Auf der Flucht aus Butscha kamen die Wehen: Zwei Flüchtlingsfrauen aus der Ukraine berichten

Zum Muttertag (8. Mai 2022) erzählen zwei Flüchtlinge aus der Ukraine was es heißt, wenn der Krieg die Familie auseinanderreißt – und wenn man auf der Flucht ein Baby bekommt.
Fulda - Im Angesicht des Krieges in den USA und Europa forderte die Frauenrechtlerin Julia Ward Howe 1870 einen „Muttertag des Friedens“. Der Wunsch nach Frieden ist aktueller denn je, wo auch die Erfahrungsberichte von zwei Müttern zeigen, die im Landkreis Fulda und im Main-Kinzig-Kreis Zuflucht gefunden haben.
Nelia Vyshniak aus Butscha erzählt: Der kleine Viktor hatte einen besonderen Start ins Leben: Seine Mutter Nelia Vyshniak bekam ihn auf der Flucht in einem Krankenhaus in Moldawien. Jetzt lebt die Familie, die insgesamt fünf Kinder im Alter von zwei Monaten bis zwölf Jahren hat, in Döllbach bei Eichenzell.
Fulda: Wehen auf Flucht - Flüchtlingsfrauen aus Ukraine berichten am Muttertag
Wenn die 37-Jährige von der Flucht aus der Ukraine erzählt, sagt sie immer wieder, wie dankbar sie sei – den Menschen, die geholfen haben, aber auch Gott. Nelia ist sehr gläubig und gehört zur Gemeinde der Evangeliumschristen-Baptisten (lesen Sie auch hier: Brüdergemeinden in Fulda bieten aktuell Hilfe für 122 Ukraine-Flüchtlinge).
Vor dem Krieg lebte die Familie bei Butscha, 20 Kilometer von Kiew entfernt. Vater Waldemar war an der Universität als Physiklehrer angestellt. „Bevor wir uns auf den Weg machten, warteten wir fertig angezogen noch zwei Tage in unserem Haus. Wir dachten erst, dass der Krieg nicht lange dauern wird.“
In dieser Zeit hätten sie viel gebetet und gesungen. „So konnten wir die Kinder beruhigen“, sagt Nelia, die zu dem Zeitpunkt hochschwanger war. Am 26. Februar sind Nelia und Waldemar, die Kinder sowie Waldemars Schwester Nadja und seine Mutter Galina dann doch mit dem Auto aufgebrochen, nachdem die Lage immer gefährlicher wurde.
Zunächst wollten sie in Richtung Moldawien zu Nelias Schwester. Dort an der Grenze setzen dann die Wehen ein. „Wir haben dort fünf Stunden gewartet. Mein Mann ist zu dem Grenzposten hin, der uns zum Glück schließlich durchgelassen hat, damit wir ins Krankenhaus fahren konnten.“
Viktor kam am 28. Februar 2022 gegen 18 Uhr zur Welt. Einen Tag später wurde Nelia schon entlassen, und die Familie fuhr zunächst zur Schwester. Weil die Situation in Moldawien aber ebenfalls nicht stabil sei, flüchteten sie weiter nach Deutschland. Zunächst kamen sie in der Evangeliumschristen Baptisten Gemeinde Fulda unter.
Die Flucht bringt Mutter und Tochter am Muttertag zusammen
Dort lernten wo Andreas Rüb kennen. Er vermittelte ihnen eine Wohnung in Döllbach. Angesprochen auf den Muttertag erklärt Nelia, dass dieser Tag in ihrer Heimat eine nicht so große Rolle spielt. „Wir haben aber den Frauentag am 8. März. An diesem Tag werden auch die Mütter verehrt.“
Larysa Kalyniuk (35) aus Isjum erzählt: Als Larysa Kalyniuk noch Lehrerin in Isjum war, hatte sie mit ihren Schülern an dem Freitag vor Muttertag eine schöne Tradition: Es gab ein kleines Fest, zu dem die Mütter in die Schule eingeladen wurden. Dabei trugen die Kinder Gedichte und Lieder vor, verschenkten ihre selbstgebastelten Sachen.

„Es war schön“, erinnert sich die 35-Jährige. Neun Jahre ist das nun her. Seitdem lebt die gebürtige Ukrainerin in Deutschland. Mitte März kam die Familie zu ihr nach Schlüchtern, weil die Heimatstadt Isjum im Osten der Ukraine völlig zerbombt wurde. Seitdem wohnen ihre Schwester Olena mit den beiden Kindern Kyrylo und Daniil bei Larysa.
Und noch jemand ist nun bei ihr: ihre Mutter. „Das ist das erste Mal, dass sie mich in Deutschland besucht. Wir sind jeden Tag zusammen, machen Spaziergänge und kochen gemeinsam“, sagt Larysa. Ihre Neffen gehen in Schlüchtern zur Schule. „Dem Achtjährigen Kyrylo gefällt es dort. Aber natürlich vermissen beide ihren Vater“, sagt sie.
Er musste in der Ukraine bleiben. „Seit einer Woche haben wir nichts mehr von ihm gehört, vermutlich ist ein Sendemast zerstört worden.“ Auch Larysas Großmutter ist noch in der Ukraine. Sie blieb, weil ihre 90 Jahre alte Schwester nicht flüchten konnte. Nun ist die Schwester gestorben.
Video: Muttertag 2022 - diese Fakten müssen Sie kennen
„Sie saßen wochenlang in einem kalten Keller, dabei ist sie wahrscheinlich krank geworden“, glaubt Larysa. Mit ihrer Oma hat sie erst vor Kurzem telefoniert. Sie ist nun nach Russland geflohen, von der Ostukraine aus der einzig mögliche Weg. „Sie weint viel, ihr Haus ist komplett zerstört, verbrannt, sie hat alles verloren.“
„Sie konnte nicht mehr laufen und saß mit ihrer toten Schwester im Keller. Die Russen haben ihr schließlich geholfen, die Frau im Garten zu beerdigen.“ Larysas Familie will auf jeden Fall wieder zurück in die Ukraine. „Sie wollen nach Hause und wieder alles aufbauen“, sagt sie.