Auch in den Praxen arbeitet das Personal zunehmend am Limit, erklärt die Wiesbadener Kinderärztin Dr. Soraya Seyyedi. Sie ist Sprecherin der hessischen Kinder- und Jugendärzte. Ihr Kollege Professor Dr. Jens-Oliver Steiß aus Fulda bestätigt das Bild. Die Zahl der Atemwegserkrankungen und auch die der RS-Infektionen sei in diesem Jahr höher als sonst, sagt Steiß, der mit der Kinderärztin Dr. Cornelia Langner in einer Gemeinschaftspraxis in Fulda arbeitet. Bereits seit Ende September beobachte man eine steigende Zahl von Fällen.
Doch warum erkranken derzeit so viele Kinder? Verbandssprecherin Dr. Seyyedi nennt die Pandemie als Grund: „Da die Kinder sich die vergangenen beiden Jahre aufgrund von Corona nicht mit dem Virus immunisieren konnten, erkranken zur Zeit mehr von ihnen am RS-Virus.“ Zu den üblichen grippalen Infekten und Magen-Darm-Viren kämen neben der jahreszeitlich zu früh auftretenden Influenza-Welle nun auch noch Infektionen mit dem RS-Virus.
Auch Kinderarzt Steiß vermutet, dass die fehlende Immunisierung die RS-Virus-Welle verstärkt. Die Erkrankung an sich sei nicht neu, aber die Intensität und das parallel laufende Erkältungsgeschehen wirke sich massiv auf den Praxis-Alltag aus: „Die Situation ist für uns alle im Praxis-Team wirklich belastend“, unterstreicht er.
Verbandssprecherin Seyyedi bemängelt grundsätzlich, dass es durch Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen in den Praxen und in den Kliniken aufgrund von Personalmangel und Bettenabbau in den vergangenen Jahre zu Engpässen in der Versorgung komme. Es gebe zu wenig Betten – und von den vorhandenen könnten nicht alle belegt werden, weil das Personal fehle. (Lesen Sie auch: Kritik an Sparmaßnahmen: Mehr als 200 Teilnehmer bei Ärzte-Demo in Fulda)
Die „Hausärzte MKK“, die Praxen für Allgemeinmedizin in Bad Soden-Salmünster, Langenselbold und Schlüchtern betreiben, verzeichnen derzeit ebenfalls viele Patientinnen und Patienten mit Erkältungssymptomen. „Allerdings sind es nicht signifikant mehr als in den Vorjahren, sondern die für die kalte Jahreszeit durchaus übliche Anzahl“, teilt ein Sprecher dieser Praxen im Main-Kinzig-Kreis auf Nachfrage mit.
Er beschreibt die Thematik aus einer anderen Perspektive: „Ein Grund für diese Wahrnehmung könnte eher der Personalmangel in der Gesundheitsbranche sein.“ Will sagen: Es seien nicht mehr Patientinnen und Patienten da, sondern weniger Mediziner und Fachangestellte, die sich um die Kranken kümmern könnten. (mit dpa-Material)