1. Fuldaer Zeitung
  2. Fulda

Ist Statistik „geschönt“? Debatte um Lehrkräftemangel in Hessen

Erstellt:

Von: Sophie Brosch

Der Lehrermangel ist aktuell das brennendste Thema in der Bildungspolitik. Bundesweit fehlen tausende Lehrkräfte. Gleichzeitig ist in Hessen von einem Überangebot an Personal die Rede. Lehrerverbände halten die Statistik für geschönt, die Landesregierung hält dagegen.

Fulda - In ganz Deutschland sind nach Angaben der Kultusministerien der Länder 12.341 Lehrerstellen unbesetzt. Das geht aus einer Umfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) in den 16 Bundesländern hervor. Die Zahlen spiegeln nach Ansicht des Deutschen Lehrerverbands allerdings nicht die tatsächliche Lage wider und seien „geschönt“.

Hessen: Debatte um Lehrkräftemangel - ist Statistik „geschönt“?

Denn in der Statistik würden auch unterrichtende Personen, die gar nicht oder nicht vollständig als Lehrkraft ausgebildet sind, gezählt. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, schätzt daher die Zahl der unbesetzten Lehrerstellen in Deutschland auf 32.000 bis 40.000.

Dem RND-Bericht zufolge wurde aus Hessen sogar ein Überangebot an Lehrkräften gemeldet. Laut Kultusministerium lag die Lehrerstellenzuweisung zu Beginn des Schuljahres 2022/23 im Durchschnitt bei 134 Prozent und damit um mehr als ein Drittel über der für die Abdeckung des Stundenplans nötigen Grundunterrichtsversorgung. Die Zuweisung sei kontinuierlich gestiegen, 2018/19 lag sie bei 129 Prozent.

Wie passen diese Zahlen zusammen? „Wir sind zwar statistisch überversorgt - das entspricht aber nicht der Realität“, erklärt Philipp Bender, Sprecher des hessischen Kultusministeriums. Der Bedarf an Lehrkräften sei durch die vielzähligen Aufgaben deutlich höher, als durch die Abdeckung der Unterrichtsstunden berücksichtigt werde.

Lehrermangel in Zahlen

12.341 Lehrerstellen sind in Deutschland unbesetzt.

4000 Planstellen für Lehrkräfte will das Land Hessen 2023 und 2024 neu schaffen.

67 Prozent der Schulleitungen in Deutschland sehen den Personalmangel als größte Herausforderung an ihrer Schule.

Quellen: Redaktionsnetzwerk Deutschland, Robert Bosch Stiftung

In Hessen werde jede vorhandene Stelle aktuell von einer Person besetzt. „Davon ist etwa jede zehnte nicht vollständig als Lehrkraft ausgebildet“, sagt Bender. Dazu zählten Quereinsteiger, die befristete Arbeitsverträge erhielten, sowie Personal zur Betreuung, um ein Ganztagsangebot zu gewährleisten.

Der Mangel an ausgebildetem Lehrpersonal verschärfe sich. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine im Februar 2022 seien etwa 18.500 Kinder und Jugendliche dazugekommen. „Dadurch entsteht in den Schulen ein zusätzlicher Bedarf an Personal, den wir nicht planen konnten“, erklärt Bender. Zudem hätten die Schülerinnen und Schüler durch den gesellschaftlichen Wandel einen höheren Förderbedarf. „Die Kinder werden zuhause weniger gefördert als früher“, sagt Bender.

4000 neue Planstellen schafft das Land Hessen 2023 und 2024 für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen – so vorgesehen im Doppelhaushalt, den der Landtag Ende Januar verabschiedet hat. Die Opposition wirft der schwarz-grünen Landesregierung vor, dass es sich dabei um „Phantomlehrer“ handele.

Arbeitsmaterialien liegen auf einem Tisch in einem Klassenzimmer während dahinter Schüler und ihr Lehrer zu sehen sind.
Der Lehrermangel ist aktuell das brennendste Thema in der Bildungspolitik. © Philipp von Ditfurth/dpa

„Die Landesregierung schafft Stellen, die wegen des Mangels an Lehrkräften real nicht besetzt werden können“, erklärt ein Sprecher der hessischen Sozialdemokraten. Die SPD-Fraktion kritisiert, die seit 23 Jahren von der CDU geführte Landesregierung habe an der Qualifizierung von Lehrpersonal gespart.

Dass voraussichtlich nicht alle Planstellen sofort besetzt werden können, bestreitet auch Philipp Bender nicht. „Keine Stellen zu schaffen ist aber auch keine Lösung“, verweist der Sprecher des Kultusministeriums auf den vorhandenen Bedarf. Außerdem habe die Landesregierung auch die Studienplatzkapazitäten an den Hochschulen erhöht und Angebote für Quereinsteiger geschaffen.

An Privatschulen können Quereinsteiger auch ohne Lehramtsausbildung dauerhaft beschäftigt werden, um dem Lehrkräftemangel beizukommen. Das Bildungsunternehmen Dr. Jordan in Fulda beschäftigt zudem eine Reihe „hochqualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland“, wie Professor Dr. Lothar Jordan mitteilt. An der Schule lehrten derzeit insgesamt 92 Lehrkräften aus 14 Nationen.

Lehrkräftemangel: Zahlreiche Quereinsteiger unterrichten in Schulen

„Wir beschäftigen abgeordnete Beamte, Lehrkräfte mit 1. und 2. Staatsexamen und Quereinsteiger. Diese werden durch ein besonderes Weiterbildungsprogramm pädagogisch in- und extern geschult“, erklärt der Direktor. Die Qualität des Unterrichts leide darunter nicht. „Alle Lehrkräfte müssen eine staatliche Unterrichtsgenehmigung vorweisen. Unsere Quereinsteiger stehen in keiner Betrachtung hinter den ‚voll ausgebildeten‘ Lehrkräften. Oft sogar im Gegenteil.“

Auch andere Privatschulen in der Region setzen auf die Schulung von Quereinsteigern. Dabei steht aber die Sorge im Raum, dass das Staatliche Schulamt die Lehrkräfte nach Abschluss ihrer Ausbildung abzuwerben versuche.

Immer wieder heißt es, die Schulämter würden versuchen, Lehrkräfte von Privatschulen gezielt abzuwerben. An seiner Schule ist Jordan bislang kein solcher Fall bekannt. „In Hessen ist die Lage noch nicht ganz so drastisch - bei Kollegen in Berlin sieht das anders aus“, schildert Jordan. Dort fange das Schulamt Personal quasi vor der Schultür ab.

Versorgung in Osthessen

Von einer „grundsätzlich zufriedenstellenden“ Situation sprechen die Staatlichen Schulämter für die Landkreise Fulda und Main Kinzig. Die vorhandenen Lehrstellen seien „in der Regel besetzt“, auch mit Personen ohne Lehrbefähigung. Der Unterricht werde zum Teil mit zusätzlichen Verträgen bei kurz- oder langfristigen Erkrankungen sowie bei Mutterschutz und Elternzeit organisiert und erteilt.

Im Landkreis Fulda hat sich die Anzahl der Lehrerstellen seit dem Schuljahr 2010/2011 von 1765,7 Stellen (bei 32.284 Schülerinnen und Schülern) auf nunmehr 1870,2 Stellen (bei 26.663 Schülerinnen und Schülern) erhöht, so das Staatliche Schulamt.

Diese Stellen seien durch 2489 Personen besetzt, davon 227 Personen ohne vollständige Ausbildung. Von dieser Lehrkräftegruppe wiederum hätten 146 Personen die 1. Staatsprüfung für ein Lehramt absolviert. 81 Personen seien mit Unterrichtserlaubnis befristet eingestellt, der überwiegende Teil verfüge aber über einen Abschluss mit Diplom, Master, Bachelor und vergleichbaren Qualifikationen.

Deutlich höher ist der Anteil von Personen ohne Lehrbefähigung an den Schulen im Main-Kinzig-Kreis. Die im Schuljahr 2022/2023 (mit 50.735 Schülerinnen und Schüler) vorhandenen 3633,7 Lehrerstellen würden von insgesamt 4624 Personen besetzt, wie das Staatliche Schulamt in Hanau mitteilt. Davon seien 48 Personen mit 1. Staatsprüfung für ein Lehramt und 392 Personen mit Unterrichtserlaubnis befristet eingestellt.

Einer aktuellen kleinen Anfrage der SPD zufolge ist inzwischen im Kreis Fulda jede zehnte Stelle an einer Grundschule nicht mit einer Grundschullehrkraft besetzt. Im Main-Kinzig-Kreis seien es sogar 16,5 Prozent.

Dennoch stehe man mit dem Kultusministerium in einem „ungleichen“ Wettbewerb um Personal. Die Privatschule zahlt ihren Lehrkräften nach eigenen Angaben den hessischen Angestellten-Tarif sowie besondere Vergütungen bei Leitungs-Aufgaben. Ihre Stärken sieht sie in der Berücksichtigung individueller Bedürfnisse. „Kollektiv heißt die Personal-Strategie: Hohes persönliches Wohlbefinden“, sagt Jordan.

Der Direktor stellt die Frage, wie der eklatante Lehrermangel überhaupt zustande kommen konnte. Die Personalplanung sei doch vergleichsweise einfach. „Ich zähle die Geburten pro Jahr und weiß, wie viele Schülerinnen und Schüler sechs Jahre später eingeschult werden. Dann erhebe ich, wie viele Lehrkräfte bis dahin fertig ausgebildet sind und ziehe zum Schluss die Pensionäre ab“, rechnet Jordan vor.

Eine positive Nachricht aus der Fuldaer Schullandschaft: Schülerinnen und Schüler der Freiherr-vom-Stein Schule in Fulda haben für die Erdbebenopfer in Syrien und der Türkei gesammelt. Dabei kam eine Menge Geld zusammen.

Auch interessant