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25-Jähriger aus der Rhön kämpft in der Ukraine gegen Putin - und sieht dem Tod ins Gesicht

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Von: Daniela Petersen

Als Putin die Ukraine angegriffen hat, wollte der 25-jährige Fabian Emeling dem Land helfen und meldete sich freiwillig für die Front.
Als Putin die Ukraine angegriffen hat, wollte der 25-jährige Fabian Emeling dem Land helfen und meldete sich freiwillig für die Front. © privat

Fabian Emeling aus Gersfeld im Landkreis Fulda ist seit einigen Monaten Legionär an der Front und verteidigt die Ukraine. In dieser Zeit wurde er verletzt und hat Kameraden sterben sehen. 

Gersfeld/Kiew - Als Fabian Emeling um sein Leben kämpft, blickt er in blaue Augen – die Augen eines Russen, des Feindes, wie der Gersfelder aus dem Landkreis Fulda sagt. So nah ist er dran. Diese Augen wird er nie vergessen. Und auch nicht das Symbol, das ihm kurz darauf auffällt: ein Totenkopf, weiße Schrift mit rot, PMC Wagner Group.

Es ist eine russische Söldnergruppe, gut ausgebildet. „Das sind Einheiten, die wissen, was sie tun“, erklärt der 25-Jährige aus der Rhön in Hessen. Ob er in solchen Momenten Todesangst hatte? Er zögert mit der Antwort und sagt dann: „Ich habe nicht viel nachgedacht. Man macht einfach das, wofür man ausgebildet wurde.“ 

Fulda: 25-Jähriger kämpft in der Ukraine gegen Putin - und sieht Tod ins Gesicht

Seine Erzählung wirkt glaubhaft, ob sie authentisch ist, das lässt sich nicht in allen Einzelheiten überprüfen. Aber er schickt der Redaktion seinen Live-Standort in der Ukraine und zeigt über Facetime den Blick aus dem Hotelfenster. Dort sind hohe Gebäude zu sehen, ein paar karge Äste, ein Schriftzug mit kyrillischen Buchstaben.

Emeling hat gerade einige freie Tage und hält sich im Hotel einer Großstadt der Ukraine auf. Er stammt aus Gersfeld. Zwei Jahre war er bei der Bundeswehr – Hauptgefreiter bei einem Panzergrenadierbataillon. Einen Auslandseinsatz hatte er nie gehabt. Nach seiner Zeit als Soldat machte er eine Lehre als Restaurantfachmann im „Kaufmann’s“ in Gersfeld. Die Lehre bricht er ab.

Denn als Putin die Ukraine überfällt, geht ihm ein Gedanke nicht mehr aus dem Sinn: Er will in die Ukraine, um zu helfen – und das, obwohl er keinerlei direkten Bezug zu diesem Land oder den Menschen dort hat. „Mir gingen die Bilder nicht mehr aus dem Kopf, dass Kinder aus ihrer Heimat fliehen müssen, Städte zerbombt werden.“

„Jeden Tag, den ich in Deutschland geblieben bin, ging es mir schlechter. Ich hatte einen inneren Drang, was zu tun.“ Dieser Drang führt ihn am 14. April - knapp zwei Monate nachdem der Krieg in Europa begonnen hatte - an die polnisch-ukrainische Grenze, wo er sich für die „International legion of territorial defense of Ukraine“ meldet.

Hintergrund: Gruppe Wagner

Die Gruppe Wagner ist eine russische Söldnergruppe, die schon im syrischen Bürgerkrieg zum Einsatz kam. Viele der Kämpfer sind gut ausgebildet und ehemalige Militärangehörige. Auch russische Strafgefangene und ausländische Söldner soll die Gruppe inzwischen in ihren Reihen haben. Der Bundesnachrichtendienst hat Hinweise darauf, dass die Wagner-Gruppe auch Folter und Hinrichtungen begangen hat. 

Das ist eine Kampftruppe, in der ausländische Freiwillige aus der ganzen Welt für die Ukraine kämpfen. Amerikaner, Briten, Thailänder, Japaner, Brasilianer, Spanier, Schweizer, Österreicher und eben auch Deutsche wie Fabian Emeling. Dieser Drang führt ihn genau hierher – ins Blickfeld dieses blauäugigen Russen in einem Dorf im Gebiet Luhansk.

Es ist an einem Mittag im November, als Emeling und seine Truppe beschossen werden und er gerade so mit dem Leben davonkommt. „Wir waren in einem Haus, als die erste Granate flog. Daraufhin zogen wir uns hinter das Gebäude zurück. Dort kamen wir aber nicht weg, weil hinter uns nur ein offenes Feld war, das wäre unser Todesurteil gewesen“, sagt er.

Das Foto zeigt Fabian Emeling mit seinem Team und dem besten Freund „Frenchy“, einen Tag bevor der Franzose im Krieg getötet wird.
Das Foto zeigt Fabian Emeling mit seinem Team und dem besten Freund „Frenchy“, einen Tag bevor der Franzose im Krieg getötet wird. © privat

Panzerfäuste, Granaten, Schüsse aus Maschinengewehren: Die Wagner-Gruppe feuert alles ab. Auch Drohnen kommen zum Einsatz. Einer der Legionäre wird am Bein verletzt. „Wir wollten ihn ins Haus bringen, um ihn zu verarzten. Ein Amerikaner ging vor, dann gab es einen Knall, und wir haben nichts mehr von ihm gehört. Es stellte sich letztlich heraus, dass er am Kopf getroffen wurde.“ 

Noch zwei weitere Kameraden des Gersfelders sterben an diesem Tag. Einer direkt vor seinen Augen. Alle anderen werden verletzt, auch Fabian Emeling. Ein Granatsplitter steckt in seiner rechten Schulter. Aber Emeling kommt raus, nachdem eine Drohne der Ukraine die Gegner ausspäht. Als die Russen ihre Verletzten wegtragen, bekommen die Legionäre Unterstützung und können abgelöst werden.

So muss es in der Hölle sein.

Fabian Emeling

Auf dem Rückweg zum Stützpunkt sprechen sie darüber, wie viel Munition sie noch gehabt hätten. „Bei mir war gerade einmal ein Magazin mit 15 Schuss übrig, auch die anderen hatten kaum noch was“, erinnert sich der 25-Jährige. In der Nacht wird Emeling notoperiert, zwei Monate lang muss er seine Schulter schonen. Fotos, die der Redaktion vorliegen, zeigen die Verletzung. 

Als er dann das nächste Mal an die Front geschickt wird, kommt es wieder zu einer brenzligen Situation: Eine Granate schlägt keine zehn Meter vor ihm ein und tötet seinen besten Freund, der direkt vor ihm läuft. Der 21-jährige Franzose, den alle nur „Frenchy“ nannten, sei mehr als ein Freund gewesen.

Nadine Zimmer, die Freundin von Fabian Emeling, ist vor einigen Wochen zu ihm gereist. Sie wollte in der Medical-Unit helfen, hat sich dann aber dagegen entschieden und ist wieder zurück nach Deutschland.
Nadine Zimmer, die Freundin von Fabian Emeling, ist vor einigen Wochen zu ihm gereist. Sie wollte in der Medical-Unit helfen, hat sich dann aber dagegen entschieden und ist wieder zurück nach Deutschland. © privat

„Wir lernten uns schon am ersten Tag an der Grenze kennen. Er war für mich wie Familie, wie ein Bruder“, betont Emeling. Als er das am Telefon erzählt, wirkt er gefasst. Dennoch spürt man, dass es in ihm arbeitet, dass diese ständige Gefahr und Konfrontation mit dem Tod schwer sind. Dennoch betont er, dass sein Entschluss, in der Ukraine zu kämpfen, richtig gewesen sei. 

Fabians Mutter Tanja Djabbari aus Gersfeld, wo ganz in der Nähe mit Khrystyna Uschytsktska ein geflüchteter Ukraine-Kinderstar Schutz fand, würde sich wünschen, er hätte anders entschieden. „Ich bin einerseits stolz auf ihn, dass er so viel Mut hat, aber meine größte Hoffnung ist, dass er anruft und sagt: ,Ich komme zurück.‘“ Inzwischen telefonieren die beiden fast jeden Tag. 

Mein Einsatz ist erst vorbei, wenn der Krieg vorbei ist.

Fabian Emeling

Am Anfang war das nicht so. Denn die 43-Jährige war ziemlich verärgert, weil ihr Sohn kurz vor seiner Abreise lediglich einen Zettel schrieb. „Sinngemäß stand da: Mum, sei nicht sauer, ich muss das machen. Als er dann an der Grenze stand, rief er an“, sagt sie. Natürlich habe sie daraufhin versucht, ihn zur Rückkehr zu bewegen. „Aber er ließ sich nicht davon abbringen.“

Nur seinen besten Freund Demir habe er damals in die Pläne eingeweiht und ihm einen Teil seiner Sachen zur Aufbewahrung überlassen. „Als ich mit einer Wanne mit Elektrosachen vor ihm stand, fragte er, was los ist. Das war dann ein langes Gespräch über meine Beweggründe. Aber im Endeffekt: Er ist mein Freund. Er unterstützt mich“, sagt Emeling.

Unterstützung erhält er auch von seiner Freundin. Der Gersfelder lernt Nadine Zimmer kurz vor seinem Einsatz im Internet kennen. Auch als er an die Front geht, bleibt der Kontakt bestehen. Mehr noch: Die beiden werden im Januar dieses Jahres ein Paar, und die 24-jährige Fuldaerin beschließt, ebenfalls in die Ukraine zu gehen.

Hintergrund: Legionäre und Gruppe Wagner

30.000 freiwilige Legionäre  aus aller Welt kämpfen nach Angaben des Außenministeriums in Kiew für die Ukraine (Stand: September 2022). Wie viele Freiwillige in der Legion kämpfen, kann aber nicht unabhängig geprüft werden. Die „International legion of territorial defense of Ukraine“ wurde Ende Februar 2022 gegründet. Die Besoldung entspricht der üblichen Vergütung für ukrainische Streitkräfte.

Die Deutsche Presse-Agentur schreibt am 11. März 2022 mit Verweis auf ukrainische Regierungskreise, dass mehrere Hundert deutsche Staatsbürger in die Ukraine gereist seien, um für das Land zu kämpfen. Insgesamt ist von 20 000 Freiwilligen aus 52 Ländern die Rede.

Wer Legionär werden möchte, der muss sich zunächst an die Botschaft der Ukraine wenden und auch Kampferfahrung mitbringen. Das sei vor einigen Monaten noch anders gewesen, berichtet Fabian Emeling: „Ich habe mich an der polnisch-ukrainischen Grenze für die Legion gemeldet. Dann wurde ein Kontaktmann angerufen, der mich abgeholt und zu einem bestimmten Ort gebracht hat.“ Bevor es an die Front ging, habe er mehrere Bewerbungsgespräche durchlaufen und dabei erklärt, weshalb er für die Ukraine kämpfen möchte. 

Einige andere Freiwillige seien nicht angenommen worden. „Nach dem letzten Interview ging es zum Einkleiden, wo ich die Uniform bekommen habe. Außerdem musste ich ein zweieinhalbwöchiges Trainingslager absolvieren.“ Neben Waffen- und Fahrzeugkunde habe er in dieser Zeit gelernt, wie russische Fahrzeuge aussehen. „Wir hatten auch ein medizinisches Training, was wichtig war“, sagt Emeling.

„Ich wollte in der Medical-Unit anfangen“, sagt Zimmer, die zuvor als medizinische Fachangestellte gearbeitet hatte. Ende Januar reist sie nach Lwiw, wo die beiden einige Tage verbringen. „Zu dem Zeitpunkt hat sich die Lage an der Front zugespitzt, es gab ständig Luftalarm, und meine Eltern haben sich große Sorgen gemacht.“

„Ich hatte ihnen versprochen, dass ich zurückkomme, wenn es grenzwertig wird.“ Das tut die 24-Jährige dann auch, nach einer Woche reist sie zurück. Auch sie würde sich wünschen, dass ihr Freund bald nach Hause kommt. Angst sei ein ständiger Begleiter. „Es war einige Male knapp.“

Erst kürzlich kommt es erneut zu einer Situation, in der der 25-Jährige einfach nur Glück hat: „Ich habe vor ein paar Tagen die Nachricht bekommen, dass eine Rakete in das Haus eingeschlagen ist, in dem mein Team war“, sagt Emeling. Fast alle seien gestorben. Der Teamleiter wurde schwer verletzt.

Video: Spezialbus bringt Verletzte in der Ukraine von der Front in die Klinik

Emeling sei nur deshalb nicht in diesem Haus gewesen, weil er nach dem Tod seines Freundes beurlaubt wurde. Dreimal sei er nun mit dem Leben davon gekommen. Die Rufe seiner Familie, nach Hause zu kommen werden immer lauter. Das möchte der 25-Jährige in einigen Tagen auch tun.

Er möchte in der Heimat bei Fulda „vergessen“ und runterkommen“. Sein Vertrag mit der Legionärseinheit in der Ukraine laufe in der Zeit des Besches Zuhause weiter. Denn eines ist für Fabian Emeling nach seinen Wort klar: „Ich komme zurück. Mein Einsatz ist erst vorbei, wenn der Krieg vorbei ist.“ 

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