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Streit eskaliert mit Messerstichen: Urteil gefällt - einmal Haftstrafe, einmal Freispruch

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Von: Andreas Ungermann

Nach einem Streit mit Messerstichen in einer Gemeinschaftsunterkunft in Fulda ist das Urteil gegen zwei Angeklagte da - einmal Haftstrafe, einmal Freispruch.
Nach einem Streit mit Messerstichen in einer Gemeinschaftsunterkunft in Fulda ist das Urteil gegen zwei Angeklagte da - einmal Haftstrafe, einmal Freispruch. © Andreas Ungermann

Nach einem eskalierten Streit in einer Gemeinschaftsunterkunft in der Leipziger Straße im Dezember 2021 hat das Gericht in Fulda jetzt das Urteil gefällt. Ein Angeklagter ist zu dreieinhalb Jahre Haft verurteilt worden. Der zweite Angeklagte wurde freigesprochen.

Update vom 15. Juni 2022, 13.08 Uhr: Dreieinhalb Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung - so lautete am Mittwochmittag das Urteil gegen den älteren Angeklagten im Prozess nach einem Streit in einer Gemeinschaftsunterkunft, der zweimal mit Messerstichen endete. Der jüngere Mann wurde indes freigesprochen, ihm war eine Beteiligung nicht nachzuweisen, so die Auffassung der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Fulda. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Erstmeldung vom 13. Juni 2022, 20.58 Uhr: Bis zu den Schlussplädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung bleiben die Ereignisse um einen eskalierten Streit in einer Gemeinschaftsunterkunft in Fulda im Dezember 2021 nebulös. Das liegt am starken Alkoholkonsum der Beteiligten – und Zweifeln eben daran.

Fulda: Urteil nach Streit mit Messerstichen - einmal Haftstrafe, einmal Freispruch

Fulda - „Rechtlich ist das Ganze nicht einfach“, so fasst Staatsanwalt Andreas Hellmich das Verfahren um einen handgreiflichen Streit in einer Gemeinschaftsunterkunft in der Leipziger Straße in Fulda zusammen. Am Ende – das belegen die Wunden – trug im Dezember 2021 das 36-jährige Opfer und heutiger Nebenkläger zwei Stichwunden davon.

Eine Verletzung erlitt er am frühen Morgen am Oberschenkel, am späten Nachmittag eine weitere im Brustbereich. Zweitere hätte durchaus lebensgefährlich sein können und zog auch drei Tage nach dem 8. Dezember Komplikationen nach sich: Luft und Flüssigkeiten drangen in den Brustbereich ein, das Opfer benötigte eine Drainage.

Letzte Beratung vor den Schlussplädoyers im Prozess um einen eskalierten Streit in der Leipziger Straße (von links): der jüngere Angeklagte mit Rechtsanwalt Theodor Jahn und der ältere mit Rechtsanwalt Egon Schütz.
Letzte Beratung vor den Schlussplädoyers im Prozess um einen eskalierten Streit in der Leipziger Straße (von links): der jüngere Angeklagte mit Rechtsanwalt Theodor Jahn und der ältere mit Rechtsanwalt Egon Schütz. © Andreas Ungermann

Nach vier Prozesstagen konstatiert Hellmich: „Auch das Opfer ist nicht unproblematisch und leidet unter einem massiven Alkoholproblem.“ 2,4 Promille hatte der 36-Jährige im Blut, als er an jenem Dezemberabend zum zweiten Mal ins Klinikum eingeliefert wurde.

Die Werte der beiden Angeklagten ließen sich nur schätzen, ähnliche hohe Werte wie bei dem Opfer erschienen Staatsanwalt sowie Nebenklagevertreter Knut Hillebrandt jedoch illusorisch. Derart betrunken hätte keiner im Feierabendverkehr die Leipziger Straße mehrfach queren können.

Fulda: Stiche im „Jagdfieber“ oder in Notwehr? Schlussplädoyers nach Streit

Davon zeigten sie sich überzeugt: „Damit liegt man höchstens komatös auf dem Bett“, so Hillebrandt. Die Angeklagten – vor allem der ältere, der stärker als Triebfeder herauskristallisiert wird – seien zwar enthemmt, aber keinesfalls schuldunfähig gewesen.

Er sah es als erwiesen an, dass der damals 23-Jährige mit dem Opfer in Streit geraten sei und diesen dann mit einem Messer ins Bein gestochen habe. Das Opfer, sei nach der ersten Behandlung im Klinikum mit dem Bus gefahren – womöglich nur mit OP-Hemd oder Papier-Hose bekleidet. Am Busbahnhof habe er eine Tüte mit seiner blutverschmierten Hose gegen eine Uhr geworfen, bevor er an einer Bushaltestelle weiter getrunken und Passanten angepöbelt habe.

Auf diesem Bürgersteigabschnitt in der Leipziger Straße wurde das Opfer im Dezember aufgegriffen.
Auf diesem Bürgersteigabschnitt in der Leipziger Straße wurde das Opfer im Dezember aufgegriffen. © Anne Burkard

Nach der Rückkehr in die Unterkunft hätten die Angeklagten ihn bedroht und dann auf offener Straße verfolgt – der ältere mit einem Messer, der jüngere mit einer Eisenstange. „Alle Zeugen haben diese Rollen klar verteilt. Beide waren im Jagdfieber und wollten das Opfer schnappen“, betont Hellmich in seiner Rekonstruktion und verweist auf die plastische Darstellung einer Zeugin im Gerichtssaal.

Am Ende plädiert er für eine Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung für den älteren Mann. Der jüngere sei nicht unmittelbarer Täter, habe aber durch den gemeinsamen Tatentschluss Beihilfe geleistet. Für ihn beantragt Hellmich eine Haftstrafe von sechs Monaten und einer Woche. Zudem sei der Haftbefehl aufzuheben, weil die Strafe mit der Untersuchungshaft, in der die beiden Männer seit 10. Dezember sitzen, abgegolten sei.

Über diese Forderungen geht der Anwalt des Nebenklägers hinaus. Hillebrandt räumt zwar ein, dass sein Mandant „ein bizarres Verhalten an den Tag gelegt hat“, im Gegensatz zu den Angeklagten sei er jedoch nicht vorbestraft. „Er ist einer eher schlichten Denkweise zugänglich und hilflos in der Gegend herumgelaufen, aber nicht aggressiv geworden“, betont Hillebrand.

„Ich habe Fehler begangen“ - Angeklagte will sich beim Opfer entschuldigen

Bei den Angeklagten indes seien alle Warnwirkungen vorangegangener Verfahren und Verurteilungen „völlig verpufft“. Die Aussagen zu angeblichen Notwehrsituationen und Schlichtungsversuchen seien reine Schutzbehauptungen. Der jüngere Beschuldigte, der mit einer Eisenstange auf der Leipziger Straße hin und her lief, sei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, der ältere zu fünf Jahren und acht Monaten zu verurteilen.

Kurz fasst sich der Verteidiger des jüngeren, zur Tatzeit 22-jährigen Mannes, Theodor Jahn. „Eine Beteiligung am ersten Tatkomplex ist meinem Mandanten nicht nachzuweisen. Am Nachmittag hat er nichts damit zu gehabt“, so Jahn. Es habe schlichtweg nicht „in der Macht und Möglichkeit“ des Mannes gestanden, dem Opfer zu helfen. Deshalb sei der damals 22-Jährige freizusprechen, der selbst beteuert, er habe nur den Streit schlichten wollen.

Der Verteidiger des älteren Angeklagten, Rechtsanwalt Egon Schütz, macht indes deutlich, wie schwierig die rechtliche Würdigung der Beteiligung seines Mandanten ist. „Vieles, was er gesagt hat, hat sich hinterher auch in Luft aufgelöst“, räumt Schütz ein und führt die Darstellung ins Feld, wonach das Opfer von seinem Mandanten Geld gefordert habe. In der Folge sei es zu einem Gerangel gekommen, in dem sich der damals 23-Jährige lediglich gewehrt habe.

Für die zweite Tat stellt selbst der Verteidiger einen Schuldspruch in den Raum. Weil der Mann jedoch durch den Alkoholpegel deutlich gehandicapt gewesen sei, komme eine Verurteilung von zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe in Betracht. Der Angeklagte selbst versichert: „Ich habe Fehler begangen.“ Eine Entschuldigung solle dem Opfer übermittelt werden. Er selbst wolle eine Therapie wegen seiner Drogenprobleme antreten. Das Urteil wird am Mittwoch gesprochen.

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