Der frühere Lehrer an der Ferdinand-Braun-Schule liebt die Atmosphäre, wenn er im Garten sitzt, den Blick über den Himmel schweifen lässt und voller Erwartung in die Richtung schaut, aus der die Tauben kommen müssen. „Die Gedanken fliegen dann zu meinen kleinen Athleten, wie sie trotz aller Gefahren, die auf der Flugstrecke auf sie lauern, näher und näher in die Heimat kommen.“
Das Brieftaubenwesen wurde im März in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen und steht nun in einer Reihe mit weiteren 130 Kulturformen wie dem Steigerlied, dem Kasperletheater und den Posaunenchören.
Trägergruppen können ihre kulturelle Tradition für die Aufnahme in das Verzeichnis vorschlagen. Sie wird dann von einem Unesco-Expertenkomitee begutachtet; letztlich entscheidet die Kultusministerkonferenz.
Das Brieftaubenwesen hat die Aufnahme erst im zweiten Anlauf geschafft. 2018 wurde die Bewerbung abgelehnt, da eine mangelnde Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Kontroversen um Tierhaltung und -nutzung bemängelt wurde. Nun habe sich der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter jedoch einem Dialog mit Tierschutzorganisationen geöffnet“, erklärt die Kommission.
Bei dem neuen Kulturerbe gehe es um das Zusammenleben von Mensch und Tier sowie um das Wissen um das Verhalten, Biologie und artgerechte Lebensweisen der Tauben, heißt es weiter. Die Züchtenden betreuten ihre Tauben mit großem Engagement. Gleichzeitig habe das Brieftaubenwesen einen integrativen Charakter und werde von vielen Menschen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkünfte ausgeübt.
Immer wieder verliert Schad pro Saison eine Handvoll seiner Tauben: „Das größte Problem sind die Wanderfalken.“ Gerade zurzeit muss Schad wieder aufpassen. Wenn er seine Tauben nach draußen lässt, wedelt er erst mal mit einem Tuch in der Luft herum, um potenzielle Angreifer zu vertreiben. Noch etwas anderes trübt die Leidenschaft für den Sport: Tierschutzorganisationen wie PETA verurteilen das Brieftaubenwesen als Tierquälerei.
Auch deshalb freuen sich Züchter wie Horst Schad über die Auszeichnung als immaterielles Kulturerbe: „Das ist ein wichtiger Schritt, um unsere Außendarstellung positiv zu beeinflussen.“ Die deutsche Unesco-Kommission hat den Züchtern ausdrücklich bescheinigt, die artgerechte Lebensweise der Tauben zu achten. (Lesen Sie hier: Falken attackieren Tauben: Taubenzüchter in Petersberg ärgern sich über Tierschutz-Maßnahme)
Außerdem hofft Schad durch die Würdigung auf einen positiven Nebeneffekt: Aufmerksamkeit für sein „wunderschönes Hobby“. Während es in den 1960er Jahren in Westdeutschland mehr als 100.000 Brieftaubenzüchter gegeben hat, sind es heute noch 28.000 im ganzen Land. In der Reisevereinigung Fliedetal sind unter den 71 Züchtern nur zwei Jugendliche. Mehr Nachwuchs wäre schön.
Die sinkende Zahl der Züchter mag damit zusammenhängen, dass Zucht und Haltung enorm aufwändig sind. Jeden Tag – morgens, mittags und abends – fährt Schad von Flieden zum Taubenschlag in Döngesmühle, um die Tiere zu füttern, sie fliegen zu lassen – und mit ihnen zu sprechen: „Man merkt, dass die Tiere auf einen reagieren und sich auf den Züchter freuen“, ist er überzeugt.
Und auch alle Wochenenden, zumindest von Mitte März bis Oktober, gehören den Tauben, weil dann die Preisflüge starten. Zeit für Urlaub bleibt da keine. Aber das macht nichts, sagt Schad. „Wenn ich auf dem Taubenschlag bin, kann ich den Stress des Alltags wunderbar abbauen. Dieser Aufenthalt ist für mich Wellness pur.“