Was noch vor kurzer Zeit von Spitzenpolitikern verschiedener Parteien kategorisch ausgeschlossen wurde, soll nun Gesetz werden: eine allgemeine Impfpflicht. Zwar können sich Situationen ändern. Aber in einer spannungsreichen Zeit, in der es in besonderem Maße darauf ankommt, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und Entscheidungsprozesse zu festigen, ist es besonders problematisch, die früheren Festlegungen in einer Frage, die den Kern der Grundrechte betrifft, einfach zu Makulatur zu erklären.
In einem freiheitlichen Rechtsstaat und einer liberalen Demokratie darf sich der Staat nicht anmaßen, dem einzelnen Menschen eine bestimmte ärztliche Behandlung aufzuzwingen. Das gilt umso mehr angesichts der Tatsache, dass es sich um neu entwickelte Impfmethoden handelt und wir im Hinblick auf Grad und Dauer der Impfwirkung ständig dazulernen.
Daher gilt mit Blick auf allfällige Verweise auf die Impfpflichten gegen Masern und Pocken: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Anders als die Impfungen gegen diese Infektionen bieten die Corona-Impfungen weder sterile noch dauerhafte Immunität. Sie sind ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung schwerer Krankheitsverläufe und zur Entlastung des Gesundheitssystems. Nicht mehr und nicht weniger.
Eine allgemeine Impfpflicht wird die schon jetzt erkennbaren Spaltungstendenzen in der Gesellschaft auf hochgefährliche Weise verstärken. Die damit verbundenen Verwerfungen sind nicht zu verantworten. Es gibt einen Unterschied zwischen einer entschlossenen, klugen Pandemiebekämpfung einerseits und einer schleichenden Gewöhnung an ein Übermaß staatlicher Eingriffe andererseits. Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist deshalb auch sinnvoll und politisch klug.
Der freiheitliche Rechtsstaatlebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Dazu gehören Entscheider, die Verantwortung für die Freiheit wahrnehmen: Das Notwendige tun, ohne mit dem Ausnahmezustand zu flirten.“