Affäre um Frankfurter Oberstaatsanwalt zieht Kreise - 53-Jähriger ermittelte auch gegen das Klinikum Fulda

Seit fast zwei Wochen sitzt ein Oberstaatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt in Untersuchungshaft – wegen krummer Geschäfte mit Gutachteraufträgen in Millionenhöhe. Bis zuletzt hatte der Beamte noch gegen einen früheren Chefarzt sowie den Vorstandschef des Klinikums Fulda, Dr. Thomas Menzel, wegen falscher Abrechnungen ermittelt.
- Der Frankfurter Staatsanwalt, der zuletzt gegen das Klinikum Fulda ermittelte, sitzt jetzt selbst in U-Haft
- Dem 53-Jährigen werden krumme Geschäfte in Millionenhöhe und Bestechung vorgeworfen
- Klinikum-Vorstand Thomas Menzel und Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld wollen sich wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern
- Das Justizministerium will aus dem Skandal Konsequenzen ziehen
Update, 6. August, 18.30 Uhr: Die Korruptionsaffäre in der hessischen Justiz zieht weitere Kreise. Nach Angaben der Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Nadja Niesen, „wird aktuell gegen fünf Beschuldigte ermittelt“. Außerdem sagte sie am Donnerstag, „dass nicht nur ein Unternehmen involviert ist“.
.Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) sprach im Rechtsausschuss im Hessischen Landtag in Wiesbaden von einem „beispiellosen Fall“, bei dem der beschuldigte Oberstaatsanwalt „die Seiten gewechselt“ habe. „Er hat seine Fachkenntnisse aus dem Bereich der professionellen Korruptionsbekämpfung und Korruptionsaufklärung sowie der internen Kontrollmechanismen genutzt, um eine Unrechtsvereinbarung zu treffen und seine Taten geschickt zu verschleiern.“
Kühne-Hörmann kündigte an, dass die Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht sobald wie möglich geschlossen wird. Der beschuldigte Oberstaatsanwalt leitete diese Stelle, die sich unter anderem mit der Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen befasste. „Eine Arbeitsgruppe aus Fachleuten wird einen Vorschlag erarbeiten, wie die komplexen medizinstrafrechtlichen Verfahren in Hessen künftig geführt werden“, erklärte die Ministerin.
Justizskandal schwappt nach Fulda: Frankfurter Oberstaatsanwalt sitzt in U-Haft
Ursprungsmeldung vom 5. August: Gleich vorweg: Sowohl der Klinikums-Vorstand Menzel als auch der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld (CDU), wollen die Korruptionsaffäre um den Frankfurter Oberstaatsanwalt „vor dem Hintergrund der laufenden Ermittlungen“ nicht kommentieren. Dennoch dürften beide nun ganz genau auf die weiteren Entwicklungen in Frankfurt schauen.
Gegen den 53-jährigen Oberstaatsanwalt, der seit 2002 bei der Generalstaatsanwaltschaft arbeitet und dort die Hessische Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht leitet, wird bereits seit vergangenem Jahr ermittelt. Ihm und einem 54 Jahre alten Unternehmer wirft die Staatsanwaltschaft Frankfurt gewerbsmäßige Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung vor. Beide wurden Ende Juli festgenommen und sitzen jetzt in Untersuchungshaft.
Wie Oberstaatsanwältin Nadja Niesen, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Frankfurt, berichtet, hatte der Unternehmer auf Betreiben des Beamten 2005 eine Gesellschaft gegründet, die Gutachten für Justizbehörden erstellt. Das Unternehmen habe in den vergangenen zehn Jahren durch die Gutachter-Aufträge des Oberstaatsanwalts einen Umsatz in Höhe von mehr als 12,5 Millionen Euro erzielt – das sind rund 90 Prozent der Gesamteinnahmen. „Gegen den Beamten besteht der Verdacht, dem begünstigten Unternehmen zu Gutachtenaufträgen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren verholfen zu haben“, heißt es in einer Pressemitteilung der ermittelnden Staatsanwaltschaft. Der Oberstaatsanwalt habe als Gegenleistung einen Teil der Erlöse erhalten: von August 2015 bis Juli 2020 sollen das mehr als 240 000 Euro gewesen sein.
Das hessische und das rheinland-pfälzische Landeskriminalamt sowie das Zollfahndungsamt und die Staatsanwaltschaft Frankfurt haben insgesamt zehn Objekte durchsucht, darunter die Wohnungen der beiden Beschuldigten und den Arbeitsplatz des Beamten auf der Zeil in Frankfurt. Bargeld im vierstelligen Bereich, Unterlagen und elektronische Datenträger wurden sichergestellt. Die Ermittlungen gegen die beiden Männer waren nach einer Strafanzeige aus dem persönlichen Umfeld des Staatsanwalts ins Rollen gekommen.
Die Vorwürfe
Viele Krankenhausärzte – darunter 23 Chefärzte des Klinikums – besitzen eine Ermächtigung, ambulante Leistungen zu erbringen und mit den Krankenkassen abzurechnen. Ein ermächtigter Arzt muss seine Leistungen grundsätzlich persönlich erbringen. Der von der Staatsanwaltschaft beschuldigte ehemalige Chefarzt soll aber verbotenerweise – über die zulässige Vertretung hinaus – regelhaft Ärzte des Klinikums zur Erbringung von Ermächtigungsleistungen eingesetzt haben.
Dem Vorstandschef Menzel wird vorgeworfen, er habe durch ungenügende Kontrollen Beihilfe zum Betrug geleistet. Das Honorar für ambulante Leistungen wird zwischen Chefarzt und Klinikum geteilt. Langjährige Chefärzte rechnen selbst mit den Kassen ab und geben einen Teil ans Klinikum ab. Bei den zuletzt berufenen Chefärzten rechnet das Klinikum die Leistung ab und gibt den Chefärzten einen Teil. / vn
Welche Folgen die Festnahme für die Verfahren hat, an denen der Beamte beteiligt war und ob dessen Umtriebe Auswirkungen auf die langwierigen Ermittlungen zum Klinikum hatten, ist ungeklärt. Die Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft Niesen sagt auf Anfrage: „Ob frühere Verfahren im Zuge der nun geführten Ermittlungen neu überprüft werden, vermag ich zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht zu sagen.“ Damit ist offen, wie es mit den Ermittlungen zum Fuldaer Klinikum weitergeht. Der Oberstaatsanwalt hatte einen früheren Chefarzt beschuldigt, der Kassenärztlichen Vereinigung sogenannte Ermächtigungsleistungen in Rechnung gestellt zu haben, obwohl diese Leistungen nicht von ihm selbst, sondern von anderen Ärzten des Krankenhauses erbracht worden sein sollen.

Ermittlungen gegen Oberstaatsanwalt: Landrat Stolz nennt Vorwürfe gravierend
Während der Aufsichtsratsvorsitzende und der Vorstandschef sich nicht äußern wollen, schweigt hingegen Thorsten Stolz, Landrat des Main-Kinzig-Kreises, nicht. Denn der Oberstaatsanwalt hatte auch ein kürzlich eingestelltes Ermittlungsverfahren gegen die Main-Kinzig-Kliniken geleitet und in diesem Zusammenhang ebenfalls externe Gutachten beauftragt. „Die Vorwürfe sind so gravierend und werfen ein ganz anderes Licht auf die Arbeit und die Motivation des Oberstaatsanwalts und seine Ermittlungen gegen Krankenhäuser“, sagt Stolz. „Zentrale Frage ist mit Sicherheit auch: In welchem Umfang haben die bisher aufgezeigten Verstrickungen des Oberstaatsanwalts seine Arbeit beeinflusst?“ Die Vorgänge ließen die Aktivitäten des Oberstaatsanwalts in völlig neuem Licht erscheinen.
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