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Perspektiva hilft durch Corona-Zeit: Positive Bilanz bei Beschäftigung Schwerbehinderter

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Von: Andreas Ungermann

Die Startbahnschülerinnen (von links) Madita und Isabella arbeiten auf dem Theresienhof.
Die Startbahnschülerinnen (von links) Madita und Isabella arbeiten auf dem Theresienhof. Silke Grabowitsch, Jan Martin Schwarz und Rainer Sippel ziehen für Perspektiva eine positive Bilanz des Arbeitsmarktes während Corona – in Fulda verloren weniger Menschen mit Behinderung ihre Arbeit als andernorts. © Andreas Ungermann

Während der beiden Corona-Jahre 2020 und 2021 ist laut der Aktion Mensch die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung bundesweit gestiegen. In Fulda sehen die Zahlen jedoch besser aus, heißt es vom Netzwerk Perspektiva.

Fulda - Von einer „bemerkenswerten Situation und gelebter Inklusion in Fulda und Osthessen“ spricht Horst Kramer, Geschäftsführer Operativ der Agentur für Arbeit Bad Hersfeld-Fulda. „In Hessen waren im Jahr 2021 im Durchschnitt 12.055 Menschen mit Behinderung arbeitslos, und damit 9,8 Prozent mehr als im Jahr 2019. Deutschlandweit hat sich die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Schwerbehinderung im vergangenen Jahr gegenüber 2019 sogar um 11,5 Prozent erhöht – in Fulda hingegen deutlich geringer“, konstatiert Kramer.

Er spricht von einem Anstieg von 6,6 Prozent in Osthessen im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Im Vergleich von 2020 zu 2021 habe indes kein Schwerbehinderter seinen Arbeitsplatz in der Region verloren – auch kein Perspektiva-Jugendlicher. Ein Grund liege sicherlich darin, dass Fulda mit seiner mittelständisch geprägten Wirtschaftsstruktur während Corona weniger von steigender Arbeitslosigkeit betroffen sei als andere Regionen – etwa das Rhein-Main-Gebiet mit dem Großarbeitgeber Fraport.

Fulda: Arbeit für Schwerbehinderte - Perspektiva hilft durch Corona-Zeit

Kramer nennt jedoch noch eine weitere Erklärung. In seiner langjährigen Tätigkeit für die Arbeitsagentur, auch über Hessen hinaus, habe er kein vergleichbares Netzwerk mit mehr als 120 Unternehmen, Schulen und der Bürgerstiftung antonius erlebt. Das nun seit mehr als 20 Jahren bestehende Netzwerk Perspektiva sei für die Veknüpfung von Akteuren auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt beispielgebend, erklärt Kramer. (Lesen Sie hier: Antonius-Stiftung startet neues Projekt „er:wachsen“)

„Osthessen ist sicherlich eine sehr gute, aber keine einzigartige Region. Grundsätzlich wären Modelle wie Perspektiva auch für andere, ähnlich strukturierte Gebiete denkbar“, sagt Matthias Hauß, Geschäftsführer des Metallverarbeitungsunternehmens Werner Schmid. Allerdings sei in Fulda schon früh erkannt worden, dass für eine gelingende Inklusion nur ein einziger Arbeitsmarkt bestehen dürfe, stimmen ihm Perspektiva-Geschäftsführer Jan Martin Schwarz sowie Antonius-Stiftungsrat und Perspektiva-Beiratsvorsitzender Rainer Sippel zu.

Ein wichtiges Anliegen von Perspektiva sei es, Jugendliche zu einem sinn- und identitätsstiftenden Arbeitsplatz zu verhelfen. Schon bei der schulischen Bildung – etwa im Projekt Startbahn – zähle es, Talente zu entdecken, ergänzt Perspektiva-Geschäftsführerin Silke Grabowitsch.

Hintergrund

Das Netzwerk Perspektiva wurde im Jahr 1999 gegründet. Heute gehören der Initiative 104 Gesellschafter und mehr als ein Dutzend weitere Partner an. Sie soll Jugendlichen, die dies nicht aus eigener Kraft schaffen, Brücken in den Arbeitsmarkt bauen. Die Kernüberzeugung hinter Perspektiva laute: „Es gibt nur einen Arbeitsmarkt, und alle Kraft muss darauf konzentriert werden, möglichst allen Menschen den Zugang auf diesen zu ermöglichen.“

In den 1990er Jahren hätten sich insgesamt vier Arbeitsmärkte herausgebildet: ein erster, auf dem Menschen mit Beeinträchtigungen für Helfertätigkeiten integriert wurden, ein zweiter, über den der Zugang über Bildungsträger möglich wurde, als dritter Arbeitsmarkt kamen die Werkstätten hinzu, als vierter schließlich die Arbeit in Tagesförderstätten. So definiert Perspektiva-Beiratsvorsitzender Rainer Sippel die vier Arbeitsmärkte, die nicht durchlässig seien.

Das Perspektiva-Konzept sieht vor, dass Unternehmer Arbeitsplätze schaffen, die sich an den Fähigkeiten und Möglichkeiten der Jugendlichen orientieren. Die Jugendlichen bringen ihrerseits den Willen zu Eigenständigkeit und Qualifikation mit. Perspektiva fungiert in Begleitung, Bildung und Förderung als Brückenbauer zwischen Jugendlichen und Unternehmen.

Dem pflichten Matthias Hauß und Ulrich-Bau-Geschäftsführer Michael Wißler bei und berichten von Beispielen aus ihren Unternehmen. „Menschen mit Einschränkung verrichten einfache Tätigkeiten oft mit höherer Hingabe und Identifikation als andere Arbeitnehmer“, berichtet Wißler, bevor Hauß den Gedanken weiterführt: „Es gibt auch Arbeiten, die können sie gerade durch die Einschränkungen besser ausführen.“

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In seinem Unternehmen etwa kontrolliere ein Mitarbeiter mit Tunnelblick Metallbauteile mit einer Ausdauer und Akribie, wie sie anderen Menschen auf solch lange Zeit nicht möglich sei.

Solche Begabungen zu entdecken und zu fördern werde zunehmend wichtiger, sind sich die Perspektiva-Akteure einig. Denn eines dürfe nicht aus den Augen verloren werden: „Es gibt immer psychisch und sozial eingeschränkte Menschen – auch die gilt es, im Arbeitsmarkt zu integrieren“, konstatiert Wißler.

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