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Überalterung in Praxen droht - Dem Kreis Fulda und dem Vogelsberg fehlt es an jungen Ärzten

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Von: Sophie Brosch

Julian Dern und Pauline Walk haben sich für ein Ärzte-Stipendium in Osthessen entschieden.
Julian Dern und Pauline Walk haben sich für ein Ärzte-Stipendium in Osthessen entschieden. © picture alliance / dpa; privat

Volle Praxisräume und lange Wartelisten: Auch in der Region existieren Engpässe in der allgemeinmedizinischen Versorgung. Die Landkreise versuchen mittels Stipendien, Medizin-Studierende an die Region zu binden, um die Situation zu verbessern. 

Fulda - „Das Stipendium soll ein wichtiger Baustein bei der Gewinnung von Ärzten für den Landkreis Fulda und für den ländlichen Raum sein“, sagt Erster Kreisbeigeordneter Frederik Schmitt. Es soll den medizinischen Fachkräftemangel bekämpfen, der vor allem in Hinblick auf fehlenden Nachwuchs besteht. Davon betroffen sind nicht nur Facharztstellen, sondern vor allem die hausärztliche Versorgung. Bis 2030 wird jeder zweite Hausarzt im Kreis Fulda im Ruhestand sein.

Die Krankenkassenärztliche Vereinigung (KV) spricht dagegen von einer derzeit „überdurchschnittlichen Versorgung“ im Mittelbereich Fulda. Dieser umfasst den gesamten Landkreis Fulda mit Ausnahme der Kommunen im Altkreis Hünfeld. Wer allerdings einen genaueren Blick auf die Zahlen wirft, stellt fest, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein wird. Denn gut zwei Drittel der 139 im Mittelbereich Fulda ansässigen Hausärzte sind bereits über 50 Jahre alt.

Ärztemangel im Kreis Fulda: So sollen junge Mediziner angelockt werden

So haben zum Beispiel in der Gemeinde Eichenzell bereits drei der sechs Ärzte das 60. Lebensjahr vollendet. Alle sieben Allgemeinmediziner in Flieden sind älter als 40 Jahre, zwei von ihnen älter als 60. In der Stadt Fulda sind mehr als zwei Drittel der 59 Hausärzte über 50 Jahre alt. (Lesen Sie hier: Hausärzte sind Mangelware - Suche nach Medizinern wird immer schwerer)

Warum mangelt es also trotz zahlreicher Stellenangebote an medizinischem Nachwuchs in der Region? Julian Dern, früherer Stipendiat des Vogelsbergkreises, vermutet: „Das Studium findet meist an großen Universitätskliniken in Studentenstädten statt. Wenn man jung ist, will man etwas erleben, die Welt sehen, und der medizinische Bereich ist groß und interessant. Warum sollte ich mich daher mit Anfang 20 beruflich und örtlich einschränken?“

Der 35-Jährige hat Medizin in Heidelberg studiert und in seinen letzten Semestern das Stipendium erhalten, das der Vogelsbergkreis seit 2016 anbietet. Gegen eine monatliche Finanzspritze von 500 Euro verpflichtete er sich zu einer Facharztweiterbildung in der unmittelbaren Patientenversorgung und einer anschließenden dreijährigen Tätigkeit im Kreisgebiet.

Krankenhaus-Stellen wegen unregelmäßiger Arbeitszeiten unattraktiv

Ihm und seiner Frau sei die Entscheidung, zurück in die Schlitzer Heimat zu ziehen, nicht schwer gefallen – denn sie haben zwei kleine Kinder. „Sie können hier unbeschwert aufwachsen, wir haben gute Betreuungsmöglichkeiten und Schulen. Am Hoherodskopf lässt man die Kinder lieber alleine spielen, als am Kottbusser Tor.“

Pauline Walk hat eine andere Theorie zum Ärzteschwund: „Generell mangelt es in der Region nicht an medizinischem Nachwuchs, aber viele schrecken vor dem Verwaltungsaufwand einer eigenen Praxisniederlassung zurück.“

Auch im Krankenhaus wollten die meisten Nachwuchsmediziner wegen der langen und unregelmäßigen Arbeitszeiten nicht langfristig bleiben. Anstellungen, zum Beispiel in Medizinischen Versorgungszentren, seien aufgrund günstigerer Arbeitsbedingungen unproblematischer und attraktiver.

Ärzte-Stipendium: Kaum-Bedingungen, viele Freiheiten

Die 28-Jährige stammt ursprünglich aus Grüsselbach bei Rasdorf und hat in Ungarn und Dresden studiert. Ab dem fünften Semester erhielt sie eine Finanzspritze des Landkreises. Das Fulda-Stipendium wird seit 2015 vom Landkreis mit dem Klinikum Fulda, Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda und der Helios St. Elisabeth Klinik Hünfeld an Medizin-Studierende mit Bezug zur Region vergeben, die das fünfte Semester erreicht haben.

Sie werden bis zum Ende der Regelstudienzeit monatlich mit 500 Euro gefördert. Im Gegenzug verpflichten sich die Stipendiaten für eine dreijährige Tätigkeit als Arzt oder Ärztin im Landkreis.

„Das Stipendium ist flexibel, bietet viele Freiheiten und ist dabei kaum an Bedingungen geknüpft“, berichtet sie. Dafür gebe es eine vielfältige Auswahl an Stellen in der Region, und Wünsche würden berücksichtigt. „Das Stipendium muss stärker beworben werden, dann gäbe es sicher auch mehr Bewerber. Es wird unterschätzt, wie viele Studierende aktiv nach finanzieller Förderung suchen.“

Finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht ruhigere Ausbildung

Die 28-Jährige arbeitet nun seit anderthalb Jahren auf der Kinderstation im Fuldaer Klinikum. Hierzu hat sie sich verpflichtet, sieht darin aber keinen Nachteil. „Auch im Praktischen Jahr ist man finanziell unabhängiger und kann sich ganz auf die Ausbildung konzentrieren“, erzählt sie. Nach ihrer dreijährigen Verpflichtung will sie Fulda vorerst verlassen, um neue Erfahrungen zu sammeln. Sie sei jedoch geneigt, später langfristig in die Region zurückzukehren.

Julian Dern fühlt sich als Arzt im Vogelsberg gut aufgehoben. „Neben der finanziellen Unterstützung hilft der Vogelsbergkreis, Kontakte mit Hausärzten zu knüpfen. Dabei wurden mir zahlreiche Praxen vorgestellt, bei denen ich direkt anfangen könnte.“ Aktuell sei er beim ärztlichen Bereitschaftsdienst, als Impfarzt beim DRK und beim Kreis Fulda sowie aufgrund personeller Engpässe als Gastarzt im Eichhof-Krankenhaus in Lauterbach „mehr als beschäftigt“, so der 35-Jährige.

Video: Vom Chefarzt zum Landarzt: Ärztemangel auf dem Land

Der Vogelsbergkreis unterstütze auch sein Vorhaben, das Alte Postamt Schlitz umzubauen. Der junge Familienvater will dort einen Ort schaffen, wo man moderne Allgemeinmedizin gewährleisten und den Ärzten verschiedene Arbeitszeitmodelle anbieten kann. Aktuell liefen die Detailplanungen des Umbaus, der sich wegen des Denkmalschutzes nicht ganz einfach gestalte.

Die aktuellen Zahlen der KV untermauern die Relevanz seines Projekts: MVZ, Teilzeitbeschäftigungen und Anstellungsverhältnisse ohne Verwaltungsaufwand „boomen“. Laut KV-Referent Sinisa Stanojevic legten junge Ärztinnen und Ärzte heutzutage mehr Wert auf ihre „Work-Life-Balance“.

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