Covid 19 und die Spätfolgen: Pneumologe Philipp Markart warnt – „Lungenfibrosen sind sehr schwer behandelbar“

Im Interview mit der Fuldaer Zeitung warnt Prof. Dr. Philipp Markart, Direktor der Pneumologie am Klinikum Fulda, vor zu schnellen Corona-Lockerungen und Coronavirus-Spätfolgen. „Lungenfibrosen sind sehr schwer behandelbar“, sagt er.
- Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei, sagt Experte Philipp Markart
- Lungenversagen durch das Coronavirus: In einer Kolumne hatte Markart bereits die Folgen des Virus für den Patienten beleuchtet
- Markart erwartet, dass sich die Deutschen an Maske und Abstandsregeln gewöhnen müssen - und hält weitere Beschränkungen für möglich
In Berlin und anderen Städten fordern Demonstranten das Ende aller Corona-Auflagen. Sind die, die sich jetzt für eine weitere Lockerung der Maßnahmen stark machen, zu leichtsinnig?
Deutschland hat die Corona-Pandemie bisher relativ gut überstanden. Aus meiner Sicht sind die beschlossenen Infektionsschutzmaßnahmen und die Tatsache, dass weite Teile der Bevölkerung diese Maßnahmen mitgetragen und konsequent umgesetzt haben, dafür verantwortlich. Aktuell steigen die Infektionszahlen wieder. Und nicht nur das, auch die Zahl der Erkrankten nimmt wieder zu. Auch im Klinikum Fulda behandeln wir wieder Patienten mit Covid-19, die so schwer erkrankt sind, dass sie stationär behandelt werden müssen und Sauerstoff brauchen. Vor diesem Hintergrund sollte man aus meiner Sicht sorgfältig abwägen, in welchen Bereichen und ab welchem Zeitpunkt Lockerungen überhaupt möglich sind. In Abhängigkeit der Entwicklung der nächsten Wochen könnten in manchen Bereichen sogar wieder vermehrte Beschränkungen erforderlich werden.
Werden wir uns an Maske, Abstandsregeln und die Verwendung von Desinfektionsmitteln gewöhnen müssen?
Aufgrund der hohen Infektiosität des Virus und der bisher fehlenden Immunität in der Bevölkerung sind die genannten Maßnahmen entscheidend im Kampf gegen eine unkontrollierte Ausbreitung von SARS-CoV-2. Sie sind bereits Teil unseres Alltags, und das wird nach meiner Einschätzung auch in der näheren Zukunft so bleiben – mindestens bis zum Zeitpunkt, zu dem ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht.
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Sie sagen selbst: Deutschland ist bislang glimpflich durch die Pandemie gekommen. Gibt es neue Erkenntnisse – ist Covid-19 immer noch das Killervirus, als das es am Anfang auch von vielen Medizinern gesehen wurde?
Die Tatsache, dass die Pandemie in Deutschland relativ glimpflich verlaufen ist, heißt ja nicht, dass das Virus ungefährlich ist. Gerade der Blick auf andere Länder, die erheblich stärker als Deutschland getroffen wurden, zeigt, dass ein Gesundheitssystem bei unkontrollierter Verbreitung des Virus schnell an seine Grenzen stoßen kann. In stark betroffenen Ländern wie Italien und Spanien gab es eine deutliche Übersterblichkeit während des Höhepunktes der Pandemie. Hinzu kommen dramatische individuelle Verläufe, die wir auch am Klinikum Fulda beobachtet haben, nämlich relativ junge Patienten ohne schwere Vorerkrankungen, die praktisch aus völliger Gesundheit heraus schwere, teils tödliche Verläufe erlitten. Weiterhin haben wir in den letzten Monaten die Erkenntnis gewonnen, dass SARS-CoV-2 eben nicht nur die Lunge, sondern häufig auch andere Organe schädigen kann mit möglichen, bisher nicht genau absehbaren Langzeitfolgen für die erkrankten Patienten. Insofern sind wir, glaube ich, gut beraten, dieses Virus weiterhin sehr ernst zu nehmen und uns bewusst zu machen, dass die Pandemie nicht zu Ende ist.
Nach rund einem halben Jahr Erfahrung im Umgang mit dem Virus auch am Klinikum Fulda: Was macht Covid-19 aus Ihrer Sicht so gefährlich?
Die Gefährlichkeit und die Unberechenbarkeit des Virus sind auch deshalb so groß, weil es in der Bevölkerung so gut wie keine Immunität gegen SARS-CoV-2 gibt. Solange es keinen Impfstoff gibt, wird das auch so bleiben. Aber auch die hohe Infektiosität, die Übertragbarkeit auch durch asymptomatisch Infizierte – also durch Menschen ohne Erkältungsbeschwerden o. ä. – und die teilweise sehr schweren Krankheitsverläufe tragen zu dieser Unberechenbarkeit bei. Auch wenn wir mittlerweile gewisse Risikofaktoren für ungünstige Verläufe kennen, haben wir bisher nur unvollständige Kenntnisse darüber, welche Faktoren im Einzelfall den Verlauf bestimmen. Es ist praktisch nicht möglich, den individuellen Verlauf vorherzusagen. Diese Erfahrungen haben wir auch am Klinikum Fulda gemacht: Es sind eben nicht nur ältere Patienten mit schweren Vorerkrankungen, bei denen sich der Verlauf ungünstig entwickelt, sondern auch Patienten, die diesem Risikoprofil nicht entsprechen. Hier ist mir besonders aufgefallen, dass auch bis dato gesunde, sportliche, relativ junge Menschen – selbst wenn eine intensivmedizinische Behandlung nicht notwendig war – eine erhebliche Krankheitsschwere aufwiesen und stark beeinträchtigt waren.
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Gibt es Fortschritte bei der Behandlung?
Bisher ist weitgehend unklar, wie Covid-19-Patienten optimal zu behandeln sind. Dies betrifft vor allem auch die gezielte, gegen das Virus gerichtete medikamentöse Therapie. In diesem Zusammenhang wurden in den letzten Monaten immer wieder Wirkstoffe zur Behandlung von Covid 19 ins Spiel gebracht, bei denen nur eine sehr begrenzte Evidenz vorlag, das heißt die Beweislage war mehr als dünn. Hinzu kamen nicht unerhebliche Nebenwirkungen. Wir stehen da vor einer Herausforderung: Unter Risiko-Nutzen-Abwägung und in Abhängigkeit von der jeweiligen Krankheitsphase müssen wir individuell für jeden einzelnen Patienten entscheiden, ob er oder sie von derartigen Therapien profitieren könnte und wenn ja, den optimalen Zeitpunkt der Medikamentengabe festlegen. Weitere Herausforderungen werden möglicherweise in Zukunft noch auf uns zukommen, wenn besser absehbar sein wird, welche gesundheitlichen Langzeitfolgen durch SARS-CoV-2 hervorgerufen werden können.
Was wissen Sie inzwischen über Folgeerkrankungen von Patienten, bei denen Covid-19 nachgewiesen wurde? Berichtet wird über Symptome wie anhaltende Luftnot, allgemeine Erschöpfung, Lungenembolien und neurologischen Störungen.
Dies ist ein hochrelevantes wichtiges Thema, welches uns vermutlich zukünftig sehr beschäftigen wird. Letztlich sind die medizinischen Langzeitfolgen und deren Ausmaß gegenwärtig noch weitgehend unklar. Viele der betroffenen Patienten, die das Krankenhaus wieder verlassen konnten, waren zum Entlasszeitpunkt noch deutlich klinisch eingeschränkt, teilweise auch noch sauerstoffpflichtig. Die im Röntgenbild nachweisbaren Veränderungen der Lunge hatten sich noch nicht vollständig zurückgebildet. Was am Ende auch langfristig bestehen bleiben wird oder sich doch noch zurückbildet, kann man erst einige Monate nach der akuten Erkrankungsphase beurteilen. Wir werden die konkreten Erkenntnisse bzgl. möglicher Langzeitfolgen der im Klinikum Fulda behandelten Patienten erst im Laufe der nächsten Wochen gewinnen. Im Hinblick auf mögliche Langzeitschäden an der Lunge sind v. a. Vernarbungen oder Versteifungen im Sinne einer Lungenfibrose und hiermit einhergehende lungenfunktionelle Einschränkungen denkbar. Lungenfibrosen sind prinzipiell sehr schwer behandelbar.
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Sind diese Folgen Ihrer Erfahrung nach auf die Lunge beschränkt?
Mittlerweile verstehen wir Covid-19 durchaus als Systemerkrankung, bei der auch weitere Organe betroffen sein können, z. B. das Herz und die Niere, an denen sich ebenfalls langfristige Schäden entwickeln können. Langfristige, irreversible Organschäden sind vor allem bei schweren Verläufen mit entsprechender Organbeteiligung in der akuten Krankheitsphase zu erwarten. Andere, eher allgemeine Symptome wie eine chronische Müdigkeit (sog. Fatigue-Syndrom) sind aber auch bei milderen Verläufen denkbar.
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Zur Person
Prof. Dr. Philipp Markart ist gebürtiger Fuldaer. Nach dem Abitur studierte er Medizin an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und erhielt 1999 seine Approbation. Seit 2007 war er als Oberarzt für Innere Medizin/Pneumologie der Medizinischen Klinik und Poliklinik II am Zentrum für Innere Medizin am Universitätsklinikum Marburg/Gießen tätig. Nach seiner Habilitation für das Fach Innere Medizin wurde ihm 2010 die Bezeichnung „außerplanmäßiger Professor“ verliehen. Auf dem Gebiet der interstitiellen/fibrosierenden Lungenerkrankungen gilt Prof. Markart als international anerkannter Experte. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Seit 2014 ist er am Klinikum Fulda Direktor der Medizinischen Klinik V – Pneumologie.
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Ein längere Fassung des Interviews lesen Sie in der Mittwochausgabe der Tageszeitung und im E-Paper.
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