Im Schutz der Nacht - Zahlreiche Verdachtsfälle von Wilderei auch in Osthessen

Das vermutete Motiv bei dem mutmaßlichen Doppelmord an zwei Polizisten in Rheinland-Pfalz – verübt zur Verdeckung einer Straftat, nämlich der Wilderei – wirft eine Frage auf: Gibt es Wilderer heutzutage auch in Osthessen?
Fulda - In Sagen aus Rhön und Vogelsberg finden sich immer wieder Erzählungen über Wilderei. Gedenksteine in den Wäldern zeugen von mitunter tödlichen Aufeinandertreffen von Förstern und Wilderern. „Heute ist das längst nicht mehr der Fall, wie es in früheren Jahrhunderten oder nach dem Zweiten Weltkrieg einmal war, als die Menschen illegal auf die Jagd nach Wild gingen, weil die Not groß war“, sagt der Leiter des Forstamtes Fulda, David Nöllenheidt.
Das sei kein Grund, das Bild des Wilderers – wie einst in Heimatfilmen – romantisch zu verklären. „Mitnichten ist Wilderei eine Lappalie; sie ist eine Straftat. Und das Thema kommt bei uns immer mal wieder auf“, berichtet Nöllenheidt.
Fulda: Wilderei in den Wäldern der Region - Zahlreiche Verdachtsfälle
In Osthessen handelt es sich jedoch um Verdachtsfälle. „Diese entstehen, wenn ungeklärte Schussgeräusche im Wald gehört oder Tiere gefunden werden, bei denen unklar ist, wie sie verendet sind“, erläutert der Forstamtsleiter. Im Lützgrund bei Dorfborn sei so ein Fall aufgetreten. „Vor einigen Jahren haben wir dort einen Hirsch mit einem auffälligen Geschosskanal gefunden“, erinnert sich Nöllenheidt. Dort habe der Verdacht bestanden, dass in den frühen Morgenstunden jemand mit Pfeil und Bogen widerrechtlich auf die Pirsch ging.
„Wir haben schon mit Rasierklingen präparierte Pfeile gefunden oder ein waidgerecht mit einem Kammerschuss erlegtes Reh, das dann offenbar liegen gelassen wurde. Bei solchen Funden besteht der Verdacht auf Wilderei“, berichtet Nöllenheidts Hofbieberer Kollege Florian Wilshusen. Auch in seinem Forstamt sei jedoch noch kein Fall bestätigt, beziehungsweise kein Verdächtiger identifiziert worden. (Lesen Sie auch: Jäger in der Rhön wollen Rehkitze retten - mit Hilfe von Drohnen)
Wilshusen sieht die Chancen gut, dass Jagdwilderer erwischt werden, weil häufig Förster, berechtigte Jäger oder Spaziergänger im Wald unterwegs sind. Nöllenheidt spricht indes von einer schwierigen Lage. Er führt an, dass Wilderer den Schutz der Nacht suchen und zu Zeiten auf die Pirsch gingen, in denen die Jagd eigentlich pausiere. „Für den Staatswald ist bei uns kein Fall von Jagdwilderei nachweisbar“, sagt der Burghauner Forstamtsleiter Sebastian Keidel. Gleichwohl weiß er aber ebenfalls von Verdachtsfällen.
Forstamtleiter: Es gibt klare Indizien auf Wilderei
Ähnlich geht es in Romrod Hans-Jürgen Rupp: „Ein definitiver Fall ist in den 32 Jahren, die ich im nördlichen Vogelsberg war, nicht belegt.“ Auch hier nur Verdachtsfälle. Mit den Schussgeräuschen sei das so eine Sache: Einerseits müsse nicht jeder laute Knall ein Schuss sein, andererseits verwendeten professionelle Wilderer mitunter Schalldämpfer.
„Aufmerksam werde ich vor allem bei Fahrspuren von großen Autos in Naturschutzgebieten oder auf Wiesen“, erklärt der Romröder Forstamtsleiter. Organisierte Wilderer seien nämlich häufig mit gut ausgestatteten Fahrzeugen unterwegs. Diese Einschätzung teilt Nöllenheidt: Das Ausleuchten mit starken Scheinwerfern mithilfe von Autos am Waldrand oder unbekannte Fahrspuren könnten Indizien auf Wilderei sein.
Rupp gibt zudem zu bedenken: „Beim Zusammentreffen mit Wilderern kann für Förster oder bestätigte Jagdaufseher durchaus Gefahr entstehen. Wir haben als Hilfsbeamte die selben Rechte und Pflichten wie die Polizei. Sprich: Wir dürfen Personalien kontrollieren und im Ernstfall unmittelbaren Zwang – also körperliche Gewalt – anwenden.“ Mit Blick auf die Geschehnisse in Rheinland-Pfalz ordnet Rupp ein: „Angesichts der Preise von 50 bis 60 Euro für ein Reh, 100 Euro für eine Wildsau oder 200 bis 250 Euro für ein Stück Rotwild wäre es eine ungeheuerliche Dimension von Gewalt.“
Wilderei-Fälle bleiben im Schutz der Dunkelheit unentdeckt
In Rhön und Vogelsberg seien Jagdwilderer wohl auch seltener anzutreffen, weil sie sich größere Aktionsradien suchen, meint Rupp, der an einen „größeren, dreisten Fall von Wilderei“ in Grebenhain im Oberwald erinnert. Damals seien die Täter sogar am nächsten Tag mit Hunden auf Nachsuche gegangen. Dies fällt in die Zeit, bevor Axel Norgall Forstamtsleiter in Schotten wurde. „Offensichtliche Fälle gibt es aktuell nicht. Zumindest ist uns das nicht bekannt“, sagt er, räumt aber auch ein, dass Wilderei-Fälle im Schutz von Dunkelheit unentdeckt bleiben könnten.
In der Tat könnte die Dunkelziffer an Wildereifällen hoch sein, bestätigt Dr. Rudolf Leinweber, Vorsitzender der Jäger- und Gebrauchshundevereinigung Rhön-Vogelsberg. Vor allem, wenn man bedenke, dass Wilderer erlegte Tiere mitnähmen, um sie zu veräußern, bleibe wohl mancher Fall unentdeckt.
Denkbar sei etwa, dass ein Zweiergespann durch die Lande fährt – ein Fahrer, einer der mit Nachtsicht- und Wärmebildtechnik Ausschau hält und dann quasi aus dem Fahren das Wild erlegt. „Das ist eine Spekulation“, sagt Leinweber und gibt zu bedenken, dass die Technik auch den Jägern zur Verfügung stehe und Wilderer so entdeckt werden könnten. Hinweise darauf könne heimischen Jägern zum Beispiel ein verändertes Fluchtverhalten von Tieren geben.
Konkret sei ihm aktuell kein Fall bekannt. Er weiß aber von Fällen, als Wilderer nach der Grenzöffnung nach Thüringen fuhren, um dort illegal zu jagen. „Da gab es auch Verurteilungen.“