Im Gerichtssaal war man sich letztlich einig: Wer angefangen hat, das lasse sich nicht aufklären. Selbst die Zeugen, die den Streit beobachtet haben, machten vor Gericht widersprüchliche Aussagen. So blieb Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung nichts anderes übrig, als Argumente und Indizien zu sammeln, um die jeweilige These zu stützen.
Staatsanwalt Hellmich und Nebenklägervertreterin Heieis gehen davon aus, dass die Aggression von dem Angeklagten ausging und er als erster zuschlug und schließlich das Multitool verwendete. Er habe immerhin zuvor in einer Sprachnachricht an seine Schwester eine Gewalttat angekündigt und danach sein Handy ausgeschaltet, sagte Hellmich, somit könne man sogar von einer vorsätzlichen Tat ausgehen. „Danach hätte er sich der Polizei stellen können, ergriff aber die Flucht“, führte er weiter aus.
Auslöser der Auseinandersetzung waren offenbar Geldstreitigkeiten mit dem Onkel des Opfers. Das Opfer habe zwischen den Streitenden schlichten wollen, davon geht die Nebenklägervertreterin aus. „Er wurde in dieser Nacht zum Zufallsopfer, weil er vor dem Haus seines Onkels auftauchte.“ Dort habe der Angeklagte aggressiv und betrunken eigentlich auf den Onkel gewartet.
Zugutehalten könne man dem Angeklagten, dass er den Angriff abgebrochen habe, als er merkte, dass sein Widersacher blutete, juristisch spricht man hierbei von einem Rücktritt. Auch muss man davon ausgehen, dass er – weil erheblich alkoholisiert – vermindert schuldfähig sei. Drei Jahre und neun Monate Haft, dies sei als Strafe angemessen, waren sich Staatsanwalt und Nebenklägervertreterin einig.
Verteidiger Thomas Scherzberg zweifelt an der Schuld seines Mandanten. Aus seiner Sicht gebe es mehr Indizien dafür, dass das Opfer zuerst zugeschlagen habe. Er zweifle die Glaubwürdigkeit des Geschädigten an. Immerhin habe dieser vor Gericht gelogen, als es darum ging, ob er mit dem Auto oder zu Fuß zum Tatort – einer Bushaltestelle in die Künzeller Straße – kam.
Dass der Angeklagte dem Opfer die Verletzungen zugefügt hat, das war bereits Teil des Geständnisses, das der Verteidiger im Namen des 35-Jährigen verlesen hatte. „Ich würde mich lächerlich machen, da nicht von versuchtem Totschlag auszugehen“, sagte Scherzberg. Doch: Sein Mandant habe aus Notwehr gehandelt, weil das spätere Opfer ihn angegriffen habe. Deshalb plädierte er auf Freispruch.
Über das Schicksal des 35-Jährigen wird die Kammer um Richter Josef Richter entscheiden: Am Freitag, 11. November, um 11 Uhr wird ein Urteil gefällt.