Als die Polizei keine weiteren Fragen mehr hatte, stieg Okrusch wieder in ihr Auto. Dort brach sie in Tränen aus. „Der Kopf fing an, zu arbeiten. Ich rief heulend meinen Chef an, fuhr statt zur Arbeit zu meiner Schwester. Ich habe mich den ganzen Tag nicht mehr eingekriegt.“
Am nächsten Tag meldete sich Hasret Ötzkar aus dem Krankenhaus bei Michelle Okrusch. Eine Woche später, als es Ötzkar langsam besser ging, besuchte die Fliedenerin sie im Krankenhaus. Bis heute stehen die beiden in Kontakt. (Lesen Sie auch: Messerattacke in Würzburg: Lob und Anerkennung für mutige Helfer)
Um ihren Einsatz von damals zu würdigen, hat Landrat Thorsten Stolz nun in Vertretung des Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) Okrutsch sowie fünf weitere Ersthelferinnen und Ersthelfer mit der Hessischen Rettungsmedaille ausgezeichnet. „Das entschlossene, verantwortungsvolle und beispielhafte Handeln der Ersthelferinnen und Ersthelfer hat an diesem Tag geholfen, Schlimmeres zu verhindern“, heißt es in einer Pressemitteilung des Main-Kinzig-Kreises.
Die Verleihung sei ihm eine besondere, eine persönliche Ehre, betonte der Landrat und überbrachte den Geehrten den herzlichen Dank der Hessischen Landesregierung, des Kreisausschusses und aller Anwesenden im Main-Kinzig-Forum in Gelnhausen. „Alle Ersthelferinnen und Ersthelfer haben großen Mut und Zivilcourage bewiesen.“
Alle sechs erhielten für ihr Eingreifen die Hessische Rettungsmedaille, eine Auszeichnung, die nicht häufig verliehen wird: Im Jahr 2019 wurde sie 27-mal, im Jahr 2020 22-mal und im Jahr 2021 31-mal vergeben. „Die hohe Zahl im vergangenen Jahr geht auf die Medaillen zurück, die ich heute überreichen darf“, so Thorsten Stolz.
In seiner Laudatio unterstrich der Landrat: „Die drei Frauen und vier Männer, die für ihr vorbildliches Verhalten ausgezeichnet werden, sind am 1. Juni 2021 über sich hinausgewachsen. Sie haben in einer Gefahrensituation beherzt gehandelt und unter eigener Lebensgefahr Menschen aus Lebensgefahr gerettet. Sie haben ein besonderes Maß an Hilfsbereitschaft gezeigt.“
Stellvertretend für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Heimatkommunen der Ersthelfenden sprach Gelnhausens Bürgermeister Daniel Christian Glöckner (FDP) Dank und Anerkennung aus: „Diesen 1. Juni 2021 werden Sie nie vergessen. Sie sind Vorbilder für andere, denn sie haben eben nicht die Rettungsgasse zugestellt, nicht ihr Handy gezückt, nicht weggeschaut. Sie sind feine Menschen, die sich trotz Gefahr aufopferungsvoll um andere gekümmert haben.“
Hasret Ötzkar nutzte die Gelegenheit, um sich bei ihren „Schutzengeln ganz offiziell zu bedanken“: „Ich weiß jetzt, was es heißt, Glück im Unglück zu haben. Im Unglück hatte ich das Glück, dass Menschen nicht von meiner Seite gewichen sind, bis der Rettungshubschrauber da war, die mich von meinem brennenden Auto ferngehalten und die meinen Vater über meine Smartwatch kontaktiert haben. Auch im Krankenhaus, in dem es wegen Corona sehr einsam war, haben sie mich per Videocall unterstützt.“ An die Ersthelferinnen und Ersthelfer gewandt, sagte sie: „Euer Verhalten war mutig und ehrenvoll. Ich bin froh, dass ich euch habe.“
Auch Okrusch ist der 1. Juni in Erinnerung geblieben. Heute noch fährt sie regelmäßig an der Stelle vorbei, die ihr auch deshalb ins Auge fällt, weil auf diesem Abschnitt der Asphalt neu gemacht wurde. „So ganz kriegt man es nie aus dem Kopf. Ich halte jedes Mal die Luft an.“ Auch ihr eigenes Leben habe sich verändert. „Ich halte auf der Autobahn noch mehr Abstand als vorher. Ich bin vorsichtiger geworden.“