Femizide und Gewalt an Frauen: Weißer Ring fordert härtere Kontrollen - „Es bessert sich nichts“

Der Weiße Ring fordert bessere Präventionsmaßnahmen, um Femiziden, also Tötungen von Frauen, vorzubeugen. Der Bundesvorsitzende des Vereins und Leiter der Staatsanwaltschaft in Fulda, Dr. Patrick Liesching, (50) erklärt, welche Möglichkeiten es gibt.
Ob der Mord an einer Ärztin in Fulda im Jahr 2020 oder die Tötung einer 52-Jährigen in Künzell 2019: Auch in Osthessen gibt und gab es Femizide. Was sind die Ursachen für solche Taten?
Es gibt immer unterschiedliche Motivlagen, aber sehr häufig spielt verletzter Stolz, eine narzisstische Kränkung des Partners, der mit der Trennung von der Frau nicht klarkommt, eine Rolle. Im Sinne von: Wenn ich die Frau nicht haben kann, soll sie auch kein anderer haben.
Wie kommt es dann zu einer solchen Eskalation.
Bei Menschen, die zu solchen Taten neigen, können manche Zeitpunkte gefährlich werden – zum Beispiel wenn beim Auszug der Möbelwagen vorfährt oder wenn die Sorgerechtsentscheidung des Familiengerichts ansteht. Es ist sinnvoll, dass man sich als Betroffene nicht allein in solche Situationen begibt, sondern dafür sorgt, dass andere Menschen dabei sind. Es zeigt sich immer wieder, dass Täter dann angreifen, wenn das Opfer allein ist.
Was sind Warnhinweise?
In den meisten Fällen gibt es bereits Gewalt im Vorfeld. Häufig wurden auch schon Bedrohungen ausgesprochen: „Wenn du mich verlässt, bring ich dich um oder ich bringe die Kinder um.“ Drohungen mit erweitertem Suizid sind auch nicht selten. Hier könnte ein Risikomanagement des Staates ansetzen.
Gewalt an Frauen: Weißer Ring fordert schärfere Kontrollen
Was meinen Sie damit?
In einzelnen Bundesländern, etwa in Rheinland-Pfalz, gibt es Konzepte, bei denen die Polizei solche Risikopeaks auf dem Schirm hat. Wir haben leider ganz oft die Situation, dass zwar Schutzmaßnahmen ergriffen worden waren, etwa ein Näherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz, diese Mechanismen dann aber versagt haben. Auch im Fuldaer Fall war das so.
Sie meinen den Mord an der Ärztin aus dem Herz-Jesu-Krankenhaus, die von ihrem Ex ermordet wurde?
Genau. In dem Fall gab es ein Annäherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz. Der Täter hat sich aber nicht daran gehalten. Hier stellt sich die Frage, wie effektiv solche Maßnahmen überwacht werden können. In Spanien zum Beispiel wird das mit einer elektronischen Fußfessel getan.
Sollte das auch in Deutschland eingeführt werden?
Eine elektronische Fußfessel würde ich nicht sofort anlegen, weil das einen starken Grundrechtseingriff darstellt, aber wenn jemand schon einmal gegen das Gewaltschutzgesetz verstoßen und sich der Person genähert hat, obwohl er es nicht darf, dann wäre das eine Möglichkeit. Der Weiße Ring plädiert für härtere Kontrollen und bessere Präventionsmaßnahmen. Mein Vorgänger im Amt, Professor Jörg Ziercke, hat vor einigen Monaten einen Brandbrief geschrieben, in dem er fordert, dass die Politik hier tätig wird.
Gewalt an Frauen
Weltweit werden Frauen und Mädchen Menschenrechte und Grundfreiheiten vorenthalten. Sie werden Opfer von körperlichem und seelischem Missbrauch, von häuslicher Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen als Kriegsstrategie. Aufgrund ihrer prekären Situation sind besonders Frauen auf der Flucht gefährdet. Auf ihre Notlage macht die UNO-Flüchtlingshilfe zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November aufmerksam.
Auch in Osthessen gibt es Aktionen anlässlich des Tages gegen Gewalt an Frauen.
Wie erwirkt man zum Beispiel ein Annäherungsverbot?
Das muss beim Familiengericht beantragt werden. Das geht zu Protokoll der Geschäftsstelle, es empfiehlt sich aber, in solchen Fällen einen Anwalt zu nehmen. Auch eine Anzeige bei der Polizei ist sinnvoll. Denn wenn der Polizei ein Sachverhalt bekannt ist, kann sie präventiv den Gefährder ansprechen. Nicht selten führt das dazu, dass sich der Täter zurückzieht.
Hat sich das Problem in den vergangenen Jahren denn verschärft?
Anders formuliert: Es bessert sich nichts. Statistisch ist es so, dass rein rechnerisch jeden dritten Tag eine Frau in Deutschland umgebracht wird – und zwar wegen ihres Geschlechts. Wir sprechen dann von einem Femizid. Das ist seit Jahren so. In einem zivilisierten westlichen Land kann das aber nicht sein. Das kann man so nicht hinnehmen.
Stichwort Femizid: Dieser Begriff ist relativ neu. Häufig ist in solchen Fällen in den Medien von Familiendrama oder einer Tragödie die Rede. Sind solche Wörter zu verharmlosend?
Es gibt da eine Tendenz zur Verharmlosung. Es muss klar sein: Eine Familientragödie ist es, wenn der Vater oder die Mutter an Krebs sterben. Aber es ist keine Tragödie, wenn der Partner den anderen Partner ermordet, das ist ein Verbrechen und muss als solches auch klar benannt werden. Ich habe den Eindruck, viele scheuen sich, den Begriff Femizid zu verwenden.
Video: Frauen in Deutschland nicht genug vor Gewalt geschützt
Woran liegt das?
Das kann ich nicht genau sagen. Vielleicht, weil sich dadurch unbequeme Anschlussfragen stellen. Es wird ja immer wieder auch diskutiert, ob Femizide einen kulturellen Hintergrund haben.
Wie sehen Sie das? Haben sie einen kulturellen Hintergrund?
Es wäre zu einfach, dieses Gesamtphänomen nur auf kulturelle Hintergründe zu schieben. Oft sind es andere Beweggründe, etwa Machtdominanzstreben im Rahmen einer Partnerschaft, die das Motiv bilden. Gründlich erforscht ist der Femizid in Deutschland nicht.
Wo können Betroffene Hilfe suchen?
Es gibt Frauenhäuser, sehr viele Beratungsstellen, etwa den Sozialdienst katholischer Frauen, und natürlich auch wir beim Weißen Ring bieten Beratung an, auch über das Opfertelefon, bei dem man rund um die Uhr Hilfe bekommen kann. Gerade im Bereich der häuslichen Gewalt gibt es viele Angebote. Am Landgericht Fulda pilotieren wir gerade ein Projekt, bei dem Gerichtshelfer frühzeitig Kontakt zu den Betroffenen aufnehmen und Gespräche anbieten. Die ersten Erfahrungen damit sind sehr gut. Hier sehe ich auch eine Chance, der Problematik zu begegnen, dass Opfer, die mit dem Täter verlobt oder verheiratet sind, nach einer etwaigen Versöhnung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.
Kommt das häufig vor?
Genau beziffern kann ich es nicht. Aber das ist in der Praxis schon eine Fallgestaltung, die nicht selten ist. In so einem Fall müssen die Staatsanwaltschaften oft sehenden Auges das Verfahren einstellen, wenn wir nicht schon eine richterliche Vernehmung haben. Die vorangegangenen polizeilichen Vernehmungen können dann nicht verwertet werden.
Das Interview mit Patrick Liesching ist im Oktober in der Printausgabe der Fuldaer Zeitung erscheinen. Zum Tag gegen Gewalt an Frauen veröffentlicht die Redaktion den Text auch Online.