An die erste Nacht erinnert Katinka Mai sich ganz genau: „Da dachte ich, ich mache kein Auge zu“, erzählt sie. Denn nur wenige Meter von ihrer Unterkunft entfernt befand sich ein Gehege mit zwei Löwen. „Die haben die ganze Nacht gebrüllt.“ Und auch tagsüber war kaum an Ruhe zu denken: „Der Wecker ging jeden Morgen um 5.30 Uhr, eine halbe Stunde später haben wir uns mit allen Freiwilligen im Gemeinschaftsraum getroffen.“ Dort wurden kurze Filme und Präsentationen rund um das Thema Nashörner gezeigt. Anschließend wurden die Helferinnen und Helfer nach Aufgaben in Gruppen eingeteilt.
Obwohl der Handel mit Horn von Nashörnern international verboten ist, sind von 2018 bis 2021 nach Angaben der Weltnaturschutzunion (IUCN) mindestens 2707 afrikanische Nashörner Wilderern zum Opfer gefallen. 90 Prozent der Fälle wurden aus Südafrika gemeldet, wo die meisten Nashörner leben.
Das Horn der Tiere, das wie menschliche Fingernägel aus Keratin besteht, ist vor allem im asiatischen Raum sehr begehrt. Dort werden ihm aphrodisierende und heilende Kräfte zugeschrieben. „Es heißt, dass man das pulverisierte Horn dort seinen Gästen als Getränk anbietet – oder auf Partys wie Koks einnimmt“, sagt Katinka Mai. Nach der Coronapandemie sei die Nachfrage enorm gestiegen – und damit auch der Preis. „Nashorn ist auf dem Schwarzmarkt mehr wert als Gold“, so Mai. Etwa 2000 Dollar würden Wilderer für ein Horn bekommen.
Im Mittelpunkt stand dabei die Fütterung der Nashörner. „Wir haben die Babys mit der Milchflasche gefüttert. Jedes Tier bekommt eine andere Mischung, die nach dem individuellen Bedarf an Nährstoffen zusammengesetzt ist“, erklärt Mai. In der Natur trinken Nashornbabys etwa bis zum zweiten Lebensjahr Muttermilch. Manche Tiere, die in der Auffangstation von „Care for Wild“ ankommen, sind noch kein Jahr alt.
Die kleinen Nashörner werden durch einen Zaun gefüttert, damit sie sich nicht an die Menschen gewöhnen. Sobald sie alt genug sind, werden sie auf dem Gelände der Organisation ausgewildert. „Die Nashörner leben dann eigenständig, sind aber weiterhin durch Elektrozäune, Kameras und Sicherheitspersonal vor Wilderern geschützt“, sagt Katinka Mai. Die erwachsenen Tiere werden von „Care for Wild“ erforscht und dokumentiert. Mittlerweile hat sogar das erste Nashornpärchen auf dem Areal Nachwuchs bekommen.
Wenn sie nicht gerade Futterzutaten abgewogen, Milchersatz gemischt oder Nashornbabys die Flasche gegeben hat, hat die 47-Jährige in der trockenen Mittagshitze Gehege ausgemistet und Heu gerecht. Die körperliche Arbeit sei schwer gewesen, hinzu kamen psychische Herausforderungen – vor allem die Bedrohung durch Wilderer.
Das Care For Wild Rhino Sanctuary ist die größte Nashornwaisen-Auffangstation der Welt. Es wurde im Jahr 2001 eröffnet und erstreckt sich über 28 000 Hektar im Greater Barberton Nature Reserve in Mpumalanga, Südafrika. Die gemeinnützige Organisation arbeitet eng mit dem Krüger Nationalpark zusammen, um gefährdete Tierarten wie Spitzmaul- und Breitmaulnashörner zu retten.
„Wilderer arbeiten meist zu dritt: Einer schießt, einer trennt mit einer Axt das Horn ab und der Dritte nimmt das Horn. Sie müssen schnell sein, denn sobald ein Schuss fällt, machen sich Anti-Wilderer-Einheiten auf den Weg. Für Wilderer zählt ein Menschenleben genauso wenig wie das eines Tieres. 2022 sind zahlreiche Ranger von ihnen erschossen worden.“ Aus ihrem Job sei sie zudem mehr Struktur gewohnt. „An der Arbeit plane ich alles bis ins kleinste Detail. In Afrika läuft das anders“, erzählt Mai.
Trotzdem würde sie die Reise wieder machen. „Die Tage waren lang, aber sehr erfüllend. Es war schön, die Fortschritte der Nashornbabys zu beobachten. Man hat das Gefühl, man hilft direkt vor Ort.“ Auch die Gemeinschaft mit den anderen Freiwilligen habe sie sehr genossen. „Wir alle haben aber festgestellt, dass wir zu Hause in Sachen Tierschutz auch genug zu tun hätten.“
Mai bleibt als Tierpatin weiter mit der Organisation in Verbindung. Sie möchte mehr Menschen auf das Problem aufmerksam machen und andere zum Helfen inspirieren.
Übrigens: Ihr Fernweh und Interesse für fremde Länder und Kulturen scheint Katinka Mai an ihren Sohn Marlon Osterod vererbt zu haben: Der heute 17-Jährige hatte 2021 ein halbes Jahr Unterricht auf hoher See, als er mit einem Schulschiff über den Atlantik gesegelt ist.