Haben Sie ein Beispiel?
Bingel: Die FFP-2-Masken zum Beispiel kosten jetzt 2,50 Euro. Zwischenzeitlich wurde dafür 10 Euro und mehr verlangt. Vor der Krise lag der Preis bei 30 bis 40 Cent.
Menzel: Eine Herausforderung ist es aber auch, genügend Betten im Isolationsbereich bereitzustellen. Da gab es anfangs eine gewisse Unsicherheit. Mittlerweile wissen wir, dass von 100 Covid-Patienten 15 bis 20 ins Krankenhaus müssen, zwei müssen auf Intensiv und einer stirbt. So ist die Statistik. Man muss bei der ganzen Planung aber auch die Zeitachse im Blick behalten: Wenn ein Patient heute Halskratzen und Kopfschmerzen hat, dann geht er vielleicht morgen zum Test. Er ist aber im Prinzip schon bei Tag sieben der Erkrankung, die Infektion liegt bereits Tage zurück. Es dauert dann in der Regel weitere fünf bis sieben Tage, bis der Patient so krank wird, dass er ins Krankenhaus muss. An Tag 12 bis 16 kippt es dann: Entweder der Betroffene fühlt sich so langsam wieder besser, oder er entwickelt sich zu einem Intensivpatienten, der beatmet werden muss. Die, die es schaffen, liegen dann bis zu fünf Wochen auf Intensivstation. Die, die es nicht schaffen, sterben nach 10 bis 14 Tagen. Von der Infektion bis zum Tod dauert es also fast einen Monat. Was ich damit sagen will: Wenn man heute über eine Lockerung spricht, dann merkt man die Auswirkungen erst Wochen später.
Was haben Sie in den vergangenen Monaten gelernt?
Menzel: Gelernt habe ich, dass es im Bereich der Epidemien und Pandemien nicht nur Planspiele gibt, sondern dass aus Szenarien Wirklichkeit werden kann. Unser System ist nicht auf Vorratshaltung ausgelegt, sondern auf Normalbetrieb. Wir am Klinikum haben immer gesagt, das rächt sich bei der nächsten großen Grippewelle. Jetzt streichen Sie „Grippe“ und ersetzen es durch „Corona“. Es ist genau das passiert, was wir befürchtet hatten. Einige positive Erfahrungen konnten wir aber auch machen. Der Umgang mit Corona hat gezeigt, wie gut die Zusammenarbeit regional, national, aber auch international funktioniert. Es werden mittlerweile 160 Impfstoffe erprobt. Wir investieren Geld in die Bekämpfung dieser Erkrankung. Das zeigt, dass die Menschheit durchaus in der Lage ist, sich zu solidarisieren.
Stichwort Impfstoff. Mittlerweile hat man herausgefunden, dass ehemalige Corona-Patienten nach einer Weile gar nicht mehr so viele Antikörper haben. Das würde bedeuten, dass eine Impfung womöglich nichts bringt. Es sieht so aus, als müssten wir zukünftig mit dem Virus leben.
Menzel: Das ist sicher so. Denken wir mal an HIV/Aids – da haben wir immer noch keinen Impfstoff. Ich bin beim Thema Corona-Impfung aber wegen der Antikörper nicht so sehr beunruhigt.
Warum nicht?
Menzel: Rasch rückläufige Antikörperspiegel bedeuten nicht unbedingt, dass ein Impfstoff nicht wirksam ist. Die spezifische Immunabwehr besteht aus den B-Zellen, die Antikörper produzieren, und den T-Zellen, die auch beim neuen Coronavirus eine Rolle spielen und zum Impfschutz beitragen können. Die Antikörper sind relativ einfach zu bestimmen. Ungleich schwerer zu messen ist die T-Zell-Antwort, das ist kein Routine-Test. Ich bin zuversichtlich, und würde die Hoffnung auf einen guten Impfstoff nicht aufgeben. Das Ganze ist komplexer, da braucht es noch ein bisschen Zeit.
Corona wird uns noch einige Zeit begleiten. Was brauchen unsere Krankenhäuser, um gerüstet zu sein?
Menzel: Das wird gerade diskutiert. Bis hin zur Frage: Wie vergüten wir Krankenhäuser? Machen wir das wie bisher nur nach erbrachter Leistung oder können auch Vorhalteleistungen irgendwie finanziert werden?
Der Landkreis hat dem Klinikum vor einigen Wochen einen Liquiditätskredit in Höhe von zehn Millionen Euro gewährt. Im Zuge dessen kam die Frage auf, ob der Landkreis neben der Stadt Fulda als Träger des Krankenhauses mit einsteigt. Was halten Sie davon?
Menzel: Es ist das Privileg der Politik, darüber zu entscheiden, ob das ein guter Weg ist. Wir können uns gut vorstellen, die Verantwortung für ein großes kommunales Krankenhaus, das einen überregionalen Versorgungsauftrag hat, auf mehrere Schultern zu verteilen. Die Entscheidung ist Sache der Politik. Wir haben den Eindruck, dass die Bevölkerung in der Krise die Bedeutung des Klinikums für die Versorgung der Menschen in der Region mehr denn je erkannt hat. Die Menschen sind froh, dass sie uns haben. Ich glaube, dass das auch von der Politik erkannt worden ist. Wir freuen uns über diese Unterstützung und über die Wertschätzung.
Herr Bingel, Sie sind für die Finanzen zuständig. Haben Sie schon Kassensturz gemacht?
Bingel: Owei. Für die wirtschaftliche Bewertung der Coronakrise ist es noch zu früh. Die Höhe des finanziellen Schadens kennen wir noch nicht. Aber es ist ziemlich sicher, dass wir in diesem Jahr keine schwarzen Zahlen schreiben werden. Immerhin sind wir vor allem durch die Unterstützung der Stadt und des Landkreises in einer aktuell guten liquiden Situation. Die Bundesregierung hat mit ihren gesetzlichen Vorgaben auch dafür gesorgt, dass die Rechnungen der Krankenhäuser zeitnah vergütet werden. In der Vergangenheit mussten wir mitunter mehrere Jahre auf das Geld warten.
Zum Verständnis: Das Krankenhaus stellt eine Rechnung, diese sollte spätestens nach vier Wochen beglichen sein – wenn die Krankenkasse diese akzeptiert. Wenn die Krankenkasse das aber in einem sogenannten medizinischen Dienstverfahren bestreitet, kommt das Geld vier oder fünf Jahre später. Den Kliniken fehlen bundesweit liquide Mitteln. In unserem Haus waren es in der Regel 20 Millionen, die der Medizinische Dienst im Auftrag der Krankenkasse strittig gestellt hat. Das durch die Bundesregierung festgelegte Zahlungsziel von fünf Tagen läuft Ende 2020 aus. Es ist zu befürchten, dass die Politik dann wieder zum alten System zurückkehrt und wir wieder Jahre auf unser Geld warten müssen.
Allerdings hat die Regierung das Freihalten von Betten mit einer Pauschale von 560 Euro pro Bett und Tag vergütet. Da floss Geld, auch bei Nichtbelegung.
Menzel: Das schon. Aber wir machen in der Regel mehr als 560 Euro Umsatz pro Bett und Tag.
Bingel: Die 560 Euro sind für uns zu wenig. Bei einem Tagessatz von 560 Euro bedeutet dies eine ungefähre Unterdeckung von 150 bis 200 Euro pro Tag. Wir als Maximalversorger haben neben einer Vielzahl von Notfällen ein elektives Geschäft – also Operationen, die auch zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden konnten – ein MVZ, diverse Ambulanzen und noch einige diagnostische Einheiten. Hohe Kosten verursachen die Radiologie, mehrere Herzkatheterlabore und auch das neue INO-Zentrum. In der Krise stand einiges still, das Personal musste trotzdem bezahlt werden.
Menzel: Die pauschale Vergütung mit 560 Euro für den einzelnen Leerstand trifft die Häuser unterschiedlich. Es gibt Häuser, die keine Maximalversorgung bieten. Diese Häuser machen keine 560 Euro am Tag. Wir unterstellen nichts, aber für sie kann es aus betriebswirtschaftlicher Sicht sogar sinnvoll sein, die Betten leerstehen zu lassen. Die großen kommunalen Krankenhäuser schneiden durch die Regelung fast alle schlechter ab.
Wie viele Operationen mussten denn verschoben werden?
Menzel: Im Jahr haben wir etwa 15.000 Eingriffe. Diese Zahl werden wir 2020 wohl nicht erreichen. Etwa die Hälfte der geplanten Operationen zwischen März und Juni wurde verschoben. Es gab die Anordnung, nur die Eingriffe vorzunehmen, die sich nicht verschieben ließen.
Ihre Mitarbeiter gehören in der Krise zu denjenigen, die besonders viel arbeiten müssen. Wurde das extra vergütet?
Menzel: Nein. Monetär nicht. Wir haben versucht, den Betrieb so zu organisieren, dass die Belastung der Mitarbeiter auf einem vertretbaren Niveau blieb. Und: Während auf der Intensivstation viel los war, gab es andere Bereiche, die weniger zu tun hatten.
Bingel: Einige haben Überstunden abbauen können. Das elektive Geschäft haben wir komplett heruntergefahren. Von unseren 15 OP-Sälen hatten wir letztlich nur noch drei bis sechs OP-Säle im Betrieb. Das Anästhesiepersonal aus dem OP wurde zwischenzeitlich auf der Intensivstation eingearbeitet, um Beatmungspatienten behandeln zu können, wenn die Zahl der Infektionen gestiegen wäre.
Sie suchten zeitweise auch freiwillige Helfer. Kamen diese je zum Einsatz?
Menzel: Nein. Das war nicht nötig. Gleichwohl fanden wir es toll, dass sich über 300 Menschen dafür zur Verfügung gestellt haben.
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