Zu denen, die die Stadt nordöstlich von Moskau kennenlernen durften, gehört die CDU-Fraktionsvorsitzende Patricia Fehrmann, die nun hin- und hergerissen ist: „Ich plädiere dafür, momentan keine offiziellen Beziehungen zu pflegen. Aber die Freundschaft sollte nicht aktiv beendet werden.“ Die Partnerschaft mit Sergiew Possad lebe von privaten Begegnungen und intensiven Kontakten auf der menschlichen Ebene. „Über Jahre hinweg wurde die Partnerschaft von vielen Personen gepflegt. Es wäre schade, wenn man das jetzt komplett zerstört.“
Sergiew Posad liegt 70 Kilometer nordöstlich von Moskau und hat 111 000 Einwohner. Das Dreifaltigkeits-Kloster des hl. Sergijus ist das bekannteste aller Klöster Russlands. Es zählt seit 1993 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Zu Sowjetzeiten entwickelte sich die Stadt zum Industrieort, wobei auch traditionellesHandwerk gepflegt wurde. Die Stadt gilt als russischer Geburtsort der Matroschkas, der berühmten Schachtelpuppen.
Die Städtepartnerschaft zwischen Fulda und Sergiew Posad wurde 1991 gegründet – kurz bevor die Sowjetunion endgültig zerbrach.
Ähnlich argumentiert Jonathan Wulff, Vorsitzender der SPD-Fraktion: „Es ist wichtig, dass persönliche Kontakte im Sinne einer Bürgerfreundschaft weiterhin unterhalten werden.“ Im Moment sei es aber kaum vermittelbar, wenn offizielle Veranstaltungen wie ein Jubiläumsfest durchgeführt würden. „Wir haben in Fulda viele ukrainische Flüchtlinge. Wir müssen jeden Eindruck vermeiden, dass wir den brutalen Angriffskrieg verharmlosen und zur Tagesordnung übergehen.“
„Zum jetzigen Zeitpunkt ist es richtig, alle offiziellen Kontakte ruhen zu lassen“, findet auch die Vorsitzende der Fraktion der Grünen, Silvia Brünnel. Dies sei zwar bedauerlich, aber angesichts des andauernden Angriffskriegs ein unausweichliches Signal Richtung Russland. „Die über Jahrzehnte gewachsenen wertvollen Beziehungen der Städte sollten jedoch nicht dauerhaft beendet werden, denn mit Blick auf ein friedliches Zusammenleben in Europa sind Dialogbereitschaft und persönliche Freundschaften ein unverzichtbares Gut.“
Die privaten Freundschaften könnten der Städtepartnerschaft ein Fundament verleihen, dass auch in Krisenzeiten tragen kann, erklärt ebenfalls OB Wingenfeld: „Die Stadt Fulda setzt darauf, dass die Gründungsidee der Städtepartnerschaften als Basis der Völkerverständigung sich auch nach einem Ende des Krieges als tragfähig erweist.“