Folgen reichen bis nach Fulda: Schweinemäster kämpfen mit Coronavirus-Skandal bei Tönnies

240 Kilometer. So weit ist es vom Hof von Landwirt Peter Bleuel (52) in Fulda-Oberrode bis Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh. Doch die Krise um Deutschlands größten Schlachthof Tönnies trifft auch Bleuel – wie alle Schweinemäster in Osthessen.
- Der Skandal um Deutschlands größten Schlachthof Tönnies macht auch den Schweinemästern in der Region Osthessen zu schaffen.
- Landwirten wie Peter Bleuel macht vor allem der Preisverfall zu schaffen.
- Vor Beginn der Coronakrise, lag der Marktpreis noch bei 2,02 Euro pro Kilogramm. Jetzt liegt die Notierung bei 1,47 Euro. Jede Woche wird der Preis neu festgelegt.
Fulda - „Schweinestau im Stall – was tun?“ und „Schweine beim Futter hinhalten?“ Das sind zwei Schlagzeilen als Fachzeitschriften für Schweinezüchter. Die Schließung des Schlachthofs von Clemens Tönnies trifft die Züchter bis ins Mark. Der seit drei Wochen geschlossene Betrieb hat im Jahr 17 Millionen Schweine geschlachtet – jedes dritte Schwein in Deutschland.
Die Schockwellen treffen auch die Landwirte, die gar keine Geschäftsbeziehung zu Tönnies unterhalten. „Die osthessischen Schweinemäster liefern ihre Tiere meist an den Schlachthof in Crailsheim in Baden-Württemberg und an Metzger in der Region. Trotzdem haben sie jetzt zu kämpfen – und zwar doppelt“, berichtet Sebastian Schramm, Geschäftsführer des Kreisbauernverbands Fulda-Hünfeld. „Der Preis ist stark gesunken, und es gibt einen Rückstau in den Betrieben.“
Skandal um Tönnies-Schlachthof: Schweinemast und Landwirtschaft in Fulda spürt die Folgen
Wenn ein Großteil der Schlachtschweine nicht auf den Markt kommt, müsste der Preis eigentlich sinken. Aber der Schweinepreis funktioniert anders. „Wir können die schlachtreifen Tiere ja nicht auf Lager legen. Wir sind faktisch zur Lieferung gezwungen“, erklärt Peter Bleuel.
Die Schweineproduktion ist genau getaktet. Alle zwei Wochen bekommt Bleuel neue Ferkel. Die muss er abnehmen. „Mein Ferkellieferant muss ja auch irgendwo hin mit seinen Tieren. Nach 120 bis 125 Tagen sind die Tiere schlachtreif“, erklärt Bleuel. 1800 Schweine mästet er in seinem Betrieb in Oberrode – das gilt als mittlere Größe. Der Familienbetrieb produziert das Getreide, das die Schweine als Futter kriegen, auf 170 Hektar Land selbst.
Zahl der Schweinemäster sinkt
Die Zahl der Schweinemäster in Osthessen ist in den vergangenen fünf Jahren stark gesunken – stärker als die Zahl der Bauernhöfe insgesamt.
Kreis Fulda
Im Landkreis Fulda gibt es 586 Schweinebetriebe – darunter zehn Höfe, die Ferkel produzieren – 49 Prozent weniger als 2015. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Höfe um 5,7 Prozent auf 2040.
Vogelsbergkreis
265 schweinehaltende Betriebe – darunter 53 Betriebe mit Zuchtsauen – gibt es im Vogelsberg – 35 Prozent weniger als 2015. Die Zahl der Höfe sank seit 2015 um 6,7 Prozent auf 1400 Betriebe.
Main-Kinzig-Kreis
Um 32 Prozent auf jetzt 232 Betriebe – darunter 16 Sauenbetriebe – sank im Main-Kinzig-Kreis die Zahl von 2015 bis jetzt. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der landwirtschaftlichen Höfe um 10,4 Prozent auf 1300.
Die Angaben stammen aus den drei Kreisverwaltungen.
Peter Bleuel: Schweinemast bleibt nicht vom Preisverfall verschont
Jede Woche kommen 100 Tiere zum Schlachter. Bleiben sie länger, werden sie größer und fetter. Dafür zieht der Lieferant Geld ab. „Der Schlachthof wünscht sich Tiere mit einer Standardgröße von 118 bis 128 Kilogramm und 57 Prozent Magerfleisch. Auf die Verarbeitung dieser Größe ist der Schlachthof eingestellt. Und so haben der Schinken und das Schnitzel immer annähernd die gleiche Größe“, erklärt Bleuel. Er hat Glück:Noch bekommt er seine Tiere los. Zahlreiche Halter sind schlechter dran. Sie versuchen, ihre Schweine auf Diät zu setzen, damit sie langsamer wachsen.
Was Bleuel nicht verschont, ist der Preisverfall. Im März, vor Beginn der Coronakrise, lag der Marktpreis noch bei 2,02 Euro pro Kilogramm, jetzt liegt die Notierung bei 1,47 Euro. Jede Woche wird der Preis neu festgelegt.
Nach Schließung des Tönnies-Schlachthofs: Familienbetrieben ebenfalls in der Kritik
Der Preisverfall setzte schon vor der Schließung des Tönnies-Großbetriebs, dessen Leiter nun die Erstattung von Lohnkosten fordert, an. Danach beschleunigte sich der Verfall. „Wir Schweinezüchter stehen der Entwicklung machtlos gegenüber. Das ist Marktwirtschaft“, sagt Bleuel. „Ich will nicht klagen. Der Schweinepreis schwankt extrem. Wichtig ist, dass am Ende des Jahres genug übrig bleibt.“ Zu Beginn des vergangenen Jahres lag der Preis mit 1,36 Euro sogar noch niedriger.“
Was ihn mehr ärgert als das Auf und Ab der Preise, ist die grundsätzliche Diskussion um die Landwirtschaft, die nach der Schließung des Tönnies-Schlachthofs begonnen hat:„Es wird Kritik an einer angeblichen Massentierhaltung geübt, die Familienbetriebe und Großbetriebe wie in Ostdeutschland über einen Kamm schert. Zudem wachsen fast im Jahresrhythmus die Auflagen an die Ställe, die die Schweinehaltung unwirtschaftlich machen – ganz unabhängig von der Diskussion um Tönnies.“
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