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Zweites Leben nach Blutkrebs-Erkrankung: Sigrid Albert feiert 70. Geburtstag mit ihrem Lebensretter

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Von: Leon Schmitt

Sigrid Albert feierte am Samstag in Fladungen ihren 70. Geburtstag - unter anderem mit ihrem Stammzellenspender und ihrer achtjährigen Enkelin Jule.
Sigrid Albert feierte am Samstag in Fladungen ihren 70. Geburtstag - unter anderem mit ihrem Stammzellenspender und ihrer achtjährigen Enkelin Jule. © privat

Sigrid Albert aus Fulda hat dank einer Stammzellenspende eine Leukämie-Erkrankung überlebt. Am Samstag hat sie ihren 70. Geburtstag gefeiert - mit ihrem Lebensretter.

Fulda - Sigrid Albert meldet sich bei unserer Zeitung, nachdem sie den Bericht über die Typisierungsaktion für den kleinen Levi aus Petersberg gelesen hat. Sie möchte ihre Geschichte erzählen, um anderen Erkrankten Mut zu machen und um mögliche Stammzellenspender zur Typisierung zu bewegen. Denn ohne eine Stammzellenspende wäre die Frau aus Fulda heute wohl nicht mehr am Leben.

Fulda: Leukämie-Überlebende feiert Geburtstag mit ihrem Spender

Die Tage um Weihnachten sind für viele eine ganz besondere Zeit - vor allem für gläubige Menschen wie Sigrid Albert. Für die 70-Jährige, die in Dortmund aufgewachsen ist und seit 1973 in Fulda lebt, hat sich genau in dieser besinnlichen Zeit im Jahr 2011 das Leben komplett verändert.

Sigrid Albert fühlte sich bereits mehrere Wochen schlapp und energielos. „Ich dachte, ich brüte eine Grippe aus“, erzählt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Zwischen den Jahren ging sie dann zum Arzt. Dieser sagte Albert, dass sie schwer krank sei und sofort ins Krankenhaus müsse. Dort erhielt sie die Blutkrebs-Diagnose.

Als sie der Schicksalsschlag traf, war Sigrid Albert 58 Jahre alt. Ein Jahr zuvor hatte sie sich mit ihrem zehn Jahre älteren Mann, den sie während ihres Studiums in Fulda kennengelernt hatte, zur Ruhe gesetzt. Sie hatte als Sozialarbeitern zunächst bei der Stadt Fulda und später im Herz-Jesu-Krankenhaus gearbeitet.

Nun stand ihr Leben auf der Kippe. Bei Alberts Erkrankung handelte es sich um die akute myeloische Leukämie (AML). Myeloische Leukämien entwickeln sich aus Vorläuferzellen im Knochenmark, wie die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) auf ihrer Homepage erklärt. Bei einer akuten Leukämie verschlechtere sich der Gesundheitszustand der Patienten rapide. „Häufig ist eine Stammzelltransplantation die einzige Aussicht auf Heilung“, schreibt die DKMS. So auch bei Sigrid Albert.

„Es war schnell klar, dass ich einen fremden Stammzellenspender brauchte“, berichtet sie. Die DKMS habe dann sofort mit der Suche nach einem passendem Spender begonnen. Das Ergebnis: Zwei Menschen in der Kartei kamen für die Spende infrage. Bei einem davon stimmten die Gewebemerkmale zu 99 Prozent mit denen von Albert überein. „Er ist wie mein genetischer Zwilling“, sagt sie über den Mann, der ihr schließlich das Leben rettete und quasi ein zweites ermöglichte.

Nach neun Jahren: Stammzellenspender kommt zum 70. Geburtstag

Dass es sich um einen Mann handelt, wusste Albert zunächst überhaupt nicht. Zum Schutz für Spender und Patienten gelten nämlich Anonymitätsregeln. Ein Kennenlernen soll beide Seiten nicht überfordern. „Zudem soll der Spender zu jedem Zeitpunkt freiwillig und unabhängig entscheiden, ob er zu einer eventuellen Nachspende von Stammzellen bereit ist und sich nicht moralisch unter Druck fühlen“, schreibt die DKMS auf ihrer Homepage. Dort kann man sich registrieren.

Trotzdem schrieb Albert ihrem unbekannten Retter während ihres 14-wöchigen Krankenhausaufenthalts - erst in Fulda, dann in Marburg - mehrfach Briefe. „Ich wusste ja überhaupt nicht, ob ich die Transplantation überlebe. Deshalb wollte ich mich vorher schon bei ihm bedanken“, erklärt Albert. Eine Koordinierungsstelle hat ihre Briefe weitergegeben. Und sie bekam sogar welche zurück.

Den 9. März 2012 - der Tag, an dem die Transplantation erfolgreich durchgeführt wurde - bezeichnet Albert stolz als „meinen zweiten Geburtstag“. Und diesen feiere sie auch: „An dem Tag unternehmen mein Mann und ich immer etwas Besonderes.“

Der 9. März ist mein zweiter Geburtstag.

Leukämie-Überlebende Sigrid Albert

Mit ihrem Spender hielt sie in den ersten zwei Jahren - solange gilt in Deutschland die Anonymisierungsfrist - über Briefe Kontakt. Weil auch er Sigrid Albert kennenlernen wollte, kam es im Mai 2014 am Göttinger Bahnhof zu einem ersten Treffen der beiden. „Ich reiste mit dem Zug aus Fulda an, und er kam aus Hannover“, erinnert sich Albert. „Ich war total aufgeregt und hatte einen riesigen Blumenstrauß dabei. Als wir uns dann endlich gegenüberstanden, haben wir beide bitterlich geweint.“ Dann gingen sie einen Kaffee trinken.

„Wir haben genau die gleiche Augenfarbe“, sagt die 70-Jährige. Aber auch charakterliche Gemeinsamkeiten fielen ihr bei dem Treffen in Göttingen auf und bei den Telefonaten danach auf. „Er ist in vielen Dingen wie ich.“ So eint beide eine Liebe für die kleine Nordsee-Insel Spiekeroog. Als ihr Lebensretter ihr kürzlich von einem Sizilien-Urlaub berichtete, war Albert verblüfft: „Wenige Tage vorher hatte ich in das Freundebuch meiner Enkelin in der Rubrik ‚Welche Ziele hast du?‘ eine Reise nach Sizilien eingetragen.“

Video: Kampf gegen Leukämie - wie werde ich Stammzellspender?

Neun Jahre nach dem ersten Treffen haben sich Albert und ihr Spender am vergangenen Samstag zum zweiten Mal gesehen. Sie hatte ihn zur Feier ihres 70. Geburtstag nach Fladungen in der unterfränkischen Rhön eingeladen. Dort hatte Albert eine Führung im Freilandmuseum gebucht, und es gab ein Abendessen in einem ihrer Lieblingsrestaurants. „Ich war wieder sehr aufgeregt und konnte die ganze letzte Woche nicht richtig schlafen. Aber schöner hätte ich mir meinen Geburtstag nicht vorstellen können“, erzählt sie.

Ihr besonderer Gast - ihr 52-Jähriger Lebensretter aus dem Raum Hannover - möchte gerne im Hintergrund bleiben und deshalb namentlich nicht genannt werden. Dass Albert ihren 70. Geburtstag mit ihrem Spender feiern konnte, dass sie ihre Enkel kennenlernen durfte, dass sie zum Erlebnistanz, zum Literaturkreis und zur Wassergymnastik gehen kann, hat sie ihm zu verdanken. „Ich lebe meinen Leben nun viel intensiver“, sagt Albert. „Es kann jeden Moment vorbei sein.“

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