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Kinder und Jugendliche im Corona-Lockdown: 70 Prozent mehr Anfragen bei Therapeuten in Fulda

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Von: Ann-Katrin Hahner

Kinder und Jugendliche in der Corona-Falle
Drei Therapeuten aus Fulda berichten davon, worunter Kinder und Jugendliche im Corona-Lockdown leiden.
Drei Therapeuten aus Fulda berichten davon, worunter Kinder und Jugendliche im Corona-Lockdown leiden. © Nicolas Armer/dpa

Mit dem Sommer könnte man meinen, Corona sei vorbei. Doch nicht so in den Sprechstunden von Dr. Ulrich Müller, Verena Groß und Maria Spies. Die drei Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten aus Fulda können die Arbeit, die durch die Folgen von Corona entsteht, kaum noch bewältigen.

Fulda - „Wir müssten eigentlich noch samstags in unseren Praxen arbeiten. Und selbst dann könnten wir das Aufkommen nicht bewältigen“, erklärt Dr. Ulrich Müller. Müller ist seit über 20 Jahren in Fulda als Kinder- und Jugendpsychologe niedergelassen. Was er und seine beiden Kolleginnen, Verena Groß und Maria Spies, die ebenfalls in Fulda praktizieren, in den vergangenen anderthalb Jahren zu bewältigen hatten, scheint auch langsam an ihnen zu zehren.

„Bundesweit spricht man von 40 bis 60 Prozent mehr Terminnachfragen in der Psychotherapie. Ich habe bei mir einmal überschlagen und komme sogar auf 70 Prozent“, berichtet Groß. Ihre beiden Kollegen nicken. Die Zahlen kommen in etwa auch bei ihnen hin. Zwar bieten alle drei Erstgespräche an, ein Therapieplatz ist für sie jedoch schwer, bis gar nicht mehr zu vergeben. Der Grund für die hohe Nachfrage in den letzten Monaten ist das, was seit Monaten an menschlichen Psychen weltweit nagt: die Corona-Pandemie und der Lockdown, der soziale Kontakte auf ein Minimum reduziert hat.

Corona in Fulda: Therapeuten mit 70 Prozent mehr Anfragen von Kindern und Jugendlichen

Wo die Krisen der Erwachsenen bereits erschüttern, wirken die gleichen Probleme bei Kindern und Jugendlichen geradezu verstörend, wenn die Therapeuten von einigen ihrer Sitzungen während des Corona-Lockdowns berichten. Während Groß aktuell viele Kinder und Jugendliche mit Waschzwängen und Angststörungen behandelt, weiß Ulrich Müller von einigen verzweifelten Eltern, deren Sprösslinge nicht mehr aus dem Bett kommen und den ganzen Tag im dunklen Zimmer verbringen. „Wenn Sie ein Kind vor sich sitzen haben, das sagt: ‚Ich will so nicht mehr weiterleben‘, dann erschreckt das ungemein“, sagt Maria Spies über die Zeit während des Lockdowns. Eigentlich, so erklärt ihre Kollegin Groß, kommen Menschen erst im Teenageralter mit dem Thema Suizid in Berührung.

Dass sich bereits Kinder so stark mit der Thematik auseinandersetzten, sei ungewöhnlich aber auch nicht weiter verwunderlich. Immerhin fehlten dem Nachwuchs Möglichkeiten, sich emotional aufzutanken – sei dies beim Treffen und Spiel mit Freunden, der Zeit im Verein oder einfach nur der Zeit zu Hause, in der es einmal nicht um Krankheitsthemen oder die Schule ginge. (Lesen Sie hier: Psychologin über Beziehungsstarts in der Corona-Krise)

„Man muss verstehen, dass dies das neue Normal für Kinder ist. Diese Gespräche über Krankheiten und Inzidenzen. Das Aufpassen bei Kontakt und Angst davor, sich oder auch andere anzustecken“, sagt Groß. Auch die Furcht vor Ausgrenzung sei gerade bei Jugendlichen ein großes Thema. „Ich habe Kinder bei mir in der Sprechstunde, die sich jeden Tag zu Hause selbst vor der Schule testen lassen. Weil sie Angst vor der Situation haben, in der Schule einen positiven Corona-Test zu machen“, sagt Groß.

Video: Wenn Corona auf die Psyche schlägt - 10 Tipps, die helfen

Überhaupt – und da sind sich die drei Therapeuten einig – hat die Schulsituation in vielen Familien zu Konflikten geführt und wird dies auch noch in Zukunft tun. Zum einen kämen da die verschobenen Grenzen zwischen Schule und Freizeit zum Tragen, meint Müller, zum anderen sei die Erwartungshaltung an die Kinder und ihre schulischen Leistungen trotz Pandemie nicht unbedingt kleiner geworden.

„Das böse Erwachen wird für einige nach den Sommerferien kommen“, fürchtet Spies. Denn dann mache sich erst recht bemerkbar, wer in der Zeit des Lockdowns genügend strukturelle und auch technische Unterstützung aus dem Elternhaus für das Homeschooling erhalten habe und wer nicht. „Angst, Unsicherheit und Druck werden dann nicht nachlassen. Sie bleiben“, vermutet Müller.

Worauf die drei Therapeuten jedoch Wert legen: Nicht jedes Kind, nicht jeder Jugendliche, der sich aktuell bei ihnen in Behandlung befindet, ist psychisch krank. „Man muss sagen, dass diese Zeit aktuell extrem schwierig für Kinder und Jugendliche ist. Aber dabei handelt es sich dann meist um belastete Kinder und nicht um pathologische Fälle“, betont Müller.

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