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Corona-Lockdown: Situation der Unternehmen hat sich „deutlich verschlechtert“ - Anträge für Hilfen zu komplex?

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Von: Bernd Loskant

Gestapelte Stühle im Corona-Lockdown.
Der Lockdown dauert an: Viele Betriebe, etwa im Bereich der Gastronomie bleiben geschlossen. © Paul Zinken/dpa

In der Corona-Pandemie steht die Wirtschaft mit dem Rücken an der Wand. Viele Unternehmen klagen über ausbleibende Hilfszahlungen. „Viel Zeit bleibt nicht mehr“, sagt die Steuerberaterin Bianca Alt aus Fulda im Gespräch mit unserer Zeitung.

Frau Alt, Sie sind Steuerberaterin und Partnerin der Kanzlei Alt & Partner Steuerberatungsgesellschaft mbB in Fulda. Welche sind derzeit die Hauptprobleme mittelständischer Unternehmen bei der Beantragung der Corona-Hilfen? 

Die Anträge sind sehr komplex. Viele Daten müssen zusammengetragen und überprüft werden, insbesondere auch bei Fremdbuchhaltungen, also wenn das Rechnungswesen nicht vom beantragenden Steuerberater selbst geführt bzw. gebucht wird. Daneben haben die unterschiedlichen Zuschussprogramme voneinander abweichende Regularien – und es gibt unterschiedliche Interpretationen und Vorgaben an Begrifflichkeiten wie beispielsweise die der Fixkosten. 

Sehen Sie, was die Abwicklung der Corona-Hilfen angeht, Unterschiede zwischen dem ersten Lockdown 2020 und der Situation jetzt? 

Die ersten Programme konnten von den Unternehmen teilweise selbst beantragt werden. Jetzt müssen die Anträge über Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte gestellt werden, die dadurch auch in die Haftung für unberechtigt angeforderte Hilfen mit eingebunden sind. Wir müssen deshalb die Angaben verifizieren, was nicht immer einfach ist. Zudem haben sich auf Basis der im Frühjahr gemachten Erfahrungen die geforderten Angaben und Kontrollen erhöht, insbesondere auch wegen unberechtigter Antragstellungen. Insgesamt sind die Verfahren deshalb auch komplizierter und die Rückfragen detaillierter geworden.

Corona-Hilfen: Steuerberaterin kritisiert fehlende Transparenz zur Lockdown-Aufhebung

Woran liegt es, dass die Corona-Gelder so spärlich fließen?

Es ist sicher einerseits ein Massenproblem, und andererseits sprechen wir bei den derzeitigen Hilfen inzwischen auch von ganz anderen Größenordnungen, was die jeweilige Förderhöhe anbelangt. In diesem Zusammenhang mussten die personellen Strukturen für die intensivere Prüfung und die IT-Technik im Hintergrund erst eingerichtet werden. Das hat zu erheblichen Verzögerungen geführt. 

Bianca Alt ist Steuerberaterin und Partnerin der Kanzlei Alt & Partner Steuerberatungsgesellschaft mbB in Fulda.
Bianca Alt ist Steuerberaterin und Partnerin der Kanzlei Alt & Partner Steuerberatungsgesellschaft mbB in Fulda. © Robert Groß/Alt & Partner

Inwieweit sind Mandanten durch ausbleibende Corona-Hilfen sogar in ihrer Existenz bedroht?

Durch die zweite, inzwischen seit mehreren Monaten anhaltende Lockdown-Phase hat sich die Situation der Unternehmen deutlich verschlechtert. Bei vielen sind die Reserven nahezu verbraucht. Das führt zur Verknappung der Liquidität und damit in die Nähe der Zahlungsunfähigkeit. Viel Zeit bleibt den Unternehmen nicht mehr.

Registrieren Sie zunehmende Wut bei Ihren Mandanten?

Ich glaube, nicht nur bei Unternehmern entstehen immer mehr negative Auffassungen, das betrifft alle. Doch die Unsicherheit über die Zukunft ist das, was den Unternehmen zusetzt. Wo ist die Perspektive für die nächsten Wochen und Monate, fragen sich viele. Was fehlt, sind klare Aussagen, wann und unter welchen Voraussetzungen der Lockdown aufgehoben wird. Die Inzidenzwerte werden immer wieder neu definiert. Erst sollte bei 50 eine Lockerung erfolgen, jetzt werden Werte von 35 oder gar 10 ins Gespräch gebracht. Trotz aller nicht zu leugnender Schwierigkeiten, wie mit der Krise richtig umgegangen werden muss, sollte die Politik klare Vorgaben machen und nicht immer neu Entscheidungen vertagen. Die Wirtschaft insbesondere braucht Planungsgrundlagen.

Wie sehr sind die Steuerberater derzeit durch die Anträge auf Überbrückungshilfen belastet, vielleicht sogar überlastet? 

Steuerberater und ihre Mitarbeiter/innen werden zurzeit extrem gefordert. Die Bearbeitung der Zuschussanträge, des Kurzarbeitergeldes, aber auch die Hilfe bei Liquiditätssteuerung und Finanzplanung verursachen hohen Zeitaufwand. Unsere Kanzlei arbeitet nun seit fast einem Jahr ununterbrochen auf Höchstleistung. 

Vor allem in der Gastronomie wurde auf die Zusage vertraut, in den Monaten November und Dezember 75 Prozent des Vorjahresumsatzes zu erstatten. Sind die von der Politik versprochenen Summen in der Praxis auch zur Auszahlung gekommen?

Es ist zutreffend, dass bisher häufig nur für die November- und Dezemberhilfen Abschlagszahlungen zur Auszahlung kamen, allerdings bei den von uns gestellten Anträgen nur dann, wenn eine Größenordnung von 50.000 Euro Gesamtanspruch überschritten wurde. Kleinere Anträge mit geringerem Volumen werden, insbesondere bei der Überbrückungshilfe, teilweise von heute auf morgen genehmigt. Ansonsten muss man bei üblichen Höhen so mit sechs bis acht Wochen Bearbeitungszeit rechnen. Was ich so nicht bestätigen kann, ist, dass nicht die vollen 75 Prozent des Vorjahresumsatzes zur Auszahlung kommen. Allen von uns gestellten Anträgen wurde ausnahmslos und zu einhundert Prozent entsprochen, und es kam bisher zu keinerlei Abweichungen gegenüber den gestellten Anträgen.

Im Video: Corona-Hilfspakete und die Wirtschaft

Wer sind die Verlierer der Corona-Hilfspakete – wer wird zu wenig berücksichtigt?

Im Bereich der November- und Dezemberhilfen sind insbesondere Mischbetriebe (innerhalb eines Betriebes diverse Sparten) und Unternehmensverbünde, die in unterschiedlichen Branchen tätig sind, die klaren Verlierer. Und dann natürlich Betriebe, die erst von der Schließung ab dem 16. Dezember 2020 betroffen waren. Wovon diese Unternehmer in den letzten neun Wochen – und es ist noch kein Ende in Sicht – ihren privaten Lebensunterhalt bestritten haben, danach fragt leider niemand.

Frau Alt, vielen Dank für das Gespräch.

Viele Unternehmer aus der Region Fulda haben unterdessen das Vertrauen in Politik mitunter verloren. Auch, weil die Corona-Hilfszahlungen tröpfeln, gar nicht ankommen oder zu spät ankommen. Lesen hier, was zu dem Thema Corona-Hilfen folgende Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Region Fulda sagen: Katrin Haben (Inhaberin des Brautmodengeschäfts „The One“), Svenja und Michael Glas (Inhaber des Grill-Restaurants Kneshecke), Kristin und Wolfgang Reiter (Inhaber Frisurenstudio Reiter) und Reginald Bukel (Inhaber des Modegeschäfts Catwalk im Centhof).

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier hat bei einem virtuellen Wahlkampf-Termin derweil Öffnungen von Geschäften in Aussicht gestellt. Er will sich am Donnerstag (25. Februar) im Detail äußern.

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