Hönscher betreut in seiner eigenen Praxis über 3500 Patienten. Je nach Dringlichkeit warteten diese zwischen zwei und vier Wochen auf einen Termin. Akute Fälle versuche er immer spätestens am Folgetag zu behandeln. „Unsere Schultern sind in den letzten Wochen nicht breiter geworden“, bemerkt er. (Lesen Sie hier: Bundestag debattiert über Corona-Impfpflicht - Ärzte in der Region sind geteilter Meinung)
Der Hausarzt führte seine Patientengespräche dieser Tage selbst trotz Erkrankung telefonisch von zu Hause aus. „Seit zwei Jahren lebe ich nur, um zu arbeiten“, sagt er. Dennoch hält er seine Kollegen dazu an, nach dem Motto „Augen zu und durch“ weitere Patienten aufzunehmen, damit möglichst viele von diesen unterkämen.
Thomas Sitte betreut in der Praxis seiner Frau hauptsächlich Patienten in Pflegeeinrichtungen. „Die Belastung für das medizinische Fachpersonal wird immer höher, da zu wenig Hausärzte vorhanden sind“, berichtet der Palliativmediziner. Dies betreffe vor allem neue Patienten in den entsprechenden Einrichtungen, die von ihrem vorherigen Hausarzt nicht weiter betreut werden sowie die Versorgung „nach Feierabend“. „Abends, nachts, an Wochenenden und Feiertagen erreicht man kaum noch einen Hausarzt, der die Patienten versorgen kann“, so Sitte.
Auch in der Praxis seiner Frau übersteige die Nachfrage das Angebot. „Es entstehen viele Probleme, wenn ein Hausarzt wegfällt. Jahrzehntelanges Wissen über einen Patienten kann man als Vertretungsarzt nicht so eben einer Akte entnehmen.“ Seine Frau und er seien beide in einem gewissen Alter, in welchem man bei neuen Patienten überlege, wie lange man diese überhaupt noch betreuen könne. „Das wird alles noch viel schlimmer werden“, prophezeit Sitte. Solange keine attraktiven Rahmenbedingungen für den Beruf geschaffen würden, werde sich der Versorgungsengpass weiter verschlimmern.
Bereits jetzt käme es durchaus vor, dass Patientinnen und Patienten im Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) davon berichten, dass sie keinen Hausarzt haben und deshalb in die Bereitschaftsdienstzentrale kommen. „Das entspricht natürlich nicht dem eigentlichen Sinn des ÄBD, denn dieser ist kein Hausarztersatz, sondern für die Versorgung von Patientinnen und Patienten vorgesehen, die außerhalb der Praxisöffnungszeiten medizinische Hilfe benötigen“, sagt Alexander Kowalski, Kommunikationsreferent bei der KV. (von Sophie Brosch und Andreas Ungermann)