Nazi-Raubkunst im Schloss Fasanerie? Forschungsprojekt überprüft 160 Kunstobjekte

Über 70.000 Kunstobjekte befinden sich im Museum von Schloss Fasanerie – 160 davon werden in den kommenden Monaten einer genauen Prüfung unterzogen. Der Grund: Es könnte sich bei einigen Gegenständen um in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut handeln.
Fulda - „Erstmals in Deutschland widmet sich eine private Sammlung freiwillig einer Provenienzforschung und stößt das Thema an“, sagt Museumsdirektor Dr. Markus Miller. Zusammen mit Donatus Landgraf von Hessen, Vorstandsvorsitzender der Kulturstiftung des Hauses Hessen, und dem Kunsthistoriker Sven Pabstmann gab er Auskunft über das Projekt in Fulda, das seit Anfang Oktober läuft und zunächst auf ein Jahr angesetzt ist.
Fulda: NS-Raubkunst im Schloss Fasanerie? 160 Kunstobjekte werden überprüft
Anfang 2019 stellten die Verantwortlichen auf Schloss Fasanerie fest, dass sich in ihrem Museum zwei Schränkchen von David Roentgen befinden, die aus einer Sammlung des jüdischen Kunstsammlers und Malers Rudolf von Goldschmidt-Rothschild (1881-1962) stammen. Diese beiden Exponate wurden bei einer Auktion in der Zeit des Nationalsozialismus verkauft, bei der Museumsgründer Philipp Landgraf von Hessen diverse Stücke erworben hatte.
„Wir konnten diese zwei Möbelstücke zuordnen und haben selbst Kontakt mit der Familie Goldschmidt-Rothschild aufgenommen“, berichtet Miller. Hier kam der erste Impuls also von den Verantwortlichen des Schlosses Fasanerie. Kurze Zeit später meldeten sich Nachfahren des jüdischen Geschäftsmannes und Kunstsammlers Ottmar Strauss mit dem Hinweis, dass sich möglicherweise einige Stücke aus deren früherem Familienbesitz auf Schloss Fasanerie befinden.
Museumsgründer Landgraf Philipp hat in der Zeit von 1933 bis 1943 privat auf Auktionen Kunstobjekte erworben und diese in seine Sammlung einfließen lassen. Darüber gibt es jedoch keine Aufzeichnungen und auf Schloss Fasanerie wusste man davon lange nichts. „Ich bin mir aber sicher, dass wir die Vergangenheit sauber aufarbeiten werden“, sagt Donatus Landgraf von Hessen. (Lesen Sie hier: „Wenn die Mitte nicht mehr hält“: Ukrainischer Künstler Vadym Koltun stellt im Konrad-Zuse-Museum aus)
Landgraf Philipp war in der fraglichen Zeit allerdings nicht sehr begütert und hatte nicht das Budget, um in großem Stil auf dem Kunstmarkt aktiv zu sein. Die fraglichen 160 Objekte hatten jedoch einen Vermerk, dass der Landgraf sie nach Schloss Fasanerie gebracht hat. Ob aber alle Gegenstände in den Jahren von 1933 bis 1943 erworben wurden, soll nun geklärt werden.
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Dafür wurde Sven Pabstmann ins Boot geholt. Der Kunsthistoriker soll sich bis Ende September 2023 alle verdächtigen 160 Objekte angeschaut und Nachforschungen angestellt haben. Als Provenienzforscher geht er nach einem festen Schema vor. Zunächst werden die Erwerbungen von Philipp Landgraf von Hessen genauer unter die Lupe genommen. Welche Objekte sind wann gekauft worden? Was hat er vor der Gründung des Museums erworben? Da es keine privaten Aufzeichnungen über diese Ankäufe aus den Jahren vor 1950 gibt, ist eine Recherche schwierig und zeitaufwendig.
Pabstmann vergleicht bei seinen Nachforschungen die zu recherchierenden Objekte mit Abbildungen in alten Auktionskatalogen, durchforstet Datenbanken und sucht nach Provenienzmerkmalen, die ein Objekt einzigartig machen und es dadurch genau identifizieren lassen. Sein Ziel: Die Besitzverhältnisse komplett rekonstruieren. „Das ist aber nur in wenigen Fällen möglich“, sagt Pabstmann. „Deshalb sind der Austausch und die Vernetzung mit anderen Provenienzforschern sehr wichtig. Verschiedene Informationen können sich dann wie ein Puzzle zusammensetzen.“
Das Projekt verursacht Kosten von insgesamt 100.000 Euro – für Personalausgaben, Projektausstattung und Reisekosten. Finanziert wird es zu 90 Prozent vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste aus Magdeburg; die restlichen zehn Prozent schießt das Schloss Fasanerie zu. Mit konkreten Ergebnissen rechnet Sven Pabstmann frühestens in einem halben Jahr.