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„Psychiatrie steht kurz vor dem Zusammenbruch“ - Klinikum-Chef fordert deutliche Änderungen

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Von: Volker Nies

Frau schaut aus Fenster
Die Arbeit der Psychiatrie im Klinikum Fulda – und in fast allen anderen Psychiatrie-Abteilungen von Krankenhäusern – wird durch eine Vielzahl von Faktoren gebremst und behindert. (Symbolbild) © Fabian Sommer/dpa

Klinikum-Chef Dr. Thomas Menzel (60) ist ein diplomatischer Mensch. Doch wenn es um die Lage der Psychiatrie geht, wird er undiplomatisch: „Die Mitarbeiter sind mit ihrer Belastung alle am Anschlag. Die Psychiatrie steht kurz vor dem Zusammenbruch. Dabei gäbe es Wege, das zu ändern.“

Fulda - Am Klinikum Fulda besteht die einzige Erwachsenen-Psychiatrie im Landkreis. Psychisch Kranke werden hier aufgenommen und behandelt. Während der Corona-Pandemie war die Patientenzahl – wie in den meisten Abteilungen („Kliniken“) des Klinikums – stark rückläufig.

Fulda: „Psychiatrie vor Zusammenbruch“ - Klinikum-Chef fordert Änderungen

„Jetzt kommen die Patienten zurück – und zwar in großer Zahl. Viele sind so krank, dass wir sie dringend aufnehmen müssen“, sagt Chefärztin Dr. Solveigh Hilliard (63). „Die Fälle sind auch deshalb mehr geworden, weil die Patienten auf eine Behandlung warten mussten und sich ihr Zustand in dieser Zeit verschlechtert hat.“

Für Patienten, denen eine stationäre Behandlung gut täte, denen es aber nicht so schlecht geht, dass das Klinikum sie aufnehmen muss, bedeutet das: Sie müssen noch länger warten. „Aber wer wirklich gefährdet ist, den nehmen wir natürlich auf. Notfalls mit einem Bett auf dem Flur. Das kommt tatsächlich vor“, sagt Menzel.

In Zahlen

In der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikum Fulda arbeiten (ambulant und stationär, zum Teil in Teilzeit):

• 20 Ärztinnen und Ärzte

• 15 Psychologinnen und Psychologen

• 18 Spezialtherapeuten, unter anderem in der Bewegungstherapie, Ergotherapie, Musiktherapie, und tiergestützten Therapie

• 100 Pflegekräfte

• 13 Mitarbeiter unter anderem im Sekretariat und im Controlling.

Im Jahr 2022 hat die Klinik für Psychiatrie rund 1250 stationäre und 2700 ambulante Patientinnen und Patienten behandelt.

Die Arbeit der Psychiatrie im Klinikum Fulda – und in fast allen anderen Psychiatrie-Abteilungen von Krankenhäusern – wird durch eine Vielzahl von Faktoren gebremst und behindert. Die jüngste Bremse besteht in der PPP-RL, der „Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie“. Chefärztin Hilliard erklärt: „Wir müssen eine Liste führen, in der dokumentiert ist, welcher Mitarbeiter wo eingesetzt wird – minutengenau für jeden einzelnen Mitarbeiter. Für die Versorgung der Patienten bringt das nichts, aber es frisst viel Arbeitszeit.“

Auch andere Vorgaben für Psychiatrien durch den Gesetzgeber und die Gerichte sind strenger und aufwendiger geworden – etwa zur Frage, unter welchen Umständen ein Richter der Fixierung eines Patienten zustimmen muss. „Die Zusammenarbeit mit den Richtern ist gut, aber dennoch haben wir strengere und aufwendigere Vorgaben zu beachten“, sagt die Chefärztin.

Die Politik kann nicht so tun, als lösten sich die Probleme in der Psychiatrie von allein.

Thomas Menzel, Vorstand Klinikum

„Wir empfinden die zunehmenden Vorgaben für die Psychiatrie als Misstrauensvotum für unsere Arbeit. Nicht selten sind die Vorschriften von wenig Praxisbezug geprägt.“ Auch um Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen, wird die Psychiatrie gerade umgebaut.

Zugleich fehlen den Psychiatrien Fachkräfte – vor allem Ärzte. Das Klinikum versucht, das auch durch das Anwerben von Medizinern im Ausland wettzumachen. Die Hürden dafür sind hoch – aus Hilliards Sicht zu hoch. Sie schildert einen konkreten Fall: „Die Zulassung eines gut ausgebildeten, gut deutsch sprechenden Facharztes aus der Türkei dauert acht Monate. In dieser Zeit muss ich immer einen Arzt aus meinem bisherigen Team neben den türkischen Kollegen stellen.“

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Zudem beschäftigt die Chefärztin freiberufliche Honorar-Ärzte für einzelne Tage. Doch die kosten viel Geld. „Sie helfen in der akuten Behandlung von Patienten, aber sie bringen die Station nicht voran“, sagt Hilliard. In den nächsten Jahren werde sich die Lage sogar noch verschärfen, da 50 Prozent der Psychiater in Hessen über 60 Jahre alt sind.

Die Lage der Psychiatrien lasse sich jedoch mit einem Bündel an Maßnahmen verbessern, ist Klinikum-Chef Menzel überzeugt. Er schlägt vor: „Mehr Plätze in der ambulanten Versorgung, mehr Schonräume, also etwa betreutes Wohnen oder Werkstätten, für Menschen, die noch Begleitung, aber kein Krankenhausbett mehr brauchen; mehr Sitze für niedergelassene Psychiater, mehr Plätze für die forensische Psychiatrie zur Behandlung psychisch kranker Straftäter – und nicht zuletzt weniger Misstrauen und weniger Bürokratie in der Psychiatrie.“

Auch im Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda ist die Belastung groß. Dort gab es zuletzt einen Rekord in der Notaufnahme. 2022 wurden dort so viele Patienten behandelt, wie noch nie.

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