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Vierte Corona-Impfung: Ja oder Nein? Das raten Stiko und Experten

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Vierte Impfung gegen Corona? Die Meinungen von Gesundheitsminister Lauterbach und der Ständige Impfkommission sind verschieden. (Symbolbild) © Kay Nietfeld/dpa/Symbolbild

Angesichts steigender Corona-Fallzahlen ausgerechnet zur Reisezeit fragen sich auch viele Jüngere: Sollte ich mich jetzt zum zweiten Mal boostern lassen? Gesundheitsminister Lauterbach hält das für sinnvoll, doch die Ständige Impfkommission (Stiko) ist anderer Meinung. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.

Wem wird eine zweite Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus empfohlen?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat vor einigen Tagen wieder einmal für Schlagzeilen gesorgt – mit seinem Ratschlag an alle, die „einen ruhigeren und beschwerdefreieren Sommer haben wollen“, eine vierte Impfung in Erwägung zu ziehen. Lauterbach sagte: „Diejenigen, die den Sommer für sich selbst absichern wollen – da ist eine vierte Impfung auf jeden Fall eine gute Investition, weil sie wird für einige Monate das Risiko, sich zu infizieren, reduzieren und vor schweren Verläufen schützen.“

Doch im Moment empfiehlt die Stiko eine vierte Impfung vor allem bestimmten Risikogruppen, etwa Menschen mit unterdrücktem Immunsystem, Pflegeheimbewohnern, Menschen ab 70 und Personal medizinischer Einrichtungen. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung haben nach Daten des Robert Koch-Instituts 6,5 Prozent eine zweite Auffrischimpfung erhalten. „In den USA hat die Gesundheitsbehörde FDA der zweiten Boosterung nun zugestimmt und dabei die Altersgrenze auf 50 Jahre gesenkt“, ergänzt Professor Daniel Jaspersen, Gesundheitsexperte unserer Zeitung. 

Vierte Impfung gegen Corona: Für wen ist der zweite Booster sinnvoll? Das sagen Stiko und Experten

Ist ein zweiter Booster auch für Nicht-Risikopatienten sinnvoll?

Letztlich liegt diese Entscheidung bei jedem selbst. Fest steht: Mit der Zeit nimmt die Immunität gegen Covid-19 ab. „Wissenschaftliche Daten lassen auch nach Auffrischimpfung einen nachlassenden Schutz vor symptomatischer Infektion über die Zeit vermuten“, sagt Jaspersen. Die hohe Schutzwirkung gegenüber schweren Infektionen bleibe aber mindestens bis zu drei Monate nach der Auffrischimpfung bestehen.

Infektiologe Christoph Spinner aus München erklärt: „Es gibt nicht den vollständigen oder gar keinen Schutz, sondern der Schutz liegt abgestuft dazwischen.“ Nach seiner Aussage besteht der beste Impfschutz ein bis drei Monate nach der dritten Impfung. Danach baut er ab – aber nicht bei jedem Menschen im gleichen Maße und Tempo. „Bei Älteren lässt der Schutz schneller nach, weil ihr Immunsystem nicht mehr so gut durch Impfungen trainierbar ist wie das jüngerer Menschen“, erklärt Spinner, der auch zu Corona-Impfstoffen forscht. „Menschen mit Immunschwäche sprechen oft schlechter auf die Impfung an“, weiß Jaspersen. Das hätten Studien belegt. Laut Spinner sei eine vierte oder gar fünfte Impfung gerade für diese Personen sinnvoll.

Professor Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover rät dazu, nicht mit falschen Erwartungen auf eine vierte Impfung zu blicken. „Die Impfung schützt vor schwerer Erkrankung zwar immer noch sehr, sehr zuverlässig“, sagt Welte. Aber die derzeit zirkulierenden Omikron-Varianten sind leicht übertragbar. „Bei BA.5 liegt beispielsweise auch nach drei Impfungen die Schutzwirkung vor einer Infektion inzwischen bei unter 20 Prozent“, sagt Welte. Man sollte an den zweiten Booster besser nicht die Erwartung heften, so eine Infektion komplett vermeiden zu können.

Warum empfiehlt die Stiko noch keinen zweiten Booster für alle?

Hinter einer allgemeinen Empfehlung zu einer weiteren Auffrischimpfung müsse – wie bei jeder medizinischen Maßnahme – eine begründete medizinische Indikation stehen, teilte der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens mit. Die Annahme „Viel hilft viel“ könne hierbei nicht der Leitsatz sein. „Der Handlungswille von Politikern ist ein wesentliches Element der politischen Gestaltung, allerdings müssen die resultierenden Handlungen vor ihrer Umsetzung soweit irgend möglich geprüft sein.“ Es müssten Daten und Erkenntnisse zu einer Reihe von Punkten vorliegen, führte Mertens aus. Es gehe darum, was die bereits verfügbaren und die in Entwicklung befindlichen angepassten Covid-19-Impfstoffe in der aktuellen Situation leisten können: Wie gut schützen sie vor Infektion und Erkrankung durch alle bisher bekannten Virusvarianten? Und welche weiteren Entwicklungen bei Varianten lassen sich überhaupt erkennen?

Vor allem zu diesen beiden Punkten lägen derzeit keine ausreichenden, belastbaren Daten vor, erklärte der Virologe. „Das Vorliegen der Daten ist eine Voraussetzung für eine begründete neue Impfempfehlung für alle und muss auch beim ,Handlungswillen‘ der Politik unbedingt Berücksichtigung finden.“ Außerdem müsse noch beachtet werden, ob es neue Aspekte bei der Sicherheit der Impfstoffe gibt und wie sich die Immunität von Geimpften und/oder Genesenen entwickelt.

Übrigens: Wem die vierte Impfung empfohlen wird, weil er gesundheitlich gefährdet ist, sollte die vierte Impfung frühestens drei Monate nach der dritten bekommen. Bei medizinischem Personal sollten laut Stiko mindestens sechs Monate verstrichen sein.

„Jeder Kontakt mit den Virus steigert die Immunität“ sagt Infektiologe Christoph Spinner aus München

Kann ich meinen Immunschutz feststellen?

„Aktuell gibt es noch keinen Schwellenwert, der definiert, ab welcher Anzahl an Antikörpern ein sicherer Schutz angenommen werden kann“, sagt Jaspersen. Antikörperbestimmungen seien daher nicht zielführend. Die maßgeblich zum Schutz beitragende zelluläre Immunität“ sei mit einfachen Methoden nicht messbar.

Das betont auch Tobias Welte: „Man kann nicht in der Breite die Antikörperspiegel messen, um daraus die Entscheidung für eine weitere Impfung zu ziehen.“ Wann genau sich für einen persönlich eine weitere Auffrischung anbietet, lässt sich nicht ermitteln. Am Ende hängt die individuelle Entscheidung auch daran, welches Infektionsrisiko man durch seinen Lebensstil hat – und wie viel Kontakt man im Alltag mit vulnerablen Menschen hat.

„Wenn die letzte Impfung sechs Monate her ist und jemand nun im Sommer auf Festivals oder Großveranstaltungen gehen will, ist eine weitere Impfung wahrscheinlich ratsam“, sagt Christoph Spinner. „Wer von zu Hause aus arbeitet und außerhalb von Familie und Freunde wenig Kontakte hat, kann sicher noch etwas warten.“ Für den Münchner Infektiologen steht eines fest: Vor dem Oktoberfest gibt es für ihn einen weiteren Booster – und zwar mit zwei bis vier Wochen Vorlauf, damit sich der Impfschutz pünktlich zum Wiesn-Start aufgebaut hat.

Video: Brauchen wir alle eine 4. Corona-Impfung? So schnell verschwinden Antikörper

Ist es ein Nachteil, wenn ich mich noch einmal boostern lasse?

„Nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand, nein“, erklärt Jaspersen. Christoph Spinner betont ebenfalls, dass eine zweite Booster-Impfung kein Fehler sei, wenn die erste mindestens drei Monate zurückliege. Allerdings: Wie groß der Nutzen ist, hängt vor allem davon ab, ob man einer Risikogruppe angehört und wie lange die letzte Impfung her ist. Folgen die dritte und vierte Impfung zu schnell aufeinander, bringe das wenig. „Darauf kann das Immunsystem aufgrund seiner begrenzten Kapazitäten gar nicht reagieren. Stimulieren Sie es weiter, kommt es zu keiner Reaktion mehr“, erklärt Tobias Welte. Er rät dazu, einen Abstand von sechs Monaten zwischen dritter und vierter Impfung einzuhalten.

Und wie sieht es aus, wenn ich geimpft und genesen bin?

„Dann ist die Erkrankung quasi auch eine Art Booster“, sagt Welte. Wie lange die dadurch gebildeten Antikörper jedoch schützen, ist unklar. Aus seiner Sicht kann man in diesem Fall mit der vierten Impfung möglicherweise auch länger als sechs Monate warten. Doch auch hier gilt: Es fehlen Daten, um handfeste Empfehlungen zu geben. „Allgemein lässt sich sagen: Jeder Kontakt mit den Virus – sei es durch Impfung oder Infektion – steigert die Immunität“, fasst Spinner zusammen. (Lesen Sie auch: Oft wohl mehr als Zufall: Warum manche Menschen kein Corona hatten)

Ja zum zweiten Booster? Stiko und Experten empfehlen vierte Impfung vor allem Risikogruppen

Ist es ratsam, auf die Omikron-Impfstoffe zu warten?

Im Herbst sollen Impfstoffe zur Verfügung stehen, die besser gegen die Omikron-Variante schützen sollen. „Grundsätzlich empfiehlt es sich, den Omikron-angepassten Impfstoff im Herbst abzuwarten“, sagt Daniel Jaspersen und betont, dass laut Stiko die zweite Boosterimpfung nur bei den Risikopersonen erfolgen soll.

Infektiologe Spinner tut sich schwerer mit einer Antwort auf die Frage: „Man müsste ja das Risiko des Abwartens bis zur nächsten Impfung mit den möglichen Vorteilen des neuen Impfstoffs abwägen.“ Für die Experten sind zu viele Fragen noch offen: Wie gut wirken die spezifischen Omikron-Impfstoffe – auch gegen andere, neue Varianten? Wann werden sie zugelassen? Im Zweifel ist also besser, mit dem zu arbeiten, was bereits da ist – den derzeit zugelassenen Impfstoffen. (dan)

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