Nach der Tat war der Beschuldigte geflüchtet und wurde schließlich nach tagelanger Fahndung in Lübeck (Schleswig-Holstein) festgenommen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. (Lesen Sie hier: Mit Küchenmesser erstochen: Prozess um getöteten Radfahrer beginnt)
Mehrere Zeugen sind bereits gehört worden. Am Mittwoch hat sich der Angeklagte selbst zu den Vorwürfen geäußert. Er spricht nur Türkisch; die Einlassung hat sein Verteidiger verlesen. Alles fing damit an, dass er seinem Schwager Geld geliehen hatte – eine vierstellige Summe, heißt es in der Erklärung. Das sei schon vor zehn Jahren gewesen. Als der Angeklagte von der Türkei nach Deutschland kam und seine Familie zu sich holen wollte, habe er das Geld von seinem Schwager eingefordert. Doch der habe seine Anrufe nicht mehr beantwortet und bei Bekannten heftig über den Angeklagten geschimpft.
Der Beschuldigte räumte ein, dass er damals viel Alkohol getrunken habe, auch an jenem Tag, dem 18. Februar 2022. Eine Flasche Whisky und eine halbe Flasche Wodka hat er laut Erklärung intus gehabt, als er sich von der Flüchtlingsunterkunft in Ehrenberg, wo er wohnte, nach Fulda fahren ließ.
In der Künzeller Straße wollte er seinen Schwager vor dessen Wohnanschrift abfangen. Doch als er dort wartete, tauchte plötzlich der gemeinsame Neffe auf, der ihn heftig beschimpft haben soll. „Er hat zuerst zugeschlagen“, versichert der Angeklagte in der Erklärung. „Ich habe, um mich zu wehren, offenbar mein Tool benutzt“, beschreibt der 35-Jährige den Messerangriff. Sie hätten am Boden gerangelt.
„Ich war völlig weggetreten und habe dann plötzlich seine Verletzungen bemerkt. Das tut mir heute natürlich sehr leid, ich entschuldige mich dafür. Wäre ich nicht so betrunken gewesen, wäre das wahrscheinlich nicht passiert“, lässt er über seinen Verteidiger verlautbaren. Schließlich sei er zu seiner Schwester nach Lübeck gefahren. Um zu beweisen, dass sein Mandant durch den Alkohol in seiner Einsichtsfähigkeit gemindert war, stellte Verteidiger Thomas Scherzberg abschließend zwei Beweisanträge, um entsprechende Zeugen zu verhören.
In der Verhandlung wurden noch zahlreiche Kriminalbeamte gehört – einer beschrieb, dass in seiner Jackentasche das Multitool-Taschenmesser gefunden wurde, daran haftete Blut. Die Handyauswertung führte zu dem Ergebnis, dass der Beschuldigte bei mehreren Leuten Schulden hatte und demnach in Geldnot war.
In einer Sprachnachricht zwei Stunden vor der Tat soll der Angeklagte laut Dolmetscherin gesagt haben: „Entweder er gibt mir das Geld, oder ich bringe ihn um.“ Warum er letztlich nicht seinen Schwager, sondern seinen Neffen angegriffen hat, ist unklar. Das Opfer selbst wertete dies in einer Befragung so: „Ich denke, ich war ein Zufallsopfer.“ (von Jessica Baier)