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Abiturnoten im Kreis Fulda sind besser als je zuvor - Experten warnen vor „Einser-Inflation“

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Von: Sabrina Mehler

Abiturprüfungen
Der Abiturschnitt des Abschlussjahrgangs 2022 im Schulamtsbezirk Fulda liegt bei 2,19. © Sina Schuldt/dpa/Symbolbild

Obwohl in der Corona-Zeit viel Unterricht ausgefallen ist, sind die Abiturnoten im Kreis Fulda so gut wie nie. Sind die Schüler und Schülerinnen heutzutage intelligenter – oder werden die Prüfungen immer einfacher? Die Erklärungsansätze für die stetig besser werdenden Noten sind unterschiedlich.

Fulda - Die Winfriedschule in Fulda vermeldete in diesem Jahr, dass mehr als die Hälfte ihrer Abiturienten einen Einser-Abschluss vorweisen kann. Auch am Wigbertgymnasium in Hünfeld verließ der beste Abiturjahrgang der Geschichte die Schule: 40 Prozent der Absolventen freuten sich über einen Eins-Komma-Schnitt.

An den Gymnasien im Landkreis purzelten die Rekorde – und das trotz der Corona-Einschränkungen der vergangenen Jahre. Es ist eine Entwicklung, die schon seit vielen Jahren anhält. Eine Art „Einser-Inflation“. Experten schlagen jetzt Alarm.

Fulda: Abiturnoten werden immer besser - Experten warnen vor „Einser-Inflation“

Der Vorsitzende des Hessischen Philologenverbandes, der Ebersburger Reinhard Schwab, sagt angesichts der vielen Einser-Abiturienten: „Natürlich werden die Schüler und Schülerinnen nicht immer klüger, sondern die Messlatte wird immer niedriger gelegt.“ (Lesen Sie auch: Fulda: Neuordnung an Berufsschulen im Kreis - das ändert sich)

Noten in Fulda und Hessen

Im Schulamtsbezirk Fulda liegt der Abiturschnitt bei 2,19 und hat sich gegenüber dem Vorjahr (2,26) leicht verbessert. Das teilt der stellvertretende Schulamtsleiter Harald Persch mit. Zwölf Abiturienten haben die Prüfung nicht bestanden.

Hessenweit haben die Schüler und Schülerinnen in diesem Jahr einen Notendurchschnitt von 2,23 erzielt. Mehr als 800 von ihnen haben die Traumnote 1,0 erhalten. Insgesamt hatten an den Abiturprüfungen 2022, den fünfzehnten seit Einführung des Landesabiturs, 19.471 Schülerinnen und Schüler teilgenommen. 18.795 Prüflinge haben das Abitur bestanden, was einer Quote von 96,5 Prozent entspricht.

Dieser Trend sei beunruhigend, weil dadurch zum einen „wirklich gute Abiturienten und Abiturientinnen in der Menge untergehen könnten“. Zum anderen beklagten Hochschullehrkräfte immer häufiger mangelndes Wissen bei den jungen Menschen und eine abnehmende „Studierfähigkeit“. Die Glaubwürdigkeit des Abiturs, des höchsten allgemeinbildenden Schulabschlusses, sei in Gefahr.

Der Verbandsvorsitzende fordert daher eine „kritische Prüfung“, wie verhindert werden kann, dass sich Schüler und Schülerinnen „auf dem falschen Gleis“ bewegen – also trotz eigentlich unzureichender Qualifikation dennoch das Abitur anstreben. Dabei sei der Fachkräftemangel, dem sich die Unternehmen gegenübersehen, eklatant. „Das Ungleichgewicht zwischen der akademischen und beruflichen Ausbildung wirkt sich schon heute schmerzhaft aus.“

Ich bezweifle, dass die Schüler und Schülerinnen intelligenter geworden sind.

Markus Bente, Leiter Wigbertschule

Ähnlich beunruhigt ist auch Markus Bente, Leiter der Wigbertschule: „Mich erschreckt die kontinuierliche Verbesserung der Noten. Wohin soll das noch führen?“ Der 65-Jährige berichtet von seiner eigenen Abiturnote: eine 2,5 im Jahr 1977. „Damals lag ich damit im oberen Drittel. Heute wäre das Loser-Kategorie.“ Nur ein einziger Schüler in seinem Abiturjahrgang habe eine Eins vor dem Komma gehabt. Doch weder sei das Abitur seitdem leichter noch die Schüler intelligenter geworden, sagt Bente.

Der Schulleiter hat andere Erklärungsansätze: So seien die Aufgabenstellungen in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern berechenbarer als in geisteswissenschaftlichen Disziplinen; Lehrer könnten ihre Schüler hier besser auf die Prüfungen vorbereiten. „Das wissen die Schüler und Schülerinnen und wählen zunehmend naturwissenschaftliche Leistungskurse“, erklärt Bente.

Hinzu komme, dass die steigende Beliebtheit von Mathe, Chemie und Physik eine Umverteilung in der Gesellschaft widerspiegele. Denn diese Disziplinen sicherten später eher den beruflichen Erfolg und Wohlstand als Geisteswissenschaften. „Und Schüler wählen heute das aus, was sie im Leben weiterbringt.“

Ein anderer Aspekt, den Bente als Grund für die guten Abiturnoten anführt: „Der Unterricht ist so effektiv geworden, dass Schüler besser vorbereitet sind und häufig wissen, welche Themen in den Prüfungen abgefragt werden.“ Der Corona-Bonus bei den Abitur-Klausuren, der in diesem Jahr eine längere Bearbeitungszeit garantierte, habe hingegen eher keine Rolle gespielt.

Video: In Corona-Zeiten wiederholen weniger Kinder die Klassenstufe

Eine anderslautende Erklärung für die Ergebnisse hat Annette Albrecht, Leiterin der Winfriedschule, an der 41 von 78 jungen Erwachsenen das Gymnasium mit einem Einser-Schnitt verlassen haben: Der herausragende Schnitt sei Zufall gewesen. „Die guten Noten sind auf das Potenzial dieser Schüler und Schülerinnen zurückzuführen.“ Weder der vorherige Jahrgang sei so gut gewesen noch werde der folgende einen so guten Abischnitt haben. „Wir erwarten daher nicht, dass sich die Verbesserung der Abiturergebnisse so fortsetzt.“

Möglicherweise habe sich die Pandemie, anders als von vielen befürchtet, positiv ausgewirkt. „Die Schüler haben es trotz der Einschränkungen besonders gut machen wollen. Sie haben sich darauf eingelassen und waren höchst motiviert.“ Außerdem hätten die Lehrer und Lehrerinnen mit Zusatzunterricht versucht aufzufangen, was in der Corona-Zeit vernachlässigt werden musste. (Lesen Sie hierzu: Corona in Fulda: Warum die Abitur-Prüflinge überraschend viel Positives mitnehmen)

Albrecht verweist auch auf das geänderte Auswahlsystem bei den Prüfungen: Die Schulen erhielten wegen der Einschränkungen in der Oberstufe für jedes Prüfungsfach einen zusätzlichen Aufgabenvorschlag. Die Prüflinge konnten damit aus mehreren Vorschlägen auswählen – ein Vorteil gegenüber früheren Jahren.

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