Viele Tränen und ein Teilgeständnis: Prozess gegen 21-Jährigen nach tödlicher Verfolgungsjagd

Weil er eine 71-Jährige im August in Fulda auf der Flucht vor der Polizei so schwer angefahren haben soll, dass diese schließlich ihren Verletzungen erlag, steht derzeit ein 21-Jähriger vor dem Landgericht. Schon am ersten Verhandlungstag gab es Tränen – und ein Teilgeständnis.
Fulda - Die Anklageschrift, die Oberstaatsanwältin Dr. Christine Seban am Dienstagmorgen vor der Ersten Großen Strafkammer verliest, klingt wie das Drehbuch eines morbiden Actionfilms: Weil er sich einer Polizeikontrolle entziehen wollte, soll ein 21-Jähriger am 19. August in seinem 3er BMW mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch die Innenstadt von Fulda geflohen sein. Als er in den Gallasiniring einbog, soll er eine 71-jährige Frau, die mit ihrem Rollator auf dem Bürgersteig unterwegs war, erfasst haben. In der Folge soll die ältere Frau zwischen dem Fahrzeug und einer Mauer eingeklemmt worden sein.
Fulda: Prozess gegen 21-Jährigen nach tödlicher Verfolgungsjagd
Obwohl der Angeklagte dies wahrgenommen habe, soll er laut Staatsanwaltschaft immer wieder Gas gegeben haben, um den BMW wieder frei und auf die Straße zu bekommen. Durch diese Versuche sei die 71-Jährige mehrfach an die Mauer gedrückt worden. Die Frau erlitt dabei zahlreiche Verletzungen, darunter ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Sie musste notoperiert werden und starb wenige Tage später. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 21-Jährigen daher Totschlag vor. Er habe den Tod der Frau mindestens billigend in Kauf genommen.
Auf die Vorwürfe reagiert der Angeklagte mit der Ankündigung: „Ich möchte aussagen.“ Im Folgenden berichtet er, was aus Sicht seines Verteidigers, Rechtsanwalt Christian Celsen, „eine Verkettung unglücklichster Umstände“ war: Der 21-Jährige, der zur damaligen Zeit als Verkäufer in einer Metzgerei gearbeitet hatte, habe sich am Morgen des Tattags mit seiner Freundin gestritten und habe sie daraufhin an ihrer Arbeitsstelle besuchen wollen. Nach dem Rauchen eines Joints und einer Bong habe er sich – ohne Führerschein, dafür in Adiletten und mit einer verletzten Hand – ans Steuer seines 170 PS starken BMWgesetzt und sich unangeschnallt auf den Weg gemacht.

Auf der Petersberger Straße habe er eine Polizeistreife hinter sich bemerkt. „Ich wusste nicht, ob die mich kontrollieren wollten. Ich wurde nervös und hektisch.“ Als er sich sicher war, dass die Polizei ihn kontrollieren wollte, habe er beschleunigt. „Ich war definitiv zu schnell“, räumt er ein. Auf der Flucht sei er „Zickzack“ gefahren und habe das Fahrzeug stellenweise nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Am Gallasiniring habe er schließlich die ältere Frau gesehen, die gerade dabei gewesen sei, mit ihrem Rollator die Straße zu überqueren.
„Ich habe versucht, auszuweichen und zu bremsen. Dann habe ich nur noch ein Krachen und ein Schreien gehört.“ Nach der Kollision kam sein Fahrzeug zum Stillstand. „Ich wollte aussteigen und Hilfe leisten, aber da ist schon die Polizei in mich reingefahren.“ Als er über den Tod der 71-Jährigen spricht, wirkt er zerknirscht: „Ich sehe die Bilder jeden Tag vor mir. Ich wache nachts schweißgebadet auf. Ich wünschte, ich könnte mit ihr tauschen. Niemand hat so einen Tod verdient.“
Prozessbeginn in Fulda: Viele Tränen und ein Teilgeständnis
Verteidiger Celsen betont, dass sein Mandant bestreitet, den Tod der Frau billigend in Kauf genommen zu haben. Daran, dass er sie mehrfach zwischen seinem Fahrzeug und der Mauer eingequetscht haben soll, könne er sich nicht erinnern, so der Angeklagte. Stattdessen sei er sich sicher, ein geparktes Auto gerammt zu haben.
Ganz anders schildert das später eine 35-jährige Zeugin, die angibt, sie habe dem Raser am Tattag mit ihrer einjährigen Tochter an der Hand noch ausweichen können. „Er ist der Frau von hinten in die Beine gefahren und hat sie danach immer wieder an die Mauer gedrückt.“ Während die Zeugin die Körperbewegung und die schmerzerfüllten Laute der Frau beschreibt, kommen dem 21-Jährigen die Tränen.Als er sich an die Brust fasst und über Schmerzen am Herz klagt, unterbricht Richter Josef Richter die Verhandlung kurz. Nachdem ein anwesender Arzt Entwarnung gibt, geht der Prozess weiter.
Auch als die zweiköpfige Streifenbesatzung aussagt, kann der Angeklagte zeitweise die Tränen nicht zurückhalten. Nach der Kollision des BMW mit der 71-Jährigen hatte der Polizist den Streifenwagen direkt neben der Fahrertür des BMWgestoppt, um die weitere Flucht des 21-Jährigen zu verhindern. Dabei wurde das Bein des Angeklagten eingeklemmt. „Er war total in Panik und hat hyperventiliert. Ich habe seine Hand gehalten und versucht, ihn zu beruhigen“, berichtet die Polizistin. Dass der 21-Jährige aussteigen wollte, um der verletzten Frau zu helfen, habe sie hingegen nicht wahrgenommen. „Er wollte ganz offensichtlich seine Flucht fortsetzen.“ Die Verhandlung wird am 13. Februar fortgesetzt.