Reichsbürgerszene in Bewegung - Behörden beobachten Radikalisierung

Sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter sind in jüngster Zeit vor allem in den Nachbar-Landkreisen aufgefallen. Aber auch in Fulda und Umgebung sind sie aktiv, sagen die Behörden.
Fulda - Als kürzlich eine „Reichsbürger“-Gruppierung namens „Königreich Deutschland“ (KRD) einen Feinkostladen im Main-Kinzig-Kreis eröffnen wollte, sorgte das für Aufsehen. Nicht immer werden die Aktivitäten von Reichsbürgern und sogenannten Selbstverwaltern öffentlich, die eigene Staaten und sich selbst zu deren Oberhäuptern ausrufen. Gleichwohl gibt es sie auch im Kreis Fulda.
Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) sowie das Polizeipräsidium Osthessen beziffern deren Zahl hier mit „Personen im unteren dreistelligen Bereich“ und für Hessen mit etwa 1000 Personen. Konkreter äußern sich die Behörden dazu nicht. In Fulda und Umgebung werden Szeneangehörige in den Behörden auffällig – oft indem sie sich weigern, Steuern, Bußgelder oder Gebühren zu zahlen.
Fulda: Reichsbürgerszene in Bewegung - Behörden warnen vor Radikalisierung
Aktuell, so sagt der Sprecher des Amtsgerichts Fulda, Christoph Mangelsdorf, müssten sich die Strafdezernate vornehmlich bei Bußgeldsachen und Zwangsvollstreckungen mit Szeneangehörigen befassen. „Eine klare Definition der ,Reichsbürger‘ gibt es nicht, gerade in den letzten zwei Jahren mischen sich Selbstverwalter, Querdenker, Impfgegner, extreme politische Gruppierungen und andere Personen in diese Szene“, stellt Mangelsdorf fest.
Er nennt ein aktuelles Beispiel: „Hier wurde ein Haftbefehl erlassen, weil drei Jahre lang vergeblich versucht wurde, gegen einen Beschuldigten einen Strafbefehl wegen 22 Fällen der Beleidigung – in 22 verunglimpfenden Schreiben an verschiedene Behörden – zuzustellen“, schildert der Amtsrichter. In den vergangenen zehn Jahren gab es zudem bereits Strafverfahren mit rechtskräftigen Urteilen in Fulda.
Die Weltbilder
Typisch für die Reichsbürgerszene sind die Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, von Behörden und Verwaltungen. Häufig werden diese als Firmen bezeichnet. Der Personalausweis ist nach dieser Vorstellung kein Dokument, sondern nur eine Art Mitgliedsbestätigung. „Reichsbürger und Selbstverwalter“ behaupten zudem, Deutschland habe nach dem Zweiten Weltkrieg nie einen gültigen Friedensvertrag abgeschlossen und sei noch immer besetzt. Mitunter rufen sie eigene Staaten und sich selbst zu Souveränen oder Amtsträgern aus. Häufig halten sie an den Grenzen des Deutschen Reiches fest.
Allerdings mischen sich verbreitete Erzählungen wie jene von einer angeblichen jüdische Weltverschwörung mit kruden Verschwörungsmythen und esoterischen Weltbildern. Darunter:
• Chemtrails, wonach Piloten im Auftrag der Regierung die Menschen vergiften – das Gift sei in den Kondensstreifen von Flugzeugen.
• Reptiloide, also Echsenwesen, die die Menschheit regieren. Angela Merkel soll ein solcher sein.
• Adolf Hitler soll nie Selbstmord begangen haben, sondern mit einer „Reichsflugscheibe“ – einem UfO – zum Südpol geflohen sein und noch immer dort leben.
Patrick Krug, Sprecher des Landgerichts Fulda, verweist auf einen aufsehenerregenden Fall aus dem Jahr 2016, als „Reichsbürger“ wegen Freiheitsberaubung zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt worden waren. Sie hatten drei Jahre zuvor eine Gerichtsvollzieherin in Großenlüder festgehalten.
Definition der „Reichsbürger“ schwierig - Schnittstellen mit Querdenkern
Auch am Landgericht ist laut Krug zu beobachten, dass es sich in (zweitinstanzlichen) Verfahren häufig um Beleidigungen dreht, weil die Angeklagten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland negieren. In der Folge erkennen sie deren Vertreter in Verwaltungen nicht an und beschimpfen diese. Auch die Gerichte sehen sich schließlich mit Schreiben – oftmals in der Szene kursierenden Vordrucken – konfrontiert, in denen das Behördendeutsch noch überspitzt und gar eigene Aktenzeichen angelegt werden.
Die Szene
Die Gruppe der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter, die sich selbst zumeist gar nicht als solche sieht, bildet eine diffuse, heterogene Masse. Die breite Spannweite reicht von frustrierten Querulanten über gescheiterte Existenzen, die häufig zahlungsunwillig oder -unfähig sind, über Abzocker, die sich – etwa durch den Verkauf illegaler Dokumente – bereichern wollen, bis hin zu Kriminellen und echten Rechtsextremen. Oft vermengt sich die Szene mit Esoterikern.
Als „Erfinder“ der Selbstverwaltung gilt Peter Frühwald, der 2012 die „Republik Freies Deutschland“ ausrief. Der wohl bekannteste Vertreter der Szene ist aktuell (König) Peter Fitzek, der bei Wittenberg auf einem ehemaligen Krankenhausgelände bei Wittenberg sein Königreich Deutschland (KRD) gründete. Dieses will aktuell expandieren und verfolgt damit den in der Szene verbreiteten Siedlungsgedanken. Bislang ist es durch widerrechtliche Einrichtungen von Banken oder Krankenkassen (sogenannten Gemeinwohlkassen) aufgefallen. Erst vergangenes Jahr hat eine andere Gruppierung namens „Vaterländischer Hilfsdienst“ während des Lockdowns in Ronneburg (Main-Kinzig-Kreis) Bestrebungen unternommen eine Partei für eine neue Staatsordnung zu gründen.
Reichsbürger fallen häufig wegen Zahlungsverweigerungen, Amtsanmaßung, Missbrauch von Titeln, Betrugs- und Fälschungsdelikten aber auch wegen Gewalttätigkeit, unerlaubtem Waffenbesitz und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte auf.
Die Kreisverwaltung bleibt ebenfalls nicht verschont, und geht nach eigener Aussage konsequent gegen „Reichsbürger“ vor. Das Gefährliche an dieser Szene ist die hohe Affinität zu Waffen. Die Waffenbehörde befasst sich aktuell mit zwei Fällen: Eine Meldung zog eine Überprüfung und den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis nach sich. Dieses Verfahren ist beim Verwaltungsgericht anhängig. In einem weiteren Fall wurde nach Feststellung der Zugehörigkeit zum Reichsbürger-Spektrum die Wiedererteilung einer Sportwaffe versagt.
Die Beobachtungen aus Fulda teilen die Verfassungsschützer. Sie beobachten eine zunehmende Vernetzung innerhalb der Szene, die aus Einzelpersonen auf der einen und streng hierarchischen Gruppen auf der anderen Seite zusammensetzt. Die Sicherheitsbehörden registrieren zudem nicht nur die Sorge einer radikaler und aggressiver werdenden Szene.
Video: Polizei sprengt „Reichsbürger“-Treffen in Waldorfschule
Aus Wiesbaden bestätigt man Mangelsdorfs Beobachtung, dass – hessenweit – eine Schnittmenge mit Querdenkern zu verzeichnen ist. Die Reichsbürger versuchten, unter anderem bei Anti-Corona-Demonstrationen ihr Weltbild in die Gesellschaft zu transportieren. Eine weitere Schnittmenge ist lauf LfV offenkundig: mit Befürwortern der Russischen Föderation.
Das KRD um König Peter I. (Peter Fitzek) ist in der Region Fulda indes bislang nicht aktiv. Verwunderlich wäre es nicht: Laut LfV sucht die Gruppierung mit Sitz in Wittenberg in ganz Hessen nach Immobilien. 2018, das bestätigten damals sichere Quellen, war das KRD im Vogelsberg auf Immobiliensuche. Konkret war dies in Schwalmtal der Fall.
In dem Dorf bei Alsfeld ist ein Online-Portal ansässig ist, das nach eigenen Angaben „die etwas anderen Nachrichten“ verbreitet und Fitzek lange breiten Raum bot, um seine Rechts- und Staatsideen kundzutun. Zudem sind die Betreiber der Internetseite bereits mit einer einschlägigen Messe im Wartenberg-Oval aufgefallen, auf der für die Reichsbürger- und Esoterikszene typische Literatur angeboten wurden.