„Das Land Hessen bildet im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl überdurchschnittlich viele Ärztinnen und Ärzte aus“, rechnet das Wissenschaftsministerium vor. Im Wintersemester 2022/23 stehen in Hessen 1149 Plätze für Erstsemester zur Verfügung. Medizin studieren kann man an drei Standorten: Marburg, Gießen und Frankfurt.
Die Frankfurter Goethe-Universität war vergangenes Jahr in die Schlagzeilen geraten, nachdem versehentlich 250 freie Plätze zu viel gemeldet wurden. Die Studienplätze werden in einem zentralen, bundesweiten Verfahren vergeben, organisiert durch die Stiftung für Hochschulzulassung in Dortmund.
Dabei spielen verschiedene Quoten eine Rolle - für Laien ist das nahezu undurchschaubar. Bis 2025 soll das Zulassungsverfahren vereinfacht werden. Stiftung, Länder und Hochschulen arbeiten gemeinsam daran, „ein neues Verfahren zu entwickeln, welches weniger komplex ist“, wie die dpa erfuhr.
Seit 2020 ist die Abiturnote nicht mehr Hauptkriterium für die Zulassung. 2022 wurden die Wartesemester abgeschafft, nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hatte, dass die Eignung im Mittelpunkt stehen muss. In die Auswahl fließen jetzt verschiedene Kriterien ein: die Abiturnote, das Abschneiden in zusätzlichen Tests, Auswahlgespräche der Hochschulen, berufliche Vorerfahrung, kognitive, praktische und sozial-kommunikative Fähigkeiten.
Kommen damit die Richtigen zum Zug? Ja, findet der Sprecher des Wissenschaftsministeriums: „Jedes Kriterium für sich hat – das ist durch Studien belegt – eine hohe Aussagekraft über die Eignung für ein Medizinstudium und auch den späteren Beruf.“ Ärztekammerpräsident Pinkowski würde sich eine andere Gewichtung wünschen: „Nach meiner Überzeugung sollten die empathischen und ärztlichen Fähigkeiten per Test sowie Erfahrungen etwa als Sanitäter im Rettungsdienst noch stärker gewichtet werden als bisher.“
Dass die Abiturnote nach wie vor eine Rolle spielt, hält Pinkowski für richtig: „Wer Medizin studiert, sollte unter Beweis gestellt haben, lernen zu können und gute Leistungen in Mathematik, Biologie und Chemie erbringen.“
Der Landkreis Fulda versucht mit dem „Projekt Landpartie“ vermehrt Medizinstundenten innerhalb ihres Blockpraktikums in die Region zu locken – verbunden mit der Hoffnung, dass sie sich nach dem Studium einmal in Osthessen – vielleicht sogar mit einer eigenen Praxis – niederlassen könnten.
Die Praktikanten erhalten zunächst einen finanziellen Zuschuss für Fahrten und Übernachtungen sowie ausgewählte Freizeitaktivitäten in der Region. Sollten sie das PJ-Wahltertial ebenfalls in der Region absolvieren, gewährt ihnen der Kreis einen monatlichen Mietzuschuss von 500 Euro.
Eine Möglichkeit, auch ohne Spitzenabitur Medizin zu studieren, ist die „Landarztquote“. Die Bewerber verpflichten sich, nach dem Studium entweder als Landarzt oder im öffentlichen Gesundheitsdienst zu arbeiten - und zwar für zehn Jahre. Bei Verstoß werden 250 000 Euro Strafe fällig. Knapp acht Prozent der Medizin-Studienplätze in Hessen sind dafür reserviert. In Auswahlverfahren steht nicht der Notendurchschnitt im Fokus, „sondern die persönliche und fachliche Eignung“, so das hessische Sozialministerium.
2022 sind laut Ministerium die ersten 58 Studierenden auf diesem Weg in ein Medizinstudium gestartet, 108 hatten sich beworben. Die Bewerbungsfrist für 2023 ist schon beendet, die Entscheidung aber noch nicht gefallen. Laut Sozialministerium werden vermutlich rund 75 Plätze für Landärzte und 15 für den öffentlichen Gesundheitsdienst zur Verfügung stehen. Los geht’s dann im Oktober.
Pinkowski sieht diese Landarztquote „äußerst kritisch“. Sich so lange zu verpflichten, „ist nach meiner Überzeugung unrealistisch“. Die Strafe könnten sich nur Privilegierte leisten. „Wir brauchen keine Modelle, sondern genügend reguläre Studienplätze.“
Seitens des Gesundheitsnetz Osthessen (GNO) geht man nicht davon aus, dass die Landarztquote eine spürbare Besserung bringen wird. Zum einen dauere es noch etwa zwölf Jahre, bis die ersten dieser Studenten eine Praxis aufmachen könnten. Zum anderen könne man ja letztendlich doch niemanden dazu zwingen, auf dem Land eine Praxis zu eröffnen.
„Die Niederlassungs als Arzt im ländlichen Raum, aber auch generell, muss wieder attraktiver gemacht werden“, teilt das GNO auf Anfrage hin mit. Eine Haus- oder Augenarztpraxis neu zu eröffnen, könne sich kaum noch jemand leisten – genau die Arten von Praxen sind es jedoch, an denen es mangele.
Vieles scheitere auch an bürokratischen Hürden. Das GNO bedauert es zudem, dass Ärzten bislang das Streiken untersagt ist, dies könnte sich auf Europäische Ebene aber bald ändern. Die geringen Einkunftmöglichkeiten für Hausärzte, aber auch für das Praxispersonal, machten es zunehmend schwierig, genug Ärzte für die zudem alternde Bevölkerung zu finden.
Hinzu kommen nachvollziehbare, aber nicht minder problematische Umstände, dass Ärzte nicht mehr wie früher zehn bis zwölf Stunden am Tag in der Praxis verbringen, sondern auf eine bessere Work-Life-Balance achten. Doch selbst mit genauso vielen Ärzten wie früher seien somit weniger Patienten abgedeckt.
Das alles führe zu einer Art Teufelskreis. Weniger Ärzte sorgen für längere Wartezeiten in den Praxen, dies wiederum zu unfreundlicheren Patienten – und die wiederum dafür, dass die Niederlassung als Hausarzt zusätzlich unattraktiv werde. „In spätestens zehn Jahren haben wir da ein richtig großes Problem“, prognostiziert das GNO. (dk/dpa)