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Debatte um medizinische Versorgung in Fulda - Experte schlägt vor: Schluss mit freier Arztwahl

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Von: Sabrina Mehler

Wie die ärztliche Versorgung in der Region aufrecht erhalten werden kann, erklärte der Arzt Jörg Simon.
Wie die ärztliche Versorgung in der Region aufrecht erhalten werden kann, erklärte der Arzt Jörg Simon. © Britta Pedersen/dpa; Volker Nies

Eine wohnortnahe und gleichzeitig qualitativ gute medizinische Versorgung sicherzustellen, das wird immer schwieriger. Darüber, was sich dafür ändern muss, sprach der Fuldaer Arzt Dr. Jörg Simon in einer Sitzung des Sozialausschusses. Eine Lösung könnte ausgerechnet eine Einschränkung sein.

Fulda - Die größten Herausforderungen, die die medizinische Landschaft zu bewältigen hat, sind bekannt: Viele Mediziner im Landkreis Fulda nähern sich dem Alters-Ruhestand, und die Suche nach Nachfolgern gestaltet sich schwierig. Gleichzeitig wird die junge, nachkommende Ärzteschaft weiblicher und auch anspruchsvoller, wenn es um ihre Work-Life-Balance und anfallende Überstunden geht. Obendrein wird die Bevölkerung älter und benötigt mehr Betreuung.

„Die Versorgung kann künftig nicht mehr so bleiben, wie wir sie kennen. Vom Bild des Landarztes, der über seiner Praxis wohnt, müssen wir uns verabschieden“, erklärte Jörg Simon in einer Sitzung des Sozialausschusses. Der 64-Jährige gehört dem Aufsichtsrat beim Gesundheitsnetz Osthessen an und ist Facharzt für Innere Medizin, Diabetologie, Sport- und Präventivmedizin im MVZ im Altstadt-Carree.

Fulda: Versorgung sichern - Experte spricht sich gegen freie Arztwahl aus

Ärzte und Ärztinnen wollten heutzutage selten mehr als die in ihrem Vertrag stehenden 38 Wochenstunden arbeiten: „Diese jungen Kollegen sind hoch engagiert und intelligent, aber zu einer bestimmten Zeit des Tages ist für sie Arbeitsende.“ Genauso wollten viele heutzutage nicht mehr selbstständig in einer eigenen Praxis tätig werden, sondern als Angestellte arbeiten.

Daher könnten Medizinische Versorgungszentren eine Lösung sein: „Diese können Arbeitszeiten bieten, die maßgeschneidert sind.“ Dies funktioniere allerdings nur, wenn dort mehrere Ärzte arbeiten: „Deshalb werden ohnehin schon große Praxen immer größer.“ Und die Behandlung künftig vielleicht unpersönlicher, sagte Simon.

Eine Änderung, die der Arzt vorschlägt und als dringend nötig ansieht, betrifft die in Deutschland geltende freie Arztwahl: „Das ist ein hohes Gut, funktioniert im Moment aber nicht mehr.“ Es gebe viele Patienten, die von einem zum anderen Arzt „vagabundieren“; insbesondere Fachärzte würden dadurch mit Arbeit „überschwemmt“. Die Zahl der Arztbesuche müsse deshalb minimiert werden: „Die Freiheit der freien Arztwahl können wir uns nicht mehr leisten.“

Eine Entwicklung, vor welcher der Fuldaer Arzt warnte ist, dass sich große Konzerne in die ambulante Gesundheitsversorgung einkaufen und „das System auspressen könnten“. Diese Unternehmen seien gewinnorientiert: „Wenn die anfangen, sich in die Medizin einzumischen, haben wir ein Problem.“

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Zudem hätten Investoren eher ein Interesse an Privatpatienten als beispielsweise an Bewohnern in Seniorenheimen, deren medizinische Versorgung schon heute problematisch sei. Denn für Besuche dort wie auch für Hausbesuche stehe Ärzten kaum noch genügend Zeit zur Verfügung.

Auf die Frage von Dorothee Hauck-Hiersch, der Vorsitzenden des Sozialausschusses, ob Fulda mehr Arztsitze benötigt, obwohl die Kassenärztliche Vereinigung von einer Überversorgung des Landkreises spricht, erklärte Simon: „Das ist nicht das Problem. Wir hätten die Personen momentan gar nicht, die die Sitze ausfüllen könnten.“ Noch in diesem Jahr würden zwei weitere Ärzte in den Ruhestand gehen.

Dass die Stadt Fulda Studierende der Medizin unterstützt, um sie in der Region zu halten, lobte der Arzt. „Das ist zukunftsweisend, aber es hilft uns erst in zehn Jahren.“ Gemeinsam müsse daher an kurzfristigeren Lösungen gearbeitet werden.

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