„Miteinander funktioniert wirklich gut“ - Wie der Alltag in einer Notunterkunft aussieht

Im Kreis Fulda kommen jede Woche Menschen aus anderen Ländern an, die Schutz suchen. Die Notunterkunft in Flieden beherbergte zuletzt mehr als 100 Flüchtlinge. Wie sieht der Alltag für die Menschen dort aus?
Flieden - Geflüchtete, die der Landkreis Fulda aufnimmt, werden unter anderem in der Mehler-Halle in Flieden untergebracht. Die Einrichtung wird vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betrieben, die Hoheit hat der Landkreis Fulda. Im Interview berichten drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Situation vor Ort.
Flüchtlinge im Kreis Fulda: So ist der Alltag in einer Notunterkunft
Herr Orf, Sie sind Fachdienstleiter für Zuwanderung beim Landkreis Fulda. Wie ist die Lage mit Blick auf die Geflüchteten momentan?
Thomas Orf: Die Lage ist diffus, weil es sehr schwierig ist, Entwicklungen und Tendenzen vorherzusagen. Die neuesten Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für den Monat Februar sprechen bundesweit von rund 24.000 Erstanträgen. Im Januar waren es 29.000 Asylantragsteller. Das sind sehr hohe Zahlen für diese Monate. Normalerweise entspannt sich die Lage zu Jahresbeginn etwas, da die Mittelmeer-Route dann nicht so stark genutzt wird. Die hessischen Kommunen erhalten aktuell eine wöchentliche Zuweisung von 550 Personen aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen.
Und was bedeutet das für den Landkreis Fulda?
Orf: Auf den Landkreis Fulda entfallen davon derzeit etwa 35 Personen pro Woche. Die Kapazitäten in den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises sind erschöpft. Deshalb haben wir uns als Landkreis dazu entschieden, eine Notunterkunft in Flieden zu eröffnen.
Woher kommen die geflüchteten Menschen?
Orf: Ein Drittel sind Asylantragsteller, die aus Ländern wie Afghanistan, Syrien, Türkei, Pakistan oder Iran kommen, und sich in einem Asylverfahren befinden und somit in einer Flüchtlingsunterkunft des Landkreises untergebracht werden. Bei den anderen zwei Dritteln handelt es sich um Geflüchtete aus der Ukraine, die aber nicht in Gemeinschafts- oder Notunterkünften des Landkreises, sondern von den Kommunen untergebracht werden.
Aufnahme
Die Verteilung geflüchteter Menschen richtet sich nach dem Königsteiner Schlüssel. Dieser errechnet sich jährlich aus den Steuereinnahmen (2/3) und der Bevölkerungszahl (1/3) der Bundesländer. Die Aufnahmequote der Landkreise in Hessen richtet sich überwiegend nach der Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner und bereits dort wohnenden Ausländerinnen und Ausländer.
Auf seiner Internetseite unter bietet der Landkreis Fulda eine umfangreiche Darstellung der aktuellen Flüchtlingszahlen.
Die Einrichtung in Flieden ist seit dem 16. Januar in Betrieb. Frau Nüchter, Sie arbeiten für das DRK, welches die Notunterkunft betreibt. Wie viele Menschen leben dort momentan?
Ellen Nüchter: Aktuell sind 115 Menschen untergebracht. Die maximale Kapazität liegt bei 400. Darunter sind sehr viele Menschen aus Afghanistan, der Türkei und Syrien. Außerdem leben bei uns hauptsächlich noch Menschen aus Eritrea, Somalia, Äthiopien, Irak, Iran und Pakistan.
Wenn ich als Geflüchteter in Flieden ankomme, wie läuft meine Ankunft ab?
Nüchter: Sie würden zunächst in unserer Unterkunft registriert und aufgenommen. Es werden Krankenscheine und ein Abschlag der monatlichen Regelleistungen in Höhe von 50 Euro verteilt. Anschließend teilen wir vom DRK die Leute auf ihre Zimmer auf. Dabei schauen wir, dass wir ein bisschen nach Nationalitäten und Alter sortieren. Man merkt schon, dass es beispielsweise zwischen verschiedenen Nationen kulturelle Unterschiede gibt. Anschließend führen wir die Leute in der Unterkunft herum und zeigen ihnen unseren Info-Point, über den sie uns jederzeit erreichen können.
Nun leben dort sehr viele verschiedene Nationalitäten auf vergleichsweise engem Raum zusammen. Wie klappt die Kommunikation?
Nüchter: Wir haben in unserem Team viele Mitarbeitende, die Sprachen beherrschen, die wir in der Einrichtung sehr gut gebrauchen können. Wir haben beispielsweise eine Mitarbeiterin, die Dari, Farsi und Pashtu spricht – und damit schon mal mit den afghanischen Bewohnerinnen und Bewohnern kommunizieren kann. Dann haben wir einen türkischen Mitarbeiter und einen Sozialpädagogen aus Syrien. Dazu kommen Dolmetscherinnen und Dolmetscher des Landkreises. Das funktioniert sehr gut.

Aus der Ukraine
Von den wöchentlich rund 35 zugewiesenen Flüchtlingen im Landkreis Fulda stammen rund zwei Drittel der Menschen aus der Ukraine. Ukrainerinnen und Ukrainer besitzen ein sofortiges Aufenthaltsrecht. Das heißt, für sie gibt es keine Verpflichtung, in Gemeinschaftsunterkünften zu leben. Wenn sie irgendwo privaten Wohnraum finden, können sie diesen in ganz Hessen frei nutzen. Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden nach Angaben des Landkreises auf die Städte und Gemeinden des Kreises aufgeteilt und dort in Wohnungen oder Unterkünften der Kommunen untergebracht.
Wie sieht der Alltag der Menschen aus?
Nüchter: Wir haben einen Wochenplan erstellt, auf dem mit Piktogrammen erkennbar ist, was wir wann wo anbieten. Es ist ganz wichtig, den Menschen Möglichkeiten zu bieten, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen und den Alltag mit Leben zu füllen.
Wladimir Stumpf, Landkreis-Mitarbeiter und Manager der Einrichtung: Die Sozialbetreuung organisiert zum Beispiel Tischtennis-Turniere oder Kicker-Turniere. Es werden Informationen über Land und Leute, Grundkenntnisse der deutschen Sprache vermittelt.
Orf: Wir bieten außerdem Gelegenheit, sich mit einer Arbeit einzubringen, beispielsweise im Waschbereich, sodass es eine Person gibt, die sich mit den deutschen Waschmaschinen auskennt und diese den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern erklären kann.
Wie funktioniert das Miteinander der verschiedenen Kulturen?
Nüchter: Wirklich gut. Die Nationalitäten bleiben nicht unter sich, sondern mischen sich zu einem bunten Haufen. Wir hatten bisher keinerlei größere Konflikte. Bislang ist alles sehr ruhig in der Unterkunft.
Orf: Die Lage direkt am Bahnhof sorgt zudem dafür, dass viele tagsüber ihrer Wege gehen können und ein Netzwerk pflegen, denn viele haben Familie oder Freunde, die in Fulda ansässig geworden sind. Der Kontakt nach draußen beziehungsweise außerhalb der Einrichtung wird gut gepflegt.
Nüchter: Ganz, ganz wichtig ist für die Leute deshalb natürlich WLAN, um mit Freunden und Familien kommunizieren zu können. Wenn das mal fünf Minuten ausfällt, dann bekomme ich sofort Bescheid (lacht). Aber die Internetverbindung wird nicht nur zur Kommunikation genutzt. Wir haben beispielsweise einen Bewohner, der sämtliche Onlineportale, die er findet nutzt, um den ganzen Tag Deutsch zu lernen.
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Welche Gedanken und Ambitionen haben die Menschen, die dort leben?
Nüchter: Die Menschen zeigen ganz, ganz viel Dankbarkeit. Das spüren wir täglich. Sie sind froh, ein Dach über dem Kopf zu haben, es warm zu haben und verpflegt zu werden. Darüber hinaus beschäftigen sich viele natürlich mit ihrer Zukunftsperspektive: Wie geht es jetzt weiter? Wo und wie finde ich einen Job? Wie kann ich Familienmitglieder nachholen oder sie von Deutschland aus unterstützen?
Wie fügt sich die Einrichtung Ihrer Wahrnehmung nach in die Gemeinde Flieden ein?
Stumpf: Viele Strukturen befinden sich gerade noch im Aufbau, aber wir sind zuversichtlich, dass sich das weiterhin gut entwickelt. Wir beabsichtigen zum Beispiel, Sprachkurse auch außerhalb der Einrichtung anzubieten, damit die Bewohnerinnen und Bewohner ihr Netzwerk erweitern.
Orf: Außerdem möchten wir auch die umliegenden Vereine künftig mit einbinden, wo dies möglich ist. Mit besserem Wetter erhoffen wir uns auch in diesen Bereichen mehr Begegnungen.
Stumpf: Hervorzuheben ist, dass der Fliedener Bürgermeister Christian Henkel von Beginn an bei jedem Termin dabei war und das Signal gesetzt hat, dass er aktiv mitgestalten möchte.
Wie lange bleiben die Menschen für gewöhnlich in der Mehler-Halle?
Orf: Bei der Einrichtung in Flieden muss man im Hinterkopf behalten, dass es sich nicht um eine Gemeinschafts-, sondern um eine Notunterkunft handelt. Wir versuchen, die Aufenthaltsdauer möglichst kurz zu halten. In einer Gemeinschaftsunterkunft leben die Menschen – je nach Asylverfahren – auch mal fünf, sechs Jahre. In Flieden ist es unser Ziel, die Menschen schnellstmöglich in Anschlussunterkünfte zu vermitteln. Das gilt insbesondere für kränkliche Menschen.
Stumpf: Das funktioniert bisher auch gut. Wir haben die Einrichtung jetzt seit sieben Wochen in Betrieb und konnten schon wieder viele Abgänge verzeichnen.
Hinweis: Das Interview ist zuerst in der Printausgabe der Fuldaer Zeitung vom 18. März und im E-Paper erschienen. Die Aussagen und Zahlen beziehen sich auf die vergangene Woche.