht auch Abdel Bayadrah. Er liebe seine neue Heimat Fulda, bekennt der 72-Jährige, der sich seit Ende 1980er-Jahre sozial in Osthessen engagiert. Seine Motivation? Der gebürtige Jordanier will Deutschland, das ihn nach der Flucht mit offenen Armen aufgenommen habe, „etwas zurückgeben“. Er sei stolz darauf, „meine Überzeugung weitergeben zu dürfen“. Noch nie habe er bei seinen vielen Gesprächen ein kategorisches „Nein“ zum Impfen gehört. (Mit dem Corona-Ticker für Fulda bleiben Sie auf dem Laufenden)
Hintergrund
Sind Menschen mit Migrationshintergrund stärker von Covid betroffen als Menschen ohne?
Diese These hält sich hartnäckig, bundesweite belastbare Daten gibt es aber nicht. Auch eine vielfach zitierte Aussage von RKI-Präsident Lothar Wieler, nach der mehr als 50 Prozent der Intensivpatienten ausländische Wurzeln hätten, ist aus dem Zusammenhang gerissen. Seine intern getroffene Aussage bezog sich lediglich auf die Situation in drei Intensivstationen deutscher Großstädte. „Geschlecht, Herkunft oder sozialer Status einer schwerkranken Person bei der Behandlung sind irrelevant“, unterstreicht der Präsident der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx. Es sei vielmehr Aufgabe, dafür zu sorgen, dass eine schwerkranke Person „die Möglichkeit bekommt, wieder zurück in ihr Leben zu finden“.
Gibt es womöglich kulturelle oder religiöse Vorbehalte gegen das Impfen?
Gunter Wiest, Chefarzt der Lungenabteilung der Asklepios-Klinik Hamburg-Harburg erklärt: „Der Anteil der Migranten unter unseren Intensivpatienten, die mit Corona behandelt werden, liegt etwa bei 50 Prozent.“ Beim Thema Impfen bestehe da klar Aufklärungsbedarf. Neben Sprach-Barrieren führt Wiest auch kulturelle oder religiöse Vorbehalte gegen das Impfen an. Freilich darf man bei der Bewertung der Fallzahlen nicht außer Acht lassen, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in Hamburg laut Statistik mit 33,9 Prozent ebenso deutlich über dem Bundesschnitt liegt wie zum Beispiel in Hessen mit 34,4 Prozent. Bundesweit hat indes jeder Vierte Einwohner (26 Prozent) ausländische Wurzeln - 52 Prozent von ihnen wiederum sind Deutsche.
Mit wilden Gerüchten, etwa dass die Impfung unfruchtbar mache, seien sie noch nicht konfrontiert worden, erklären die beiden Impflotsen. Weder kultureller Hintergrund noch Religionszugehörigkeit spielten für ihre Arbeit eine Rolle. Sie warnen vielmehr vor falschen Schuldzuweisungen und Ressentiments, die die Spaltung förderten, wo doch mehr Zusammenhalt vonnöten sei.
Nicht selten sei es schlicht Bequemlichkeit gewesen, warum sich manche Osthessen zunächst nicht hätten impfen lassen. Einige Impfaktionen hätten sogar ein bisschen Eventcharakter, sagt Metin. Musik, Kaffee und Kuchen oder gemeinsames Spielen vor oder nach der Impfung stärkten das „Wir-Gefühl“. Bayadrah bringt es auf den Punkt: „Wir bauen die Distanz ab.“
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Auch der Main-Kinzig-Kreis setzt bei seinen mobilen Impfaktionen erfolgreich auf eine direkte Ansprache. Aus Sicht der Gesundheitsbehörde des Kreises gebe es keine Hinweise auf eine besondere Impfskepsis unter Menschen mit Migrationshintergrund, erklärt Pressesprecher John K. Mewes. Maßgeblich für eine unterdurchschnittliche Impfquote in bestimmten Quartieren oder Straßenzügen sei vielmehr der sozioökonomische Status – also der Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit. Das betreffe gleichwohl auch zahlreiche Menschen ohne Migrationshintergrund.