„Migration muss gesteuert und begrenzt werden“ - Hessens Ministerpräsident Rhein kritisiert den Bund
Mit einer Klausurtagung in Fulda ist die CDU in den Landtagswahlkampf gestartet. Im Interview mit der Fuldaer Zeitung spricht Ministerpräsident und CDU-Spitzenmann Boris Rhein über die Flüchtlingsfrage, seine Ansichten zur Energiekrise - und über Fulda.
Sie sind nun seit zehn Monaten Ministerpräsident dieses Landes. Und Sie haben einen Vorgänger, der große Fußstapfen hinterlassen hat. Ruft Volker Bouffier Sie gelegentlich an und sagt: „Boris, das musst du so machen.“?
Das ist nicht sein Stil. Wir haben ein sehr enges Verhältnis. Aber Volker Bouffier würde mir keine Ratschläge erteilen, ohne dass ich ihn darum bitte. Und das tue ich, wenn es nötig ist. Es ist hilfreich, auf einen so reichen Fundus an Erfahrung und Wissen zurückgreifen zu können.
Der Stabwechsel in der Staatskanzlei lief geräusch- und reibungslos. Wie vertrauensvoll ist Ihre Zusammenarbeit mit den Grünen?
Wir haben eine vertrauensvolle, freundschaftliche Zusammenarbeit. Eine Stärke dieser Koalition in den vergangenen neun Jahren ist immer gewesen, dass wir miteinander diskutieren, hinter verschlossenen Türen manchmal auch streiten, uns dann aber einigen und die Beschlüsse gemeinsam tragen.
In Umfragen liegen Sie zehn Prozentpunkte vor den Grünen. Geht man den Wahlkampf damit locker an?
Eine Umfrage ist nur eine Momentaufnahme. Ich rate zu Demut. Hochmut kommt vor dem Fall. Man darf sich nicht zurücklehnen, sondern muss arbeiten, arbeiten, arbeiten.

Migration und Energie: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein kritisiert den Bund
Ihre Partei ist am Wochenende mit ihrer Klausur in Fulda in den Wahlkampf gestartet. Muss sich die Hessen-CDU neu erfinden?
Die CDU Hessen regiert dieses Land seit 1999. Wir haben die Rahmenbedingungen gesetzt, um Hessen zu einem der drei Spitzenländer in Deutschland zu machen. Heute rangiert Hessen auf Augenhöhe mit Bayern und Baden-Württemberg. Die hessische CDU muss sich nicht neu erfinden. Aber wir müssen uns natürlich immer wieder den Themen widmen, die den Menschen neu auf den Nägeln brennen. Das haben wir gerade bei unserer Klausur getan. Wir stehen für Herz, Härte, Hightech. Unser Herz schlägt für Familien und Alleinerziehende, denen wir ein neues „Hessengeld“ für die ersten eigenen vier Wände zahlen wollen. Die Härte richten wir gegen Straftäter wie Kinderschänder und Frauenschläger. Und mit einer Hightech-Energieforschung ohne Scheuklappen wollen wir die langfristigen Chancen der lasergetriebenen Kernfusion für echten Klimaschutz nutzen.
Was meinen Sie mit den Themen, die den Menschen auf den Nägeln brennen, denn noch konkret?
Eine Krise jagt die andere. Zwar haben wir die Corona-Pandemie größtenteils überwunden, aber Folgen gibt es nach wie vor. Eine Frage ist, wie wir uns als Gesellschaft resilient machen. Dann sind wir wegen des Ukraine-Krieges mitten in einer Energiekrise. Deswegen war es sehr wichtig für uns, Antworten zu finden auf die Fragen, die die Leute umtreiben: Kann ich meine Rechnungen zahlen? Kann ich meinen Betrieb weiterführen? Wir haben mit dem Bund sehr lange um die Gas- und Strompreisbremse gerungen. Man darf nicht vergessen: Der Bund wollte die Gas- und Strompreisbremse nicht! Die Länder wollten sie! Der Bund wollte die Gasumlage. Wenn die noch zu den hohen Gaspreisen hinzugekommen wäre, dann weiß ich nicht, wie die Menschen das hätten bewältigen sollen. Also haben wir die Gas- und Strompreisbremse mit dem Bund verhandelt und in Hessen durch ein eigenes Programm flankiert: „Hessen steht zusammen“ ist ein milliardenschweres Hilfsprogramm, mit dem wir Themen aufgreifen, die der Bund nicht erledigt hat, beispielsweise ein Sonderprogramm für Sport und Sportstätten. Und auch das Thema Migration treibt die Menschen sehr stark um.
Name | Boris Rhein |
Alter | 51 |
Partei | CDU |
Position/Amt | Hessischer Ministerpräsident |
Zur Flüchtlingskrise hat der Vorsitzende der Fuldaer Kreisbürgermeister, der Neuhofer Rathauschef Heiko Stolz, gewarnt, seine Kollegen und er wüssten nicht mehr, was sie tun sollen. Stolz hat auch an ein Plakat der Fuldaer CDU aus den 1990er Jahren erinnert: „Das Boot ist voll.“ Inzwischen müsste dieses Boot ja schon dreimal gesunken sein...
Ich teile die Sorgen von Herrn Stolz. Das Thema beschäftigt uns mittlerweile Tag und Nacht. Vor Ort werden größte Leistungen vollbracht, aber wir sind mancherorts über die Grenze der Belastungsfähigkeit hinaus. Allerdings habe ich das Gefühl, dass das in Berlin überhaupt nicht wahrgenommen wird. Dabei müsste der Bund handeln, etwa in der Frage der Finanzen. Was der Bund zahlt, reicht bei Weitem nicht aus. In diesem Jahr bringen die Länder rund 16 Milliarden Euro auf, der Bund dagegen nur rund drei Milliarden. Unser Ziel ist eine 50:50-Aufteilung der Kosten.
Das Geld ist das eine. Das andere sind die Empfindungen der Menschen. Da ist ein Punkt erreicht, wo es nicht mehr geht. Wie pointiert wollen Sie das den Hessen im Wahlkampf sagen?
Ich möchte keinen Flüchtlingswahlkampf machen. Aber wir müssen das Thema pointiert behandeln, weil es längst zu einem Regierungsthema geworden ist. Das Wichtigste ist, dass Migration gesteuert und begrenzt wird. Der Schlüssel dafür liegt ausschließlich in Berlin. Doch dieser Schlüssel wird nicht in die Hand genommen. Nur der Bund kann dafür sorgen, dass gemeinsam mit den europäischen Partnern eine Grenzinfrastruktur geschaffen wird. Oder dafür, dass die Grenzschutzagentur Frontex endlich zu einer richtigen Grenzpolizei ausgebaut wird. Für die Rückführungen sind zwar wir Bundesländer zuständig, aber wenn die Herkunftsländer – wozu sie völkerrechtlich verpflichtet sind – ihre Bürger nicht zurücknehmen, dann haben wir keine Möglichkeiten, sie zurückzuführen. Es ist also auch da die Aufgabe des Bundes, für die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer zu sorgen.
Inwieweit sehen Sie denn Chancen auf eine gerechtere Verteilung der Lasten in Europa?
Ich bin ein großer Anhänger Europas und der Europäischen Union. Doch ich würde mich sehr freuen, wenn sich die EU nicht zeitraubend mit einem fragwürdigen Verbrenner-Aus befasst hätte, sondern sich um die aktuell drängenderen Fragen kümmern würde. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat vor gut drei Wochen ein kluges Positionspapier vorgelegt mit dem Titel „Für Humanität und Ordnung in der Asyl- und Flüchtlingspolitik“. Die Lösungsansätze sind genau die richtigen. Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Asylsystem. Wir brauchen eine solidarische Lastenteilung. Wir brauchen aber auch eine Nivellierung der sozialen Leistungen für Flüchtlinge. Wenn man in Deutschland doppelt so viel Geld bekommt wie in Polen, dann ist natürlich der Anreiz hoch, nach Deutschland zu gehen. Das muss jetzt Vorrang haben, und nicht Themen wie Heizungen oder Verbrenner oder andere Fragen, die die Menschen eher drangsalieren als ihnen zu helfen.

Es könnte sein, dass die Union in Berlin schneller wieder an die Macht kommt als sie denkt. Die Grünen zerlegen sich ja gerade. Beobachtet man das in Hessen eigentlich entspannt?
Ich finde es beunruhigend, was in Berlin passiert. Nehmen Sie die Energiekrise: In wenigen Tagen wird die verlängerte Laufzeit von Kernkraftwerken in Deutschland einfach beendet. Eine Versorgungsmöglichkeit für zehn Millionen Haushalte wird einfach abgeschaltet. Was bedeutet das für den nächsten Winter? Großes Fragezeichen. Ich höre dazu gar nichts aus Berlin. Ich sehe keine Strategie für die Energieversorgung. Ich sage nicht, dass wir die Kernkraftwerke dauerhaft wieder nutzen sollten. Aber wir sind in einer Situation, in der wir alles nehmen müssen, was wir bekommen können.
Sie hätten also neue Brennelemente gekauft?
Ich wäre sehr dafür gewesen, diese Frage technologieoffen zu diskutieren und die Ingenieure sprechen zu lassen – und nicht vor allem die Ideologen. Und jetzt steht auch noch das Aus für Öl- und Gasheizungen im Raum. Das überfordert die Menschen. Wir alle wollen so schnell wie möglich die Klimaziele erreichen. Aber wir sind jetzt in einer Sondersituation. Wir haben eine Energiekrise, mit der wir alle nicht gerechnet haben. Da kann man doch den Koalitionsvertrag nicht einfach stur abarbeiten. Insbesondere beim Heizen wissen die Menschen auch nach dem zähen Kaugummi-Koalitionsausschuss in Berlin noch immer nicht konkret, mit was sie rechnen müssen. Es ist keine Frage, dass wir irgendwann aus Gas- und Ölheizungen aussteigen. Die Frage ist, wann – und wie man das vorbereitet und mit welchen Übergangsfristen. Wenn die Pläne so umgesetzt würden, wie sie von Anfang an vorlagen, dann stünden Millionen Menschen, die für ihr Alter vorgesorgt und dabei auf die eigene Immobilie gesetzt haben, im Regen.
Die Bundespolitik dominiert Ihren Wahlkampfauftakt. Sind die hessischen Themen aus dem Blick geraten?
Ganz im Gegenteil. Wir haben sehr vieles vorangebracht. Wir haben beispielsweise die hessische Beamtenbesoldung repariert und in der Justiz ein riesiges Stellenprogramm aufgelegt, das es so in Hessen noch nie gab. Ähnliches bei der Polizei: 2025 werden wir 16 000 Polizisten haben – so viele wie nie zuvor. Außerdem haben wir ein großes Klimaschutzprogramm initiiert, ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt. Für die Schulen haben wir zusätzliche 4000 Stellen im Haushalt geschaffen, um den Ganztagsausbau in Hessen voranzubringen. Und, nicht zu vergessen: Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, die Besoldung der Grundschullehrer mit der der anderen Lehrerinnen und Lehrer in Einklang zu bringen. Für mich ist das eine Frage der Anerkennung für die Leistung, die in den Grundschulen erbracht wird. Dort werden die Wurzeln für jede Bildungskarriere gelegt.
Sie sind mit dem Auto nach Fulda gekommen und am Monte Kali in Neuhof vorbeigefahren. Sie kennen die Problematik um die geplante Haldenabdeckung?
Ja, und ich habe für die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger nicht nur Verständnis, ich bin beeindruckt, dass sich innerhalb so weniger Tage so viele zusammengeschlossen haben. Das ist gelebte Demokratie, und das registrieren wir natürlich auch in Wiesbaden. Jetzt werden alle Alternativen geprüft.

Würden Sie gerne in Neuhof leben wollen?
Ich lebe in Frankfurt. Und die Frankfurter haben den Flughafen. Fast jeder, der in der Nähe eines wichtigen Wirtschaftsstandorts lebt, hat irgendeine Belastung zu tragen. K+S ist der größte Industriebetrieb im südlichen Landkreis Fulda, mit 750 Arbeitsplätzen ein wichtiger Arbeitgeber und Wohlstandsgarant. Deshalb müssen die Interessen der Bürger ebenso berücksichtigt werden wie die der Natur und die des Unternehmens.
Am 27. April wird in Fulda die Landesgartenschau eröffnet. Hat dies für die Region und das Land eine hohe Bedeutung oder sollte man darüber nachdenken, wie man in Zukunft mit solchen Großereignissen anders umgeht?
Ich bin ein großer Fan von Landesgartenschauen – wenn sie gut gemacht sind und die Region auch noch davon profitiert, nachdem die Besucher abgereist sind. Ich habe mit Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld schon vor langer Zeit darüber gesprochen und mir die Pläne zeigen lassen, und ich bin davon beeindruckt. Für unser Land ist das ein wichtiges Ereignis, und wenn jemand so etwas sehr gut organisieren kann, dann ist es die Stadt Fulda.
Das komplette Interview mit Hessens Ministerpräsidenten lesen Sie in der Print-Ausgabe der Fuldaer Zeitung von Donnerstag (30. März) oder im E-Paper. Online erscheint eine gekürzte Fassung. Die Fragen stellten Michael Tillmann, Christof Völlinger, Andreas Ungermann und Hanns Szczepanek.