Ausbildungslabor an der Hochschule: Wie Studierende den Pflegealltag simulieren

Pflege lernen, ohne dabei in Kontakt mit echten Patienten zu kommen – das klingt erst einmal paradox, ist aber an der Hochschule Fulda fester Studienbestandteil. Die Simulation in der Pflege gibt es hier bereits seit 1994 – und jetzt in einem neuen Labor.
Fulda - Der Steuerungsraum im zweiten Obergeschoss des neuen Gebäudes 53 auf dem Hochschul-Campus in Fulda mutet an wie aus einem Krimi: Durch Spiegelscheiben eröffnet sich die Sicht in die Nachbarzimmer – allerdings nicht in Verhörräume. Rechts fällt der Blick in ein Ein-Bett-Krankenzimmer, links hingegen in ein Wohn-Schlafzimmer.
Fulda: Studierende simulieren Pflegealltag in neuem Ausbildungslabor
In diesen Räumen sowie einem Vier-Bett-Krankenzimmer samt Stationszimmer sind die Studierenden des Studiengangs Pflege immer im Fokus – auch per Video- und Audiografie. Mit lebendigen Patienten kommen sie hier indes nicht in Kontakt.
Stattdessen liegen im Schlafzimmer oder im Krankenbett Simulatoren. Um diese hochfunktionellen Puppen – wobei der Begriff Puppe nicht gerne gehört ist – im Wert eines Mittelklasse-Autos müssen sich die Studierenden kümmern und auch mit deren Reaktionen klarkommen. Und die orientieren sich am echten Leben.
Der Studiengang
Der Studiengang Pflege an der Hochschule Fulda umfasst eine Regelstudienzeit von acht Semestern, berufsaufbauend von vier Semestern. 220 der 4700 Stunden (2400 Theorie, 2300 klinische Praxis) finden im Skills- und Simulationslabor statt. Die Bewerbungsfrist zum Studienbeginn im Wintersemester läuft vom 2. Mai bis 30. September.
Voraussetzung für das Studium mit integrierten Ausbildungsinhalten ist die Hochschulzugangsberechtigung. Ein sechswöchiges Pflegepraktikum wird empfohlen, eine Zulassungsbeschränkung besteht seit 2020 nicht mehr.
Aus dem Steuerungsraum lassen sich die Simulatoren – ob nun männlich, weiblich, Kind oder sogar gebärende Mutter für die Hebammenausbildung – steuern: Blutdruck, Puls, Körpertemperatur, ein vorsichtiges Blinzeln – selbst die Kommunikation lässt sich realitätsnah darstellen. So kann es auch schon einmal passieren, dass die Zahnprothese entfernt werden muss oder dass sich „Patienten“, die mit Tanks für derlei Simulationen ausgestattet sind, einnässen.
„Wir können mit den Simulatoren sehr viele Situationen darstellen“, sagen Anna Steinacker und Marion Diegelmann, die zusammen mit Victoria Kreiss als Lehrkräfte für besondere Aufgaben am Fachbereich Pflege arbeiten. Unter diesen Laborumständen dürfen die Studierenden durchaus auch einmal Fehler machen. „Das ist vollkommen in Ordnung“, ergänzt Laboringenieurin Daniela Herchet. Schließlich ließen sich aus Fehlern Lehren ziehen. Die werden dann – auch anhand von Videoaufnahmen – mit den angehenden Pflegekräften analysiert und reflektiert.
Das ist durchaus Sinn und Zweck der Sache. Im „geschützten Raum“ lässt sich so der Umgang mit den Patienten üben – und zwar ohne ernsthafte Konsequenzen. „In der Simulation stirbt auch keiner. Dafür haben wir Lebensretter eingebaut“, verrät Herchet. Das können Anrufe aus dem Kontrollraum sein oder Lehrkräfte, die als „erfahrene Kollegen“ auftreten.

Zum Hintergrund erklärt Praxisreferentin Christine Loewenhardt: „Die Simulation kommt aus der Luftfahrt, wo Piloten auch nicht gleich auf echten Flugzeugen trainieren.“ In der Schifffahrt und beim Militär sind derlei realitätsnahe Darstellungen ebenfalls schon lange an der Tagesordnung.
Seit knapp zehn Jahren nimmt nun die Simulation auch in der Pflege immer breiteren Raum ein – im angelsächsischen Raum tut sie das schon länger. In Fulda wird sie neben der Hochschule auch am Klinikum und beim Deutschen Roten Kreuz praktiziert, weiß Loewenhardt.
Insgesamt drei Netzwerke widmen sich in Deutschland dem Thema. Das Simulationsnetzwerk Ausbildung und Training in der Pflege (SimNAT) etwa hat erst vergangene Woche ein Symposium mit 150 Teilnehmern in Fulda abgehalten. „Die Kollegen kommen immer gerne hierher – zumal wir nun die neuen Labore haben“, sagt das Team um Professor Dr. Michael Klingenberg. Er hebt hervor: „Wir forschen und publizieren hier auch zu dieser Lehrmethode.“
Die sechsköpfige Gruppe hat die Kontrolle über das Simulationszentrum und seine pflegebedürftigen Bewohner aus Kunststoff. Und nicht nur die bergen allerlei Gemeinheiten in sich. Auch die Räume halten so manche Überraschung parat: etwa das häusliche Pflegeszenario, wo rutschende Bettvorlagen den Studierenden – auch real existierende – Fallen stellen.
Video: Joko und Klaas zeigen sieben Stunden Pflegealltag
In den Krankenzimmern will auf die Höhe der Betten geachtet und der Blick auf die Fernseher gerichtet sein, auf denen sich etwa EKG-Werte für die Simulatoren einspielen lassen. „Das Stationszimmer ist genauso eingerichtet wie in Krankenhäusern – samt Schütten für Spritzen und Verbände oder Schubladen für Medikamente. Vermutlich ist es nur etwas ordentlicher“, sagt Diegelmann.
Zudem ist jedes der Zimmer in dem Laborbereich, dessen Investitionsvolumen das Team nur grob mit einer Summe im siebenstelligen Bereich beziffert, so ausgestattet, dass sich per Beamer und Leinwand Unterrichtseinheiten einstreuen lassen, wenn gerade nicht an einem der fünf technisch ausgestatteten oder zwei rein pflegerischen Simulatoren gearbeitet wird.
Wenn die „Puppen“, die je nach Ausbildungslage passende Namen bekommen, nicht benötigt werden, haben sie ein eigenes Quartier: in einem Lager samt elektrischem Pater-Noster-Regal. Damit können sie einfach zum Transport auf Wagen verladen werden, denn die Simulatoren wiegen gut 40 bis 50 Kilogramm. „Und wenn wir schon rückenfreundliches Arbeiten unterrichten, müssen wir beispielhaft vorangehen“, sagt Laboringenieurin und Kinaesthetics-Trainerin Daniela Herchet.
Seit kurzem läuft an der Hochschule in Fulda außerdem ein Pilotprojekt gegen „Periodenarmut“. Bei diesem stellt die Hochschule Binden und Tampons kostenlos zur Verfügung.