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Einst Grenzregion-Spannung am Fulda Gap - jetzt eine Lage mitten in Europa

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Von: Hartmut Zimmermann

Das ökonomische Rückgrat der Region Fulda wird auch durch attraktive Gewerbeflächen – hier der Industriepark Rhön – gestärkt.
Das ökonomische Rückgrat der Region Fulda wird auch durch attraktive Gewerbeflächen – hier der Industriepark Rhön – gestärkt. © Klaus Willem Sitzmann

„Im Herzen Deutschlands“ oder auch „mitten in Europa“ – so präsentiert sich unsere Region Fulda heute gern und oft. Die große Präsenz des Speditionsgewerbes zeigt, dass dies nicht nur die Sprache der Touristiker ist.

Fulda - Zahlen untermauern das. Knapp zwei ICE-Stunden bis Hamburg, gut drei Stunden bis Berlin, zwei bis Leipzig und rund zweieinhalb bis München – das sind Werte, die einen Standort auszeichnen. Doch sie sind eine Momentaufnahme von heute, 2022. Lange Zeit aber war der Landkreis Fulda eine Grenzregion. Das spürt man bis in die Gegenwart. 

Denn das Gebiet, dessen Verwurzelung im politisch-kirchlichen Gebilde des Klosters und Bistums bis heute vielfach greifbar ist, war über Jahrhunderte eine Rand-Region. Als „Fulda“ als politisches Gebilde zu existieren begann, lag es an der Ostgrenze des Reichs (lesen Sie auch hier: CDU räumt nach dem Krieg im Kreistag in Fulda bis zu 64 Prozent ab).

Fulda: Einst Grenzregion-Spannung am Fulda Gap - jetzt eine Lage mitten in Europa

Das Herrschaftsgebiet der Abtei, die zugleich ein Fürstentum war, musste sich gegen die Ansprüche der (Fürst-)Bistümer Mainz und Würzburg behaupten. Grenzland zu sein, war auch später bestimmend: Mit den kurhessischen Nachbarn musste man ebenso zurechtkommen wie mit denen in Thüringen – und Bayern ragte eine ganze Zeit weit ins heutige Kreisgebiet hinein.

Als der Landkreis mit der Gebietsreform von 1972 schließlich seine heutige Gestalt erhielt, hatte die Randlage sogar ihren schmerzlichen Höhepunkt erreicht: Von Eiterfeld über Tann bis Gersfeld war die Kreisgrenze zugleich die Grenze der alten Bundesrepublik.

Einst gefürchtete Schilder wurden nach der Grenzöffnung neu gestaltet.
Einst gefürchtete Schilder wurden nach der Grenzöffnung neu gestaltet. © Karl-Heinz Burkhardt

Die Schilder „Halt! Hier Zonengrenze“ waren, ebenso wie die starke Präsenz amerikanischer Truppen, für die hier Lebenden Alltag – und für jene, die aus dem tiefen Westen zu Besichtigungsfahrten kamen, eine bittere Erinnerung an die Teilung Deutschlands und Europas (lesen Sie auch hier: August Bebel klagt über starkes Zentrum - Katholische Partei regiert nach 1918 in Osthessen).

Nicht von ungefähr wurden solche Touren vom „Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen“ kräftig gesponsert. Die Besucher über die Grenze zu informieren, war eine Nebenaufgabe des Bundesgrenzschutzes, der mit Hünfeld und Fulda gleich zwei starke Standorte in der Region bekam.

Welche außerordentliche Spannung damals – im Alltag meist nicht wahrgenommen – diese Jahre prägte, daran erinnert heute das Grenzmuseum am Point Alpha. Als „heißester Punkt im Kalten Krieg“ bezeichnen die Point-Alpha-Führerinnen und -Führer den US-Beobachtungspunkt mitunter.

„Fulda Gap“ als potenzielle Angriffslinie für den Vorstoß ins Rhein-Main-Gebiet

Dort, zwei, drei Kilometer von Rasdorf entfernt, standen sich mit allem Kriegsgerät ausgestattete US-Soldaten und DDR-Grenztruppen gegenüber. Eine mögliche Strategie des Warschauer Pakts sah die Nutzung des „Fulda Gap“, also der geografischen Lücke bei Fulda, als potenzielle Angriffslinie für den Vorstoß ins Rhein-Main-Gebiet vor.

Damit klar, dass im Falle eines Krieges der Landkreis zumindest durch schwerste Kämpfe mit konventionellen Waffen, wenn nicht gar durch den Einsatz taktischer Atomwaffen, verwüstet worden wäre. Gudrun Pauswang schuf daraus 1983 ihr Buch „Die letzten Kinder von Schewenborn“.

Das macht Point Alpha auch für die Zukunft zu einem unverzichtbaren Gedenkort und zu einem Punkt, um über Politik nachzudenken. Dass die Region auch in den Jahren des Kalten Kriegs nicht vom „Wirtschaftswunder“ abgehängt wurde, sondern sich vergleichsweise positiv entwickeln konnte, lag nicht allein daran, dass die Bundespolitik mit Instrumenten wie der „Zonenrandförderung“ dazu beitrug, dass auch in den Städten und Dörfern entlang des „Eisernen Vorhangs“ die Zeit nicht stehen blieb.

Point Alpha – heute auch ein „Museum des Kalten Krieges“: Das Bild zeigt die mit dem  Point-Alpha-Preis ausgezeichneten George W. Bush sen., Michail Gorbatschow (Zweiter und Dritter von links)  sowie Helmut Kohl (Zweiter von rechts)  an der Vitrine zum „Fulda Gap“.
Point Alpha – heute auch ein „Museum des Kalten Krieges“: Das Bild zeigt die mit dem Point-Alpha-Preis ausgezeichneten George W. Bush sen., Michail Gorbatschow (Zweiter und Dritter von links) sowie Helmut Kohl (Zweiter von rechts) an der Vitrine zum „Fulda Gap“. © Karl-Heinz Burkhardt

Die Kommunen des Landkreises entwickelten auch aus eigener Kraft eine neue wirtschaftliche Dynamik. Diese wurzelte nicht zuletzt darin, dass in Folge der Umwälzungen beim Ende des Zweiten Weltkriegs mehr als 33.000 Heimatvertriebene und Flüchtlinge in die Region gekommen waren.

Unter den Neubürgern aus dem Sudetenland, aus Schlesien, Ostpreußen und anderen Regionen waren auch eine Reihe zupackender Menschen, die entweder ihre zuvor schon betriebenen Unternehmen neu aufstellten, oder aber in den unterschiedlichsten Zweigen neue Betriebe gründeten und zu guten Entwicklungen führten.

So entwickelte das Kreisgebiet auch in den Jahren der deutschen Teilung eine wirtschaftliche Stabilität. Sie bildete die Basis für die außerordentlich positive Entwicklung, die mit der Wiedervereinigung einsetzte (lesen Sie auch hier: xxx).

Wiedervereinigung bedeutete für den Landkreis Fulda eine große Stärkung

Die Friedliche Revolution in der DDR und der Fall der Mauer waren gerade für die Grenzregion eine emotional enorm bewegende Zeit. Die Erinnerung an die schier endlose Trabi-Kolonne auf der B84 und an den mit Trabants und Wartburgs zugeparkten Domplatz gehören zum Gedächtnis der Region.

Doch auch die Langzeit-Folgen der Wiedervereinigung erwiesen sich für den Landkreis wirtschaftlich als Glücksfall. Zwar stöhnten manche über den Verlust der Zonenrand-Unterstützung und das Entstehen einer neuen Förderregion im grenznahen Thüringen. Aber die Grenzöffnung und die Wiedervereinigung im Rahmen eines wachsenden Europas bedeuteten und bedeuten für den Landkreis eine kaum zu unterschätzende Stärkung.

Das betrifft nicht zuletzt das Lebensgefühl gerade in den Dörfern unmittelbar an der einstigen Grenze, die in Zeiten von Corona und dem wachsenden Interesse an Homeoffice-Arbeitsplätzen als attraktive Wohn- und Lebensorte punkten können. Das gilt aber insgesamt für den Wirtschaftsstandort Osthessen, der seine eigene Dynamik entwickeln und stärken kann. 

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Bei Hessens Arbeitsmarkt-Daten haben der Fuldaer und Hünfelder Raum fast ein Abonnement auf die Werte mit der geringsten Arbeitslosigkeit (lesen Sie auch hier: Neue Arbeitsmarktzahlen: Weniger Arbeitslose im Kreis Fulda - Chancen für Ukraine-Geflüchtete?).

In dieser Situation profitieren nicht wenige Unternehmen und Behörden davon, dass sie dank der Frauen und Männer aus den Randbereichen Thüringens auch in Zeiten des Fachkräftemangels qualifiziertes Personal finden. Die Lage „Im Herzen Deutschlands“ lässt die Region Fulda heute gut dastehen.

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