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Kommunale Gebietsreform in den 1970er Jahren: Kritik bis heute nicht verstummt

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Von: Sabrina Mehler

Allerorten wurde mit harten Bandagen gekämpft: Die damals selbstständige Gemeinde Buchenau wollte partout nicht zum Kreis Fulda gehören.
Allerorten wurde mit harten Bandagen gekämpft: Die damals selbstständige Gemeinde Buchenau wollte partout nicht zum Kreis Fulda gehören. (Archivfoto) © Karl-Heinz Burkhardt

Vor 50 Jahren veränderte die Gebietsreform die Landkarte: Damals gingen die Bürger auf die Barrikaden, und obwohl bis heute die Kritik nicht verstummt, gibt es neue Bestrebungen für Gemeindefusionen.

Fulda - Die Idee war damals einfach: Kleinen Gemeinden fehlte oft das Geld für Straßensanierungen oder um Leitungsnetze instand zu halten – eine große Gemeinde war wirtschaftlich handlungsfähiger. Der Aufschrei gegen die massenhafte Zusammenlegung von Landkreisen und Gemeinden Anfang der 70er Jahre war jedoch laut, vor allem an den Rändern der Kreise Fulda und Hünfeld.

Zum Beispiel in Buchenau, dessen Bürger partout nicht in den neuen Kreis Fulda wechseln wollten, sondern mit dem nur zwölf Autominuten entfernten Hersfeld liebäugelten. An Scheunen klebten Protestplakate, eine Bürgerinitiative in Eiterfeld forderte neue Verhandlungen, und in einer in der Hünfelder Zeitung veröffentlichten Todesanzeige für den Kreis Hünfeld wurde gegen den „Machthunger der südlichen Nachbarn“ gewettert.

Fulda: Gebietsreform in den 70er Jahren - Kritik bis heute nicht verstummt

Es nutzte alles nichts: Dort, wo Orte sich nicht an den Vorgaben der damaligen SPD-/FDP-Landesregierung orientieren wollten, wurden Eingemeindung und Einkreisung letztlich per Verordnung beschlossen.

Bei der Reform galt es, gewachsene Strukturen zu bedenken, politische und konfessionelle Mehrheiten zu berücksichtigen. Doch nicht nur in Buchenau waren die Leute auf die Barrikaden gegangen, es war überall ein Hauen und Stechen, ein Taktieren und manchmal Intrigieren: Fast täglich berichtete die Fuldaer Zeitung von öffentlichen Auseinandersetzungen darüber, wie die Grenzen zu ziehen seien.

Armenhof zum Beispiel wollte zur Gemeinde Petersberg und nicht zu Dipperz. Reulbach und Thaiden bändelten mit Hilders an und wollten von Ehrenberg zunächst wenig wissen. Bad Salzschlirf drohte an den Vogelsberg verloren zu gehen. Malkes forcierte die Liebesheirat mit Bimbach, ehelichte dann aber den Nachbarn Fulda.

Die Träume von einer Gemeinde „Rhönbergen“ mit Dalherda, Gichenbach, Hettenhausen, Ried, Thalau und Schmalnau platzten ebenso wie von einer Gemeinde namens „Florenberg“. Weidenau ging an Freiensteinau verloren, dafür kamen Uttrichshausen, Heubach und Oberkalbach vom Altkreis Schlüchtern zur neuen Gemeinde Kalbach.

Kreis Hüfeld wetterte gegen „Machthunger der südlichen Nachbarn“

Auch auf Kreisebene standen mehrere Varianten in der Diskussion: Die Eingliederung des Kreises Lauterbach oder wenigstens des Schlitzerlands wurde zwischenzeitlich ebenso gefordert wie der Zusammenschluss von Lauterbach, Fulda, Hünfeld und auch noch Hersfeld. Auch aus der von vielen gewünschten Fusion von Hünfeld und Fulda zu einem „Rhönkreis“ wurde nichts.

Dass das Hünfelder Land letzten Endes vom Kreis Fulda schlichtweg geschluckt wurde und Orte wie Mansbach und Neukirchen auch noch an Hersfeld-Rotenburg abgeben musste, das können viele Hünfelder ihrem damaligen Landrat Heinrich Beck bis heute nicht verzeihen. Fuldas Landrat Eduard Stieler schien hingegen einigermaßen zufrieden. (Lesen Sie hier: Der Kampf um „HÜN“: Kreisverwaltung stemmte sich gegen altes Kfz-Kennzeichen)

Freude und Trauer gleichermaßen zeigten die Verantwortlichen der Stadt Fulda. Die war nämlich seit 1927 kreisfrei und ging nun im Zuge der Reform ebenfalls auf Brautschau. Bei 24 Nachbargemeinden von Bernhards bis Zirkenbach war sie erfolgreich – sehr zum Verdruss von Landrat Stieler, der über die Werbetour des seit 1970 amtierenden Oberbürgermeisters Dr. Wolfgang Hamberger nicht sonderlich erfreut war. Im August 1972 wuchs die Fuldaer Gesamtbevölkerung dennoch von 44.845 auf 60.293 Einwohner.

Die Integration der neuen Stadtteile lief weitgehend reibungslos. Bitteres blieb Fulda in den folgenden Jahren allerdings nicht erspart: Die Stadt verlor am 1. Juli 1974 ihre Kreisfreiheit. 1979 wurde ihr immerhin ein Sonderstatus zuerkannt; sie erhielt dadurch mehr Aufgaben und Rechte als andere kreisangehörige Städte.

Trotz bestehender Kritik an Reform: Neue Bestrebungen für Fusionen

Für viele Bürger und Bürgerinnen im neuen Kreis Fulda änderte sich viel: Wo früher nicht selten in der Wohnstube des Bürgermeisters Entscheidungen gefällt wurden und wo Beglaubigungen und Abschriften vor Ort abgeholt werden konnten, wo das Standesamt wie das Ortsgericht vor der Haustür waren, mussten die Einwohner nun weit fahren. Der „kleine Dienstweg“ gehörte der Vergangenheit an. Im Laufe der Jahre konzentrierten sich Schulen, Geschäfte, Banken, Arztpraxen und Sporteinrichtungen in den Kernorten.

Noch heute wird an manchem Stammtisch über die Reform geschimpft und bei Erlassen des Landes wie dem viel kritisierten Landesentwicklungsplan von 2020 sorgt man sich hierzulande, dass die kommunale Selbstverwaltung wieder beschnitten werden könnte.

Trotzdem bestehen längst neue Zusammenschlüsse: Im Altkreis Hünfeld etwa gibt es eine gut funktionierende interkommunale Zusammenarbeit in vielen Bereichen. Ehrenberg, Hilders und Tann arbeiten in einem Verwaltungsverband. Und Vorstellungen von einer Großstadt Fulda mit Künzell und Petersberg gären weiter. Die Gebietsreform von 1972, sie wird möglicherweise nicht die letzte gewesen sein.

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