„Spiegel der Gesellschaft“ - Abwassermonitoring in Gläserzell soll Pandemie-Geschehen voraussagen
Welche Virusvarianten grassieren in der Region? Und wie viele Menschen sind infiziert? Das alles lässt sich im Abwasser feststellen. Die Kläranlage Gläserzell hat bei einem Forschungsprojekt mitgemacht, das genau diese Fragen beantworten soll.
Gläserzell - Gleichmäßig schiebt sich der Unrat über den sogenannten Rechen nach oben. Papier, Binden, eine Plastikhalterung für Klosteine. All das wird in der ersten Reinigungsstufe aus dem Abwasser gefischt. Selbst Gebisse und Schmuck sollen hier schon aufgelaufen sein.
Vor Jahrzehnten konnte man solche Fundstücke noch ausmachen. Heute ist alles automatisiert. „Das, was im Rechen hängenbleibt, kommt in einen Container. Wenn da nicht gerade etwas oben aufliegt, findet man nichts mehr“, erklärt Albert Glocker, Abteilungsleiter der Kläranlage Gläserzell.
Fulda: Abwassermonitoring soll Pandemie-Geschehen voraussagen können
Doch es sind nicht nur die Dinge, die man sieht, die das Abwasser zu einem Spiegel der Gesellschaft machen. Es sind vor allem die Dinge, die man nicht sieht. Die Kläranlage der Stadt Fulda in Gläserzell zählt zu den zehn größten in Hessen, wo das Abwasser von 150 000 Einwohnerwerten zusammenkommt. Hier zeichnet sich alles ab, was Menschen zu sich nehmen und wieder ausscheiden. Wie viele Drogen in einer Region konsumiert werden – das lässt sich zum Beispiel im Abwasser feststellen.

Auch in einer Pandemie kann ein solches Monitoring hilfreich sein und Rückschlüsse zum Infektionsgeschehen geben. Die Technische Universität Darmstadt hat 2021 das Projekt „HeNaSARS-V“ gestartet, bei dem an 18 Standorten Häufigkeit und Art von Coronaviren untersucht wurden. Neben Kläranlagen in Frankfurt, Wiesbaden, Hanau oder Kassel lieferte auch die Kläranlage Gläserzell Daten.
Kläranlage in Zahlen
800 Liter Abwasser pro Sekunde kann die Kläranlage der Stadt Fulda in Gläserzell maximal übernehmen.
150 000 Einwohner-werte umfasst der Einzugsbereich der Kläranlage Gläserzell. Diese Einwohnerwerte umfassen das Schmutzwasser von natürlichen Einwohnern sowie von Betrieben.
„Das war erst einmal Neuland für uns“, erklärt Jürgen Fehl, Geschäftsführer des Abwasserverbands Fulda. Er sieht in dieser Technik Potenzial. „Es lässt sich quasi ein pandemischer Krankheitsverlauf in Echtzeit beschreiben. Es ist eine Art Frühwarnsystem. Noch bevor eine Infektion durch Tests nachgewiesen wird, ist das Virus im Abwasser feststellbar.“ Die genauen Zahlen zu Inzidenz, Infektionen und Hospitalisierung in Fulda finden Sie in unserem Corona-Ticker.
Um Daten zu liefern, wurden über 24 Stunden lang Proben dem Abwasser entnommen und schließlich ins Labor geschickt. „Die erste Projektphase lief zwischen September 2021 und März 2022, in der jede zweite Woche eine Probe fällig wurde. Die zweite Phase begann im Mai 2022. Ende des Jahres lief das Projekt aus“, sagt Glocker. Finanziert wurde die Untersuchungsreihe unter anderem aus hessischen Mitteln.
„Ziel des Forschungsvorhabens ist es, Prozessabläufe und auch Protokolle für die Probennahme, den Transport und die Probenanalyse von Daten aus Abwässern zu etablieren“, beantwortet das Hessische Sozialministerium auf Nachfrage. Eine „allgemeine Überwachung der zirkulierenden Virusvarianten“ und „potentiell daraus folgende Handlungsweisen“ hätten nicht im Fokus gestanden. „Es folgt nun momentan die Auswertung aller gesammelten Daten und die Erarbeitung der daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen und Erkenntnisse“, so das Ministerium.
Ergebnisse
Zu welchen Erkenntnissen speziell den Standort Fulda betreffend die Forscher um Professor Dr. Susanne Lackner kamen, war auf Nachfrage bei der TU Darmstadt nicht zu erfahren. Dem Sozialministerium liegt jedoch ein Zwischenbericht vor. Daraus lässt sich ablesen, dass seit Anfang August 2022 die Häufigkeit der Variante BF.7, einer Untervariante von Omikron, in Hessen zugenommen hat.
In Fulda wurde BF.7 erstmals Ende August gemessen. Der prozentuale Anteil stieg daraufhin von 4 auf 17 Prozent. Eine interessante Wende gab es Mitte Oktober, wo die Variante BQ.1 in Fulda aufkam. Gemessen wurde ein Anteil von 13 Prozent, während der Anteil von BF.7 auf 12 Prozent zurückging.
Sehr transparent ist das Abwassermonitoring in Bayern, wo sich relativ aktuelle Werte der beteiligten Kommunen online einsehen lassen. Im Abwasser von München beispielsweise wurde am 20. Februar die Variante Omikron BF.7 nicht mehr festgestellt. Stattdessen vorherrschend ist derzeit die Variante Omikron XBB.1.5.
Mehr Informationen finden Sie unter diesem Link: SARS-CoV-2 Abwassermonitoring in Bayern - Bay-VOC (lmu.de)
Genau das ist die Frage: Was genau passiert, wenn im Abwasser feststellt wird, dass sich diese oder jene Variante ausbreitet? Die EU drängt darauf, Kläranlagen in das Frühwarnsystem zu integrieren. Eine Verlängerung des hessischen Projekts sei aufgrund der bereits hohen Datenmenge nicht geplant. Aber es soll ein bundesweites Projekt geben.
„Im Frühjahr dieses Jahres soll die nächste Projektphase des Pandemie-Radars mit deutschlandweit deutlich mehr Standorten starten“, heißt es beim Hessischen Sozialministerium. Dabei ist die rede von 170 Kläranlagen, die mitmachen sollen. Auch die Kläranlage Gläserzell hat sich für das Projekt angemeldet.
Drei Jahre nach dem ersten Corona-Lockdown suchen Forscher nach neuen Viren, die eine Pandemie auslösen könnten. Wie wahrscheinlich ist ein neuer Ausbruch? Virologe Streeck setzt auf „universalen Impfstoff“ - und sieht Wildtiermärkte als Gefahr.