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Überraschung im Prozess „Dachlatte vs. Schwert“: Gericht schlägt vor, Verfahren einzustellen

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Von: Hartmut Zimmermann

Bevor das Einstellen des Verfahrens Thema wurde, nahm das Gericht das selbst gebaute Podest aus der Tat-Wohnung in Augenschein. Das potenzielle Beweismittel liegt auf dem Tisch im Vordergrund.
Bevor das Einstellen des Verfahrens Thema wurde, nahm das Gericht das selbst gebaute Podest aus der Tat-Wohnung in Augenschein. Das potenzielle Beweismittel liegt auf dem Tisch im Vordergrund. © Hartmut Zimmermann

„Versuchter Totschlag“ – darum geht es vor dem Fuldaer Landgericht im Prozess gegen einen 37-Jährigen, der einen anderen Mann mit einer Dachlatte traktiert hatte. Doch möglicherweise endet die Verhandlung ohne Urteil: Das Gericht schlägt vor, das Verfahren einzustellen.

Fulda - Überraschung am fünften Verhandlungstag im Prozess „Dachlatte vs. Schwert“: Josef Richter, Vorsitzender Richter der Großen Strafkammer, gab den Parteien eine Aufgabe zum Nachdenken mit ins Wochenende. Er legte dar, dass die Kammer sich vorstellen könne, das Verfahren unter Anwendung des Paragrafen 153 der Strafprozessordnung einzustellen. Darin heißt es, dass die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung absehen kann, „wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht“.

Fulda: Angriff mit Dachlatte - Gericht schlägt vor, Verfahren einzustellen

Die Entscheidung sei vor dem Hintergrund gefallen, dass das Gericht in Fulda Zweifel daran hege, dass es bei der Tat wirklich um versuchten Totschlag gehe. Weil der 37-Jährige bei seiner Attacke von der Tat abgelassen habe, könne man ihm gegebenenfalls „vollendete schwere Körperverletzung“ vorwerfen. Hinzu komme die Möglichkeit, dass der Mann beim Angriff mit der Dachlatte aus Notwehr gehandelt habe.

Das Gericht, so Richter, habe gewisse Zweifel an den Aussagen des Opfers: Der 38-Jährige habe bei Fragen zu seinem Schwert-Angriff auf den Angeklagten, den andere bestätigt hätten, entweder geschwiegen oder auf Gedächtnislücken verwiesen. Dennoch, so Richter Richter, bleibe die Frage, ob die Notwehr des Angeklagten angemessen gewesen sei – dagegen sprächen die Schläge auf den Kopf des 38-Jährigen.

Daher forderte er die Prozessparteien dazu auf, über eine Einstellung des Verfahrens nachzudenken, bei der dann aber der Angeklagte in Anerkenntnis seines Fehlverhaltens auf eine Entschädigung für die bislang achtmonatige Untersuchungshaft verzichten solle. Wenn der Prozess am Donnerstag, 24. November, 9.30 Uhr, fortgesetzt wird, müssen Oberstaatsanwältin Dr. Christine Seban und Verteidiger Theo Jahn erklären, wie sie sich zum Vorschlag des Gerichts verhalten.

Zu Beginn der Verhandlungen am Freitag hatte sich das Gericht intensiv mit einem Holzpodest, einem Eigenbau-Möbel aus der Wohnung des Opfers befasst. Dort war es in der Nacht zum 25. Januar nach einem Zechgelage zum Streit der beiden Männer gekommen. Dabei, so hatte der 38-Jährige berichtet, habe er das besagte Podest wie einen Schutzschild über sich gezogen. Der Angeklagte habe noch auf die Holzplatte eingeschlagen.

Versuchter Totschlag oder schwere Körperverletzung?

Auf Anregung der Gerichtsmedizinerin Dr. Gabriele Lasczkowski wurde das Podest im Gerichtssaal auf Schlag- und Blutspuren untersucht und von den Prozessparteien in Augenschein genommen. Die Prüfung brachte keine unmittelbar auf die Tat verweisenden Ergebnisse.

Auf die Neigung des Angeklagten, im alkoholisierten und berauschten Zustand gewalttätig zu werden, verwies Dr. Helge Laubinger in seinem psychiatrischen Gutachten. Der über Jahre stattfindende Konsum von Alkohol, Cannabis und Amphetaminen habe Suchtcharakter, auch wenn der Angeklagte dies bagatellisiere. Da der Angeklagte eigentlich eine stabile Ausgangslage mitbringe, sehe er einen gezielten Entzug als Chance an. Ein Leben in Abstinenz verringere dann die Gefahr, andere durch Gewaltausbrüche zu gefährden.

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