Selbstverschuldet auf Corona-Station: „Ungeimpfte nehmen anderen die Betten weg“

78 Prozent der Patienten, die mit Covid-19 auf hessischen Intensivstationen liegen, sind nicht oder nur teilweise geimpft. Einige, die diese Menschen behandeln, macht das wütend. Zu recht – oder geht das Berufsethos vor?
Fulda/Schlüchtern - Wie die Deutsche Presse-Agentur schreibt, sei das eine Stimme, die anonym bleiben möchte. Auch aus Sorge, dass es sonst Ärger mit ihrer Klinik geben könnte. Doch: Wie groß ist diese Gruppe der gefrusteten Helfenden? Und was macht es mit Ärztinnen, Ärzten und dem Pflegepersonal, wenn sie in der Pandemie Menschen behandeln, die mit vollständiger Corona-Impfung wahrscheinlich nicht vor ihnen im Bett liegen würden? Ist das anders, als wenn ein Kettenraucher oder ein schwerer Alkoholiker in die Notfallambulanz kommt?
„Eigentlich nicht“, lautet die Antwort von Professor Dr. Dirk Meininger, Ärztlicher Direktor der Main-Kinzig-Kliniken. „Unsere Patienten werden unabhängig von ihrer persönlichen Geschichte immer professionell behandelt.“ In der Patientenversorgung zwischen Menschen, die selbst verschuldet oder ohne eigenes Zutun versorgt werden müssen, zu unterscheiden, sei weder ethisch noch professionell.
Corona-Lage im Krankenhaus: „Ungeimpfte nehmen anderen die Betten weg“
Das erklären unisono auch die anderen Kliniken: Das Klinikum Fulda betont, dass „selbstverständlich alle Patienten – auch die ungeimpften Covid-Patienten – bestmöglich und ohne Unterschied behandelt werden“. Die Helios St. Elisabeth Klinik in Hünfeld schreibt: „Aus ihrer Profession heraus behandeln ärztliche und pflegerisch tätige Mitarbeiter kranke Menschen, ohne zu hinterfragen, ob die Erkrankung selbst verschuldet sein könnte. Dies ist auch bei Covid-19 so.“ Da es in Deutschland keine Impfpflicht gebe, liege es in der Entscheidung des Einzelnen, sich impfen zu lassen oder eben nicht. „Wir appellieren weiter, sich impfen zu lassen“, betont Gudrun Käsmann, Pressesprecherin bei Helios.
Und aus dem Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda heißt es: „Mitarbeiter im Gesundheitswesen sind es gewohnt, mit infektiösen Patienten zu arbeiten. Sie sind es auch gewohnt, dass Patienten eine gesundheitliche Mitverantwortung für ihre Erkrankung tragen.“ Der Mensch und seine Erkrankung stünden im Mittelpunkt der Behandlung. „Wir wollen uns professionell um die Patienten kümmern, unabhängig davon, warum sie erkrankt sind. Frust gibt es deshalb nicht, zumindest nicht solange keine Überlastung entsteht.“ (Bleiben Sie mit dem Corona-News-Ticker für Fulda auf dem Laufenden.)
Impfung in Zahlen
10 Mal geringer ist laut RKI das Risiko für Geimpfte, mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus zu müssen.
77.000 Krankenhausaufenthalte und rund 20.000 Fälle auf den Intensivstationen sind nach RKI-Schätzungen durch Impfungen allein zwischen Januar und Juli verhindert worden.
214 Covid-Fälle lagen in der 37. Kalenderwoche in einem der 89 Krankenhäuser des Helios-Konzerns. 73 Prozent davon waren ungeimpft. Knapp 12 Prozent lagen auf der Intensivstation, auch überwiegend Ungeimpfte.
Eine Belastung ist die Corona-Krise für die Krankenhäuser allemal, wie Dirk Meininger aus dem Main-Kinzig-Kreis erklärt: „Die Situation ist auch für unsere Kolleginnen und Kollegen alles andere als leicht. Seit 20 Monaten arbeiten sie teils unter stärkster Belastung und erleben jetzt, dass fast alle Patienten, die sie versorgen, ungeimpft sind. Die Tatsache, dass sich das hätte vermeiden lassen, beschäftigt sie.“ (Lesen Sie hier: Lungenarzt rechnet mit steigenden Corona-Zahlen in Hessen)
Die Krankheit könne einen grausamen Verlauf haben. „Einer unserer beiden Covid-Patienten, die aktuell auf unserer Intensivstation behandelt werden, ist unter 30 Jahre alt und verfügt über keinen vollständigen Impfschutz.“ Das belaste auch die behandelnden Pfleger und Ärzte: „Auch um die Familien der Patienten tut es uns immer leid. Letztlich gibt es keinen besseren Grund, sich impfen zu lassen.“
Fünf von sechs Corona-Patienten im Klinikum Fulda sind ungeimpft
Im Fuldaer Klinikum werden derzeit sechs Covid-Patienten behandelt, fünf davon sind ungeimpft. „Darunter junge Menschen um die vierzig Jahre, die so schwer erkrankt sind, wie wir das bisher nur bei älteren Patienten gesehen haben“, erklärt Barbara Froese, Pressesprecherin am Klinikum. Die Patienten, die teilweise nach wochenlanger künstlicher Beatmung wieder auf die Beine kommen, würden es meist sehr bedauern, dass sie sich nicht hätten impfen lassen.
Die Zahl der Covid-Patienten schwanke im Herz-Jesu-Krankenhaus aktuell zwischen vier und sechs Personen. Überwiegend seien das ungeimpfte Patienten. „Vor allem die Jüngeren fühlen sich sehr krank und leiden auch unter Long-Covid-Symptomen wie anhaltende Luftnot, Kraftlosigkeit und Appetitlosigkeit mit Gewichtsverlust. Bei den Patienten mit Impfdurchbrüchen handelt es sich um Patienten über 80 Jahre“, erklärt Matthias Färber von der Pressestelle des Herz-Jesu-Krankenhauses.
Das Einzelschicksal berühre auf jeden Fall, unabhängig davon, ob der Patient eine Mitschuld an seiner Verfassung trage. Er sieht aber beim Thema Mitverantwortung einen Unterschied zwischen einem Raucher und einem ungeimpften Covid-Patienten: „Von dem Raucher geht keine Gefahr für die Behandler und die anderen Patienten aus, während der Covid-19-Patient ein hohes Risiko darstellt.“
Video: Faktencheck - Trotz Corona-Impfung im Krankenhaus?
Die Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) betont ebenfalls die Professionalität bei der Frage, wie die Haltung in den Krankenhäusern zu ungeimpften Corona-Patienten aussieht. Die Divi erklärt aber auch: „Natürlich sind Emotionen gegenüber dem Erkrankten ganz normal, auch negative.“ Sie gehörten jedoch in einen anderen Rahmen. „Sie müssen selbstverständlich ernst genommen werden und auch ihren Raum haben.“
Einen solchen Raum kennt Isabella Heuser recht gut. Die Professorin leitet die Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité. Sie habe keine Statistik oder belastbaren Daten, sagt die Ärztin. „Aber in unseren morgendlichen Besprechungen ist immer davon die Rede, dass es eigentlich unverantwortlich ist, dass jetzt nicht mehr Solidarität eingefordert wird. Dass man Impfbereitschaft von allen erwartet.“
Wenn es überall kostenlos und bequem Impfungen gebe, gebe es auch keine Entschuldigung mehr dafür, dass ein Mensch schwer erkranke. Sie selbst ärgere sich enorm darüber: „Da nehmen Ungeimpfte anderen Kranken die Betten weg – obwohl sie diese Betten mit Impfung gar nicht bräuchten. Das ist doch eine unglaublich unsolidarische Einstellung.“