NS-Raubkunst im Vonderau Museum? Erstcheck-Pilotprojekt in Hessen startet auch in Fulda

Das Vonderau Museum in Fulda gehört zu den ersten vier Museen in Hessen, in denen ab Februar ein Erstcheck zu NS-Raubgut stattfindet. Zuletzt hatte es eine lebhafte Debatte um Restitution - also um die Rückerstattung von Kulturgütern, in deren Besitz man unrechtmäßig gelangt ist - gegeben.
Fulda - Über den Erstcheck-Start informierten der Hessische Museumsverband (HMV) und die Stadt Fulda gemeinsam. Demnach ist es das Ziel bei dem Erstcheck zu NS-Raubgut, die Museumsbestände durch eine Provenienzforscherin auf jüdischen Vorbesitz zu überprüfen. Neben dem Vonderau Museum in Fulda wird in Hessen nun auch in Museen in Bad Wildungen, Eschwege und Reinheim geprüft.
„Für unseren Erstcheck haben wir Museen ausgewählt, die ihre Sammlungen in der NS-Zeit erweitert und zwischen 1933 und 1945 zahlreiche Objekte erhalten haben“, sagt Dr. Saskia Johann, Referentin für Provenienzforschung beim HMV. Bei den teilnehmenden Museen in Hessen handelt es sich im Einzelnen um das Stadtmuseum Bad Wildungen, das Stadtmuseum Eschwege, das Vonderau Museum in Fulda und das Heimatmuseum Reinheim.
Fulda: NS-Raubkunst im Vonderau Museum? Erstcheck-Pilotprojekt startet in Hessen
Die Berliner Historikerin und Provenienzforscherin Dr. Marlies Coburger wird den weiteren Angaben zufolge den Erstcheck in den vier Museen durchführen. Bis Projektende am 31. Juli wird sie in den Museen Aktenmaterial sichten und in den Sammlungen die Objekte auf Hinweise zu ihrer Herkunft untersuchen (lesen Sie auch hier: Jerusalemplatz und Areal der früheren Synagoge - Stadt will jüdische Gedenkorte neu gestalten).
Ein Schwerpunkt bildet dabei die Suche nach Objekten, die der jüdischen Bevölkerung gehörten. Es werden laut dem HMV, der den Erstcheck koordiniert und organisiert, aber „auch weitere Opfergruppen des NS-Regimes wie Freimaurer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen oder politische Gegner und Gegnerinnen in den Blick genommen“.
Das sechsmonatige Projekt wird vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert. Der Erstcheck ist laut HMV „eine bewährte Methode der Provenienzforschung, um verdächtige Provenienzen in den Sammlungen überhaupt aufzudecken und den weiteren Forschungsbedarf abzuklären.“ Die Museen sollen abschließend einen Ergebnisbericht mit Empfehlungen für die weiteren Recherchen erhalten.
Für die Stadt Fulda begrüßt Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld (CDU) das Projekt: „Die Frage der Provenienz von Kunstwerken in deutschen Museen gehört zur nach wie vor notwendigen Aufarbeitung der NS-Zeit“, sagt der Fuldaer OB. „Der Erstcheck wird uns helfen zu erkennen, ob es auch hier in Fulda Verdachtsfälle gibt, die dann weiter erforscht werden müssen.“
NS-Raubkunst im Vonderau Museum? OB Heiko Wingenfeld begrüßt Erstcheck
Dem pflichtet Dr. Frank Verse, Leiter des Vonderau Museums, bei: „Das Vonderau Museum sieht es als seine Verpflichtung an, seine Bestände auf NS-Raubkunst zu überprüfen. Diese kann oft unerkannt durch spätere Ankäufe oder Schenkungen an das Museum gelangt sein, weil noch lange nach Ende der NS-Zeit die Provenienz beim Erwerb keine große Rolle spielte.“

Im Alltagsgeschäft bleibe aber oft für solche Überprüfungen zu wenig Zeit. Deshalb „freuen wir uns besonders, aufgrund unserer langjährigen guten Zusammenarbeit mit dem Hessischen Museumsverband als eines der ersten Museen in Hessen am Erstcheck teilnehmen zu können“, erklärt der Fuldaer Museumsleiter.
Für den Hessische Museumsverband ist es nach eigenen Angaben das erste eigene Provenienzforschungsprojekt und der erste Erstcheck in Hessen. „Unser Ziel ist es, die Museen zur Erforschung ihrer Sammlungen zu ermutigen und die Erkenntnisse in die aktive Arbeit der Museen vor Ort einfließen zu lassen“, sagt HMV-Geschäftsführerin Christina Reinsch.
Förderung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste
Laut HMV und Stadt Fulda fördert das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste den Erstcheck und übernimmt die gesamten Kosten des Projektes. Die Stiftung wurde 2015 von Bund, Ländern und den drei kommunalen Spitzenverbänden gegründet und finanziert bundesweit Provenienzforschungsprojekte in Museen, Archiven und Bibliotheken. Die Einrichtung befasst sich sowohl mit NS-Raubkunst, der Aufarbeitung der in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone und der DDR entzogenen Kulturgüter als auch mit Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten und kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern.
„Durch die aus Mitteln des Landes Hessen geschaffene Stelle unserer Referentin für Provenienzforschung können wir nun auch organisatorisch solche Projekte koordinieren“, führt sie aus. Die Verbandsvorsitzende Dr. Birgit Kümmel sieht über diesen Ansatz hinaus sogar „große Chancen, insbesondere kleinere Museen bei der Suche nach NS-Raubgut zu unterstützen“.
„Aus unserer Umfrage von 2021 wissen wir, dass diese meist aufgrund des Mangels an Personal, Zeit und Geld Provenienzforschung nicht proaktiv betreiben können. Erstchecks sind für viele Museen daher ein Einstieg in die Provenienzforschung“, erläutert Kümmel (lesen Sie auch hier: Dank Hausabriss - Jahrhundertealter Kanal in der Löherstraße entdeckt).
Bundesregierung will bei Restitution von NS-Raubkunst Verjährung ausschließen
Mit dieser Methode seien bereits in Bayern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen über 80 Museen mit großem Erfolg auf NS-Raubgut untersucht und Nachfolgeprojekte angestoßen worden.
Nach den Plänen der neuen Bundesregierung soll bei der Restitution von NS-Raubkunst eine Verjährung von Ansprüchen ausgeschlossen werden. Auch Rückgaben von Objekten aus kolonialem Kontext werden unterstützt. „Wir wollen koloniale Kontinuitäten überwinden, uns in Partnerschaft auf Augenhöhe begegnen und veranlassen unabhängige wissenschaftliche Studien zur Aufarbeitung des Kolonialismus“, heißt im Koalitionsvertrag.
Video: Raubkunst - Deutschland will Benin-Bronzen an Nigeria zurückgeben
So ist für 2022 unter anderem die Rückübertragung der Eigentumsrechte an den Benin-Bronzen geplant. Etwa 1100 der kunstvollen Bronzen aus dem Palast des damaligen Königreichs Benin, das heute zu Nigeria gehört, sind in rund 20 deutschen Museen zu finden.
Die Objekte stammen größtenteils aus den britischen Plünderungen des Jahres 1897. Ziel der Bundesregierung unter der Führung von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sind substanzielle Rückgaben in diesem Jahr, zunächst aus den fünf größten Beständen.