„Weißer Ring“-Vorsitzender aus Fulda kritisiert geplante Video-Dokumentation von Prozessen

Hauptverhandlungen in Strafprozessen sollen digital dokumentiert werden. So sieht es ein Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums vor. Nach Einschätzung des Weißen Rings geht das zulasten der Opfer.
Fulda/Mainz (dpa) - Die Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer Weißer Ring lehnt die von der Bundesregierung geplante Video-Dokumentation von Strafprozessen ab. „Das Bundesjustizministerium hat bei seinen Plänen offenbar die Opfer vergessen“, sagte der Bundesvorsitzende des Weißen Rings, Patrick Liesching, der Deutschen Presse-Agentur in Mainz.
Patrick Liesching ist auch Staatsanwalt in Fulda. Der 50-Jährige löste im September 2022 den früheren Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Prof. Jörg Ziercke (75), als Bundesvorsitzender des Weißen Rings ab. Vor 17 Jahren kam Liesching zum Weißen Ring.
Fulda: Weißer Ring kritisiert geplante Video-Dokumentation von Prozessen
Er habe als Außenstellenmitarbeiter in Fulda angefangen, „weil ich in Strafprozessen mit der ehrenamtlichen Arbeit der Opferhelfer in Berührung kam und von deren Engagement so begeistert war“: 2017 übernahm er den Vorsitz des hessischen Landesverbandes des Weißen Rings. Er möchte den Verein vielfältiger machen und bekannter auch bei jüngeren Menschen:
„Für Opfer ist die Aussage vor Gericht schon jetzt eine schwere Belastung. Künftig sollen sie sich aber nicht nur dem Angeklagten, seinen Strafverteidigern und der Öffentlichkeit aussetzen, sondern auch noch drei Kameras“, kritisierte der Fuldaer. „Die Opfer müssen damit rechnen, dass ihnen jede Gestik, jede Mimik, jede Unsicherheit immer wieder vorgehalten wird“, gab der Jurist zu Bedenken.
Die geplante Video-Dokumentation ist ein Geschenk an Konfliktverteidiger.
„Ihre Verletzlichkeit wird auf Dauer konserviert – und findet sich im schlimmsten Fall vielleicht sogar auf Youtube wieder.“ Dem Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium zufolge sollten Strafprozesse künftig in Bild und Ton aufgezeichnet werden (lesen Sie auch hier: An Weihnachten im Dienst - so erleben Polizei, Rettungsdienst und Gastronomie die Feiertage).
Die Dokumentation müsse gemäß der Strafprozessordnung allen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden und dies könnten bei großen Prozessen „Dutzende Personen“ sein, gibt der Weiße Ring zu Bedenken. „Im Fall einer unerlaubten Weitergabe der Bilder ließe sich der Täter kaum ermitteln.“
„Das kommt einer Einschüchterung von Opferzeugen durch Verfahrensregeln gleich“, kritisierte Liesching. Damit sei auch das Argument des Ministeriums hinfällig, die Dokumentation verbessere die Wahrheitsfindung. „Ein eingeschüchterter Zeuge ist kein guter Zeuge.“
Video: Eine helfende Hand für Opfer von Kriminalität
Der Weiße Ring befürchtet eine „weitere Machtverschiebung zulasten der Opfer“ im Strafverfahren. Denn: Ein Angeklagter kann vor Gericht die Aussage verweigern – ein Opferzeuge dürfe dies aber nicht. „Die geplante Video-Dokumentation ist ein Geschenk an Konfliktverteidiger und wird zur Verzögerung und Verkomplizierung der oft ohnehin schon komplexen Verfahren führen.“
Das Bundesjustizministerium hat den Referentenentwurf „für ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“ Ende November an die Verbände und Länder übermittelt.
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, solle die Hauptverhandlung in Bild und Ton aufgezeichnet werden, hatte Minister Marco Buschmann (FDP) dazu gesagt. Die automatisierte Übertragung der Tonaufzeichnung mittels einer Transkriptionssoftware in ein Textdokument sei auch zentraler Bestandteil des Entwurfs. (dpa, sar)