Im Vogelsberg wurden 54 Bußgeldverfahren eröffnet, weil Personen nicht auf die Schreiben des Gesundheitsamtes reagierten. Weil sich 43 Personen dann doch meldeten, verhängte der Vogelsberg elf Bußgelder – nicht wegen fehlender Impfung, sondern wegen fehlender Information des Gesundheitsamtes. (Lesen Sie hier: Patientenzahl vervierfacht: Corona setzt Kliniken in Osthessen unter Druck)
Warum haben die Gesundheitsämter die vom Bund angedrohten Betretungs- oder Tätigkeitsverbote nicht verhängt? Der Vogelsbergkreis erklärt: „Betretungs- oder Tätigkeitsverbote sind das letzte geeignete Mittel in dem Verfahren. Darin hat die Versorgungssicherheit mindestens die gleiche Bedeutung wie der Schutz vor Corona-Infektionen.“ Bei der Entscheidung über Tätigkeitsverbote seien auch dem Interesse der Einrichtung und der Aufrechterhaltung der Versorgung der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Die betroffenen Einrichtungen verwiesen fast immer darauf, dass die betroffenen Mitarbeiter unabkömmlich seien.
Der Main-Kinzig-Kreis ergänzt: „Die derzeitige rechtliche Lage macht das Verhängen von Betretungs- oder Tätigkeitsverboten unmöglich. Die meisten Einrichtungen erklären, dass die betroffenen Mitarbeiter unabkömmlich seien. Oft konnten zudem für Betroffene mit hygienetechnisch aufwendigen Tätigkeiten andere Arbeitsplätze festgelegt werden.“ Der Vogelsbergkreis verweist auf etwas Weiteres: Beim Verhängen von Tätigkeitsverboten wäre die schwierige Lage in Kliniken und Pflegeheimen noch kritischer geworden und hätte eventuell zu lebensbedrohlichen Situationen durch Personalmangel geführt.
Wenn die Impfpflicht in Pflege und Gesundheit eine so schlechte Bilanz aufweist, sollte die Pflicht dann über das Jahresende hinaus verlängert werden? Frederik Schmitt (CDU), Vize-Landrat und Gesundheitsdezernent des Landkreises Fulda, hat eine klare Haltung: Impfen bleibe wichtig. „Doch das Instrument der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ist gescheitert. Deswegen sollte diese sofort ausgesetzt werden, mindestens aber Ende 2022 auslaufen. Die Versorgungssicherheit in Gesundheits- und Pflegebereich hat in der Abwägung derzeit den größeren Wert. Der Personalengpass im Gesundheits- und Pflegebereich darf nicht noch verschärft werden.“
Schmitt ergänzt, Aufwand und Ertrag bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht stünden im deutlichen Missverhältnis. „Die Pflicht hat die Einrichtungen und das Gesundheitsamt mit einem überbürokratisierten Verfahren belastet.“ Man dürfe die Maßnahme auch deshalb nicht verlängern, weil die ursprünglich geplante allgemeine Impfpflicht vom Tisch ist. Schmitt kritisiert auch, „dass die Bundesregierung bis heute die Einrichtungen und alle Betroffenen im Unklaren lässt, ob die einrichtungsbezogene Impfpflicht verlängert werden soll.“
Auch die Vize-Landrätin und Gesundheitsdezernentin Susanne Simmler (SPD) im Main-Kinzig-Kreis äußert sich kritisch: „Letztlich wirkt die einrichtungsbezogene Impfpflicht wie ein letztes Relikt aus einer anderen Akutphase dieser Pandemie.“ Die Impfpflicht habe das Gesundheitsamt stark belastet, habe aber immerhin dazu beigetragen, dass die Zahl der Corona-Ausbrüche in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen geringer als in den Vorjahren ausfiel.
Impfen bleibe sehr wichtig. „Ob es obendrein noch eine einrichtungsbezogene Impfpflicht braucht, bezweifle ich, wenn die Grundausrichtung im Bund und in den Ländern doch eher lautet: so wenig staatliche Eingriffe wie möglich, so viel Eigenverantwortung wie möglich. Dann kann man den Einrichtungen wie auch den Gesundheitsämtern diesen Zusatzaufwand künftig ersparen.“
Im Vogelsbergkreis äußert Vize-Landrat und Gesundheitsdezernent Dr. Jens Mischak (CDU): „Die einrichtungsbezogene Impfpflicht war zwar gut gemeint, die Politik hat die praktische Umsetzung jedoch nicht bedacht.“ Sie habe nicht zuletzt das Gesundheitsamt so stark belastet, dass zu Beginn andere, gesetzlich vorgegebene Aufgaben liegen blieben. Mischak kritisiert: „Aufwand und Ertrag standen letztendlich in keinem angemessenen Verhältnis. Zwar ließen sich noch einige Mitarbeiter in den betroffenen Einrichtungen impfen, jedoch standen der Aufwand und Erfolg in keinem angemessenen ökonomischen Verhältnis.“
Auch die angespannte Personalsituation in Altenheimen und Krankenhäusern habe der Bund nicht berücksichtigt. Um den Gesundheitsbetrieb in Altenheimen und Krankenhäusern aufrechterhalten zu können, seien viele Ausnahmegenehmigungen erteilt worden, sagt Mischak.