Die Lage werde dadurch verschärft, dass das Land Hessen davon ausgehe, dass die Zahl der ankommenden Flüchtlinge, die den Landkreisen zugewiesen werden, steigt, so dass im Kreis Fulda statt bisher 50 in Zukunft 80 Flüchtlinge pro Woche unterzubringen seien. Die meisten Geflüchteten kommen nicht aus der Ukraine, sondern aus Nordafrika und dem Nahen Osten.
„Auch wir in Flieden sind am Limit. Wir brauchen dringend eine dringend eine übergreifende Lösung – große Gemeinschaftsunterkünfte, die idealerweise durch den Landkreis betreut werden“, erklärt Fliedens Bürgermeister Christian Henkel (CDU). Die Gemeinde Flieden nutzt bereits das Bürgerhaus im Ortsteil Struth. Dort wohnt jetzt eine größere Gruppe. Henkel appelliert an die Hausbesitzer im Kreis, leerstehende Wohnungen ihrer Stadt oder Gemeinde zu melden. „Die Lage ist wie 2015. Jeder, der das kann, muss mithelfen.“
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) betreut bereits 70 Geflüchtete in der Grillenburg. Die Zahl dort wird nächste Woche auf 120 steigen. Zudem wird die AWO wohl auch die Betreuung der Menschen in den Containern an der Hochschule übernehmen.
Für die medizinische Versorgung der Geflüchteten sucht die AWO für zwei bis drei Stunden pro Woche einen Arzt. Auskünfte erteilt die AWO unter (0661) 4800450.
Bürgerhäuser und Turnhallen zur Unterbringungen von Flüchtlingen zu nutzen, das „wäre die allerletzte Option, wenn gar nichts mehr geht“. In dieser Aussage sind sich Fliedens Bürgermeister und sein Eichenzeller Amtskollege Johannes Rothmund (CDU) einig. „Die Unterbringung in Wohnungen fällt uns unfassbar schwer. Bis Anfang Dezember werden wir das noch schaffen. Dann sind wir mit unseren Möglichkeiten am Ende. Ich kann mir derzeit nicht vorstellen, wie wir die Unterbringung weiter schaffen sollen.“
Rothmund hofft, dass es dem Landkreis gelingt, größere Gemeinschaftsunterkünfte zu schaffen. Der Kreis berichtet, dass entsprechende Gespräche für mehrere Standorte laufen. Der Aufbau der Gemeinschaftsunterkunft in Containern an der Hochschule soll im Laufe dieses Wochenendes abschlossen sein. „Am Anfang der kommenden Woche findet eine Besprechung zwischen Stadt, Landkreis und der Institution, die die soziale Betreuung der geflüchteten Menschen übernimmt, statt“, berichtet Johannes Heller, Sprecher der Stadt Fulda. Dann werde auch festgelegt, wann die ersten Flüchtlinge in die Container ziehen können.
Kreissprecherin Leoni Rehnert macht klar: Die Zuweisungen des Landkreises an die Kommunen beruhen auf einer gemeinsamen Vereinbarung und betreffen Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Die Container-Unterkunft an der Hochschule soll vor allem mit Geflüchteten aus Ländern wie Afghanistan, Syrien, Türkei, Irak und anderen belegt. „Insofern wird die Belegung der Container-Unterkunft nach heutigem Stand keine nennenswerten Auswirkungen auf die Zuweisungen an die Kommunen haben“, erläutert die Sprecherin des Kreises.
Landrat Bernd Woide (CDU) versteht die Nöte der Gemeinden. Er fordert Berlin und Wiesbaden zum Handeln auf. „Wir brauchen dringend eine Begrenzung des Zuzugs – und zwar sofort. Die Bundesregierung lässt die Kommunen – wenn das so weitergeht – sehenden Auges gegen die Wand laufen. Auch das Land ist aufgefordert, sich schnellstmöglich beim Bund für eine Begrenzung einzusetzen“, sagt Woide unserer Zeitung.
Er habe Verständnis für die Kommunen, die seit Monaten mit großem Einsatz Wohnraum suchten und schüfen. Aber vor demselben Dilemma stehe der Landkreis. Der Landkreis hatte eine Vereinbarung mit den Städten und Gemeinden getroffen, dass der Landkreis den Kommunen – in Relation zur Bevölkerungszahl und zur Zahl der bereits jeweils dort gemeldeten Flüchtlinge – Geflüchtete aus der Ukraine zuweist.
Der Bund lässt die Kommunen – wenn es so weitergeht – sehenden Auges gegen die Wand laufen.
Die Situation sei lange Zeit dank der großen Hilfsbereitschaft gut gemeistert worden. „Doch die Situation ist gegenwärtig angespannt und betrifft keinesfalls nur Dipperz. Alle stehen unter großem Druck. Es gibt ja keine Kommune, die eine große Zahl leerer Wohnungen melden könnte“, sagt Woide.
Jetzt sei die Solidarität aller gefordert, auch vom Landkreis, der alles in seiner Macht Stehende tue. Woide appelliert: „Was die Bürgermeister mir sagen, das sage ich dem Land: Unsere Kapazitäten sind erschöpft, die Grenzen der Belastbarkeit erreicht und bald überschritten. Und das ist nicht nur im Landkreis Fulda so.“
Besonders dramatisch ist die Lage in Dipperz. In der jüngsten Sitzung der Gemeindevertreter schlug Bürgermeister Klaus-Dieter Vogler (parteilos) Alarm. „Wir haben große Schwierigkeiten, die uns vom Landkreis zugewiesenen Ukrainer unterzubringen.“ „Wir fühlen uns allein gelassen“, sagt er. „Obwohl wir seit Wochen alles unternehmen, um Unterkünfte zu finden, sind wir erfolglos.“ Unzählige Gespräche mit Hauseigentümern wurden geführt, im Gemeindeblättchen wurden Aufrufe veröffentlicht – alles ohne Erfolg. „Die Bereitschaft Flüchtlinge aufzunehmen ist erschöpft“, stellt Vogler fest.
Am Dienstag sollen drei männliche Flüchtlinge aus der Ukraine nach Dipperz kommen. „Wir haben weder freie privaten Unterkünfte, noch geeignete gemeindliche Liegenschaften oder Container für sie“, stellt er fest. Deshalb habe sich Vogler an den Landkreis gewandt und gebeten, die Männer nicht zu schicken. Der Kreis lehnte das ab. „Wir werden nun drei Feldbetten und Kochgelegenheiten kaufen und dann sehen, wie es weitergeht“, sagte er den Gemeindevertreter. Er hoffe, bis Dienstag Wohnraum anbieten zu können.
In einer Rahmenvereinbarung mit dem Landkreis Fulda hätten sich die Kommunen verpflichtet, bis maximal drei Prozent ihrer Bevölkerung – für Dipperz rund 100 Personen – an Ukrainern aufzunehmen. Aktuell sind 51 Geflüchtete in Dipperz untergebracht. Sie leben in privat vermieteten Unterkünften, verteilt auf alle Ortsteile. „Jeder sollte sich mit der Thematik beschäftigen“, sagte Vogler. Vielleicht findet sich noch eine Lösung. Er könne sich Container vorstellen. Denn nach dem Verteilungsschlüssel des Kreises könnten in den nächsten Wochen und Monaten 50 weitere Flüchtlinge zugewiesen werden. Die Unterbringung in Bürgerhäusern lehnt er ab. Die seien von Vereinen gut genutzt.
Der Bürgermeister sieht seinen Hilferuf nicht als Kritik am Landkreis. Er unterstütze die Rahmenvereinbarung. Aber an übergeordneter Stelle, also beim Land Hessen, müsse man Lösungen finden und dürfe die Kommunen nicht allein lassen. Die Gemeindevertreter unterstützten Voglers Kritik des Bürgermeisters. Kurzfristig, also bis Dienstag, sei das Problem für die Gemeinde nicht zu lösen, bedauert der Bürgermeister.