Im Zweifel für den Angeklagten: Landgericht Fulda spricht 26-Jährigen frei

Vor fast acht Jahren, im November 2012, soll ein damals 18-Jähriger aus Fulda eine 15-Jährige in einem Jugendklub in Wunstorf bei Hannover vergewaltigt haben. Seitdem geht der Fall durch alle Instanzen. Jetzt hat das Landgericht Fulda ein Urteil gefällt.
- Am Landgericht Fulda wurde ein Fall von vor acht Jahren neu verhandelt.
- Ein damals 18-Jähriger soll eine 15-jährige Jugendliche vergewaltigt haben. Das Gericht sprach ihn jetzt frei.
- Der Vorfall hatte sich in einem Jugendclub bei Hannover zugetragen. Der Prozess wurde in Osthessen verhandelt, weil der Angeklagte zu dem Zeitpunkt in Fulda lebte. Inzwischen wohnt er in Bad Salzschlirf.
Update, 24. Juli, 11.26 Uhr: Verurteilung – Berufung – Freispruch – Revision – und nun wieder Freispruch: Der Fall ging durch die Instanzen. Am Ende steht ein Urteil, das auch aufgrund des Grundsatzes „In dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) so ausgefallen ist. Der Angeklagte, der vor einigen Jahren aus Somalia geflüchtet war, bestritt den Vorwurf der Vergewaltigung. Eine Jugendliche hatte ihn beschuldigt, sie im November 2012 in der Toilettenkabine eines Jugendtreffs in Wunstorf bei Hannover zum Sex gezwungen zu haben. Dass es zu Sex gekommen war, ist unstrittig. Die Frage war jedoch, ob es einvernehmlich passiert ist – beziehungsweise, ob die 15-Jährige, die zu dem Zeitpunkt betrunken war, deutlich gezeigt hatte, dass sie das nicht wollte.
Genau das sei, so das Gericht, nicht zweifelsfrei festzustellen gewesen. „Zwei Gutachter haben die Aussage der Zeugin beurteilt und kamen zu dem Ergebnis, dass die geschilderten Abwehrhandlungen womöglich so nicht erfolgt sind“, erklärte Richter Josef Richter. Sie habe nach Einschätzung der Kammer zwar keine bewusste Falschaussage gemacht und subjektiv wahrheitsgemäß ausgesagt. Ob diese subjektive Erinnerung aber auch objektiv richtig ist, sei jedoch fraglich.
Prozess am Landgericht Fulda: Angeklagter wurde freigesprochen
„Es ist nicht auszuschließen, dass sie nur glaubt, sich gewehrt zu haben, um es mit dem eigenen Selbstbild in Einklang zu bringen“, sagte Richter Josef Richter. Das mache die Kammer an verschiedenen Punkten fest: So habe die Zeugin ihre Aussage bezüglich der Gegenwehr innerhalb der vergangenen acht Jahre verändert. „Bei einer polizeilichen Vernehmung 2013 hat sie keine Abwehrhandlungen beschrieben. Das Verfahren ist daraufhin auch erst einmal eingestellt worden. Auf Beschwerde der Nebenklage wurde es ein halbes Jahr später wieder aufgenommen.“
Ein Jahr nach dem Vorfall habe die Zeugin dann von erheblichen Abwehrhandlungen berichtet, die nach Aussage des Gerichts so massiv waren, dass sie es auch zuvor schon hätte erinnern können. „Es ist nicht auszuschließen, dass diese Handlungen erst nachträglich Gegenstand der subjektiven Erinnerung wurden“, sagte Richter. Auch der Drogenkonsum der Zeugin nach dem Vorfall wirke sich „ungünstig auf den Erinnerungsprozess“ aus.
Mit dem Urteil folgt die Kammer den Anträgen von Staatsanwältin Natalia Fuchs und Pflichtverteidiger Stefan Schulze, die auf Freispruch plädiert hatten.
Prozess am Landgericht Fulda: Acht Jahre alter Fall erneut vor Gericht
Ursprungsmeldung: Nein, no, non: Gleich in mehreren Sprachen soll das Opfer im November 2012 gesagt haben, dass sie mit dem Angeklagten keinen Geschlechtsverkehr haben möchte. Doch das habe er ignoriert. Für diese mutmaßliche Vergewaltigung wurde der junge Mann, der erst kurz vorher von Somalia nach Deutschland gekommen war, zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Das Urteil, das das Amtsgericht 2016 fällte, ist gestern am Landgericht verlesen worden.
Passiert sein soll der Vorfall in einem Jugendclub in Niedersachsen. Das 15-jährige Opfer soll auf der Damentoilette gewesen sein, als sie merkte, dass die Tür versperrt wurde. Der Beschuldigte soll sie „streng angesehen“ und bedrängt haben, nachdem er zu ihr hereinkam.
November 2012
Im November soll die Vergewaltigung in Wunstorf bei Hannover passiert sein.
November 2016
Das Amtsgericht Fulda verurteilt den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Daraufhin geht er in Berufung.
Juni 2017
Die zweite Strafkammer am Landgericht Fulda spricht ihn frei. Daraufhin gehen Staatsanwaltschaft und Nebenklage in Revision.
Mai 2019
Das Oberlandesgericht Frankfurt hebt das freisprechende Urteil auf und verweist die Sache zurück an die erste Strafkammer des Landgerichts Fulda. Als Grund werden sachlich rechtliche Mängel genannt.
Juli 2020
Das Landgericht Fulda verhandelt die Sache erneut.
Im Urteil des Amtsgerichts heißt es, dass die junge Frau ihren Hosenknopf zugehalten habe, um den Angriff abzuwehren. Irgendwann habe es der Angeklagte aber geschafft, die „stark alkoholisierte und leichtgewichtige“ Jugendliche zu vergewaltigen. Einige Erinnerungen seien nicht mehr da, aber sie habe unter Tränen „nein“, „no“ und „non“ gerufen. Auch habe der Beschuldigte sie aufgefordert, ihn oral zu befriedigen, was sie ebenfalls ablehnte. Nach dem Vorfall soll sie zu ihrem Fahrrad gelaufen sein, um nach Hause zu gehen. Auf dem Heimweg habe der Angeklagte sie noch ein Stück begleitet.
Angeklagter soll Jugendliche bedrängt haben, während sie ihren Hosenknopf zuhielt
Das Amtsgericht Fulda verurteilte den Angeklagten im November 2016 wegen sexueller Nötigung in einem besonders schweren Fall. Der Prozess wurde in Osthessen verhandelt, weil der Angeklagte zu dem Zeitpunkt in Fulda lebte. Inzwischen wohnt er in Bad Salzschlirf.
Gegen das Urteil legte er Berufung ein und hatte im Juni 2017 damit Erfolg: Das Landgericht Fulda sprach ihn frei. Der Grund: Es habe nicht festgestellt werden können, ob die sexuellen Handlungen gegen den Willen der Frau oder mit ihrem Einverständnis abgelaufen sind.
Oberlandesgericht Frankfurt hebt Freispruch auf: Landgericht Fulda verhandelt neu
Gegen diesen Freispruch wiederum legten Staatsanwaltschaft und Nebenklage Revision ein. Weil das Oberlandesgericht Frankfurt sachlich rechtliche Mängel sah, wurde das freisprechende Urteil aufgehoben, sodass nun noch einmal – vor einer anderen Kammer des Landgerichts Fulda – verhandelt werden muss.
Gestern war Prozessauftakt. Der Angeklagte blieb dabei und ließ durch seinen Rechtsanwalt Stefan Schulze erklären, dass alles einvernehmlich abgelaufen sei. „Es gab für ihn keinen Anlass zu glauben, dass sie es nicht wollte“, erklärte Schulze. Auch das Opfer wurde gestern als Zeugin gehört – unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in Abwesenheit des Angeklagten. Sie sei durch den Vorfall noch immer psychisch beeinträchtigt. Die Verhandlung wird am Freitag, 17. Juli, um 9.30 Uhr fortgesetzt.
Lesen sie hier: Das Landgericht Fulda hat einen 28-Jährigen nach der Tötung seiner Ehefrau zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht hat außerdem einen Prozess geführt, bei dem ein Vater, nachdem er seinen Säugling schwer misshandelt hat, verurteilt wurde.