Corona, Krieg, Inflation: Tafeln werden überrannt und müssen Menschen wegschicken
Immer mehr Menschen in Deutschland leben in Armut. Bei vielen von ihnen reichen die monatlichen Einkünfte nicht für den Lebensmitteleinkauf. Sie sind auf die Unterstützung der Tafeln angewiesen - auch in Fulda, Hünfeld und im Main-Kinzig-Kreis.
Fulda - Und die Zahl derer, die diese in Anspruch nehmen, steigt aktuell nicht nur wegen den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Unterdessen mussten 32 Prozent der Tafeln bereits einen Aufnahmestopp einführen. Das ergab eine Umfrage der Tafel Deutschland unter ihren Mitgliedern. 603 Tafeln beteiligten sich an der Umfrage.
„Die Lage bei der Tafel in Fulda ist weiterhin angespannt“, sagt deren Vorsitzender Professor Dr. Richard Hartmann. Damit spiegelt die Fuldaer Tafel den Trend im ganzen Land wieder. Aufgrund von Inflation, Corona-Pandemie und Kriegsfolgen suchen gerade so viele Menschen Unterstützung wie nie zuvor.
Fulda: Armut wegen Corona, Krieg und Inflation - Tafeln müssen Menschen wegschicken
Die Tafel im Bergwinkel (Main-Kinzig-Kreis) hat zum Beispiel ihre Kapazitätsgrenze erreicht und muss Hilfesuchende abweisen. Die Zahl der Tafelkunden dort sei in den vergangenen Monaten um mehr als 25 Prozent gestiegen. „Eine solche Flut von Anträgen hatten wir nicht einmal während der Flüchtlingswelle 2015“, sagt Walter Pickert.
Er ist im oberen Kinzigtal für die Warenbeschaffung und -einteilung verantwortlich. Die Räumlichkeiten in der Weserstraße in Fulda verlassen gerade 150 bis 200 Ausgaben an jedem der drei Öffnungstage. Insgesamt, so sagt Hartmann, seien mehr als 2200 ausgabeberechtigte Haushalte bei der Fuldaer Tafel gemeldet.
Diese Zahl ist gestiegen, seitdem der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist und zahlreiche geflüchtete Menschen in die Barockstadt gekommen sind. Von den 2200 Haushalten, die die Dienste der Tafel aktuell in jedem Monat nutzen, sind 236 ukrainisch-stämmig.
Auch in Flieden hat die Zahl der hilfsbedürftigen Menschen seit dem Krieg in der Ukraine zugenommen: „Wir vom Fliedener Tisch merken den Zuwachs an Menschen, die auf uns angewiesen sind“, berichtet Horst Vormwald, Kurator des Fliedener Tisches (lesen Sie auch hier: Ukrainische Flüchtlinge in Hünfeld - Tafel „an der Grenze des Machbaren“).
Tafel in Fulda hält sich im Gegensatz zu früher mit Werbung zurück
Aber auch ohne die geflüchteten Menschen, die auf die Unterstützung der Tafel angewiesen sind, wäre die Zahl der Tafel-Kunden nicht nur in Fulda hoch. Verantwortlich dafür sind laut Hartmann auch die Inflation und gestiegene Preise. Zwischenzeitlich hat es bei der Fuldaer Tafel sogar eine Sperre für Ausgaben gegeben, weil die Zahl derer, die auf die Tüten angewiesen sind, so hoch war. „Früher haben wir offensiv Werbung gemacht, jetzt sind wir mit so etwas eher zurückhaltend.“
Seitdem ukrainische Flüchtlinge eine Staatsleistung erhalten, zahlen sie wie die anderen Tafel-Kunden einen Betrag pro Tüte. Zuvor waren sie kostenfrei für die Ukrainer. Gefüllt sind die Tüten lediglich mit gespendeter Nahrung. Bei Baby-Nahrung hat die Fuldaer Tafel nun aber eine Ausnahme gemacht und sie mit Geldspenden zugekauft.

Der Zukauf von Lebensmitteln ist seit diesem Jahr auch bei der Hünfelder Tafel erlaubt. Auch sie ist „ziemlich ausgelastet“. Waren es 2021 noch 130 bis 140 Familien, die versorgt wurden, seien es laut Koordinator Rudolf Höhl nun 230 Familien. Die große Zahl an Geldspenden, die die Tafel laut Höhl erhalte, mache den wichtigen Zukauf möglich.
„Wir müssen mittlerweile fast wöchentlich Lebensmittel zukaufen“, verdeutlicht Vormwald die angespannte Lage der Tafeln. Mit den Geldspenden lasse sich der drastische Anstieg der Zahl der Kunden kompensieren. Aber: „Wenn weniger Spenden ankommen, gibt es auch weniger Lebensmittel in den einzelnen Kisten der Kunden.“
Tafel in Flieden spricht von Rückgang der Lebensmittelspenden
Der Fliedener Tisch ist neben Flieden auch für die Gemeinden Neuhof und Kalbach zuständig. „Wir haben etwa 150 bis 160 Personen, die wir verpflegen, etwa 75 davon sind Geflüchtete aus der Ukraine“, sagt Vormwald. Eigentlich bräuchte der Fliedener Tisch also gerade jetzt mehr Lebensmittelspenden von den Märkten.
Der Fall sei jedoch das genaue Gegenteil. Eine Annahme, die Kai Grasmück vom Rewe-Markt in den Fuldaer Dalberghöfen nicht bestätigen kann. Der Rewe-Markt gebe zurzeit sogar mehr Spenden an die Tafeln als noch vor der Corona-Pandemie. Und das habe mit dem Ende der Lockdowns zu tun.

„Als ringsherum alles geschlossen bleiben musste, mussten die Menschen einkaufen gehen, um sich zu ernähren. Daher haben wir mehr verkauft und weniger Dinge abgegeben.“ Jetzt habe jedoch alles wieder geöffnet und die Menschen müssten weniger Lebensmittel kaufen (lesen Sie auch: Den Tafeln geht das Essen aus: Ukraine-Krieg verschärft die Lage).
Die Folge: Im Rewe-Markt kratzen mehr Produkte am Haltbarkeitsdatum und werden gespendet. Patrick Franz vom Supermarkt „Nahkauf Schaurich“ in Horas bestätigt hingegen zwar, dass er weniger an die Tafel spende. Das habe jedoch damit zu tun, dass er Produkte, die drohen abzulaufen, ab und an seinen Mitarbeitern mitgebe, weil diese auch unter der Inflation leiden.
Spenden
Einige Tafeln wenden sich nun an die Bevölkerung: „Wenn Sie das Gemüse aus Ihrem Garten und die Früchte Ihrer Obstbäume und -sträucher nicht alle selbst verwerten können, bringen Sie Ihren Überschuss bitte zur Tafel“ sagt etwa Marita Klein, Vorstandsmitglied der Tafel im Bergwinkel. Überschuss können im Verteilerzentrum in Steinau a.d.Str., Auf der Gänswiese 6, oder an allen Ausgabestellen der Tafel abgegeben werden.
Auch Lebensmittelgutscheine oder Geldspenden werden dankbar angenommen. Auch weitere ehrenamtliche Kollegen sind gern gesehen. Auch bei anderen Tafeln in der Region werden Spenden von Privatpersonen dankend angenommen. Weitere Infos im Internet unter sst-tafel.de, tafel-fulda.de, drk-huenfeld.de und flieden.de
Feststeht: Die Zahl der Kunden bei den Tafeln nimmt aktuell enorm zu. Und das könnte laut Hartmann auch politische Gründe haben. „Zahlungen wie Hartz 4 sind in der momentanen Zeit zu gering. Diese müssen dringend erhöht werden.“
„Wenn das Geld knapp wird, gehen die Leute zu den Sozialämtern, und dort wird ihnen gesagt ‚Geht zu den Tafeln, da wird euch geholfen‘ “, nennt Walter Pickert von der Tafel im Bergwinkel als Auslöser für die überlaufenen Tafeln. Die Menschen kämen mit der Überzeugung, dass ihnen geholfen werden müsse.
„Oft wird nicht eingesehen, dass wir an unsere Grenzen stoßen“, sagt Pickert. Inzwischen gebe es sogar schon wieder eine Warteliste (lesen Sie auch hier: Hohe Preise und Ukraine-Krieg: Kunden-Ansturm auf Tafeln - Effekt auch in Fulda).
„Es ist verantwortungslos, wenn Behörden Menschen zu einer Tafel schicken, ohne sich überhaupt zu erkundigen, ob die Tafel neue Kundinnen und Kunden aufnehmen kann“, erklärt auch der Vorsitzende des Vereins Tafel Deutschland, Jochen Brühl. „Wir helfen, so viel wir können, aber bleiben ein Zusatzangebot. Dass alle Menschen in Deutschland genug zu essen und zu trinken haben, muss der Staat gewährleisten – nicht das Ehrenamt.“